Grenzen

But when it's hard to breathe and I just can't get off the floor
I long for days when I was free a life I lived so long before

It all got so heavy
I used to stand up so tall
There's only so much I can carry
Before I fall
They tell me "girl you're so lucky"
"You've got the world in your hands"
But the world gets so heavy
You don't understand
And that's heavy

(Delta Goodrem – Heavy)


An welcher Stelle habe ich mich eigentlich wieder so verloren?
Und so sehr, wie ich mich auch versuche an dem festzuhalten das geblieben ist, muss ich eben – auch, wenn ich das gern leugnen würde – zugeben, dass das so ziemlich nichts ist.

Abende mit dem ehemaligen Freund sind jetzt eingetauscht gegen eine Runde laufen und eine heiße Dusche im Anschluss. Oder gegen ein einsames Sitzen auf dem Sofa und ich versuche die Nase dann auch in ein Buch zu stecken und koche einen Kakao dazu, aber das täuscht nicht darüber hinweg, dass etwas fehlt.
Die Morgen am Wochenende sind schlimm und ich habe es mir immer noch nicht wieder angewöhnt, zu frühstücken.

Und auch wenn ich versuche aktiv zu bleiben merke ich, dass die Kraft schwindet. Ich habe seit Wochen keine Nacht mehr durchgeschlafen. Beim Laufen brauche ich mittlerweile mehr Pausen als noch am Anfang – eigentlich sollte das umgekehrt sein. Mittlerweile habe ich wieder ständig Magenschmerzen und Übelkeit (am Anfang als wir und kennen gelernt haben, durfte der Freund seine Hand nie auf meinen Bauch legen wegen der Schmerzen). Die Wohnung zu putzen, wird mittlerweile wieder zu kompletten Wochenendaufgabe. Ich merke, dass ich zunehmend wieder genervt von allen Menschen um mich herum werde – auch von denen, die ich mal wirklich mochte.

Ich kenne das alles. Nichts davon ist irgendwie neu. Es sind die Grenzen. Denen ich aber einfach nicht sehr viel Beachtung schenken kann. Ich muss ja irgendwie weiter funktionieren. 


Der Lieblingspark im Winter...


Aber die Konzepte sind am Ende.
Halt gibt es aktuell nur in vertikalen Beziehungen und mein Oberarzt hat sich da echt Mühe gegeben die letzten Wochen, aber das ist keine Lösung für die Dauer. Jedes Mal um ein Ohr bitten zu müssen, einen Termin vereinbaren zu müssen, darauf angewiesen zu sein, dass das Gegenüber sich zumindest nicht anmerken lässt, dass ich ihm komplett auf den Zeiger gehe – wo soll das wieder enden? Und auch, was das Thema Therapie oder Coaching anbelangt – ich habe die Nase davon sowas von komplett voll. Der Oberarzt hat mir zumindest zugestanden, dass ich mich selbst ziemlich gut kenne (die potentielle Bezugsperson war leider nie dieser Meinung und hat mich immer als ziemlich inkompetent in Bezug auf mich selbst abgestempelt). Und ich weiß, dass es diese zwischenmenschlichen Dinge sind – zu Hause, Bindung, gemeinsame Erinnerungen schaffen, ein Knotenpunkt in einem Netz sein zu dürfen – die mir fehlen und das kann keine Therapie lösen. Das habe ich eben nicht mal völlig selbst in der Hand. Klar – ich kann mir die größtmögliche Mühe in zwischenmenschlichen Beziehungen geben und ich kann sicher noch etwas zum Thema „Wie führe ich Beziehungen?“ lernen, aber ob die Menschen bleiben oder nicht, das kann ich nicht erzwingen. Ich darf niemanden festhalten.

Der verstorbene Freund sagte mal – ich weiß gerade den genauen Wortlaut nicht, das müsste ich suchen – dass man manchmal erst merkt, wie sehr einem die Dinge gefehlt haben, wenn man sie wieder erleben darf.
Da ist viel Wahres dran. Ich wusste, dass mir eine Beziehung fehlt. Aber nicht, dass sie mir so sehr fehlt. Irgendwo im Hinterkopf hatte ich eine Vorstellung davon, dass solche zwischenmenschlichen Werte leben zu dürfen, mein Leben wahrscheinlich sehr viel bunter machen würde. Aber dass ich tatsächlich die „alte Mondkind“ wieder finden würde, das hatte ich in dem Ausmaß doch nicht ganz gedacht.

Und während ich am Anfang glauben wollte, dass ich schließlich auch alleine bleiben kann und das kein Weltuntergang ist, muss ich mir langsam eingestehen, dass das einfach nicht so ist. Ich hatte keine Lust mehr auf das, was sich langsam wieder einschleicht, ich wollte es einfach so nicht mehr erleben müssen, aber da geht es wenig um Wollen.
Mir ist heute Nacht klar geworden, dass ich das nicht überleben werde, wenn es bleibt, wie es jetzt ist. Es macht keinen Sinn mehr, Dinge weit im Voraus zu planen, wie ich das letztes Jahr schon mal wieder konnte. Klar, ich werde das hier alles machen, solange die Kraft irgendwie reicht. Aber die ist im Sturzflug. „Die Mondkind kommt auch mit einem Hb von 2 zur Arbeit“, sagte die potentielle Bezugsperson mal und das betrifft nicht nur die physische, sondern auch die psychische Situation. Aber die Kraft wird eben nicht reichen, das spüre ich. Und es wird wahrscheinlich nicht morgen oder übermorgen so weit sein, aber es ist die Frage, ob ich den Frühling oder – in sehr weiter Ferne – sogar den nächsten Sommer noch erleben werde. Ich weiß es nicht. Ich bezweifle das eher.

Ich denk schon drüber nach, mich langsam zurück zu ziehen.
Der Oberarzt braucht nicht 20.000 Mails vorher, um die hinterher mit der Frage zu durchforsten, wo eigentlich der Wendepunkt war. Falls er das tun würde, aber ich möchte unnötige Vorwürfe vermeiden.
Meiner Schwester schaue ich noch eine Weile zu. Die war eine Zeitlang ziemlich fixiert auf mich, aber seitdem sie ihren Freund hat, kommt sie mich nicht mal mehr besuchen, wenn sie hier in der Stadt ist, in der auch der Freund lebt – das scheint also auch okay zu sein. Es ist auch irgendwie okay für mich, es zeigt mir aber, dass sie allein zurecht kommt.
Und ansonsten gibt es ziemlich viele oberflächliche Beziehungen und sicher wäre das für einige ein Schock, aber die Menschen würden es sicher schnell zurück zur Normalität schaffen.

Und dann muss ich das natürlich richtig machen. Nicht so, wie dieser Typ, der gestern intubiert und beatmet in unsere Notaufnahme kam und jetzt eben nicht mehr darüber entscheiden kann, ob er bleibt oder nicht und jetzt erstmal eine Odyssee mit Intensivstation und Psychiatrie vor sich hat.

Ich muss jetzt erstmal zusehen, dass ich irgendwie in die Gänge komme. Ich muss einkaufen, zumindest anfangen hier Ordnung zu machen und heute Nachmittag wollte sich vielleicht eine Kollegin melden und wir wollen uns kurz auf einen Kaffee treffen – das kommt darauf an, wie ihr Nachtdienst war.

Mondkind


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