Kapitelende

Aus der sicheren Distanz der Gegenwart
Erteile ich dir das Signal zum Start
Der zweite Stern von links und Energie
Schau nicht zurück und bitte schreib mir nie
Ich lass dich gehen und es beginnt
Ich lass dich gehen Dezemberkind

(Alexa Feser – Dezemberkind)

 

Ich merke irgendwie, es hat sich viel verändert.
Es verändert sich immer viel, wenn sich Kapitel schließen.
Weil dann irgendwie einen Vorher – Nachher – Vergleich gibt.

Diese letzte Beziehung hat mich viel wachsen lassen.
Es ging schon mal damit los, dass ich endlich mal aus dem Quark kommen musste. Es war ja von Anfang an klar, dass ich diejenige war, die sich um Mobilität zu kümmern hatte. Also musste ich die Angst vor dem Auto fahren überwinden. Die Aussicht mich mit dem ehemaligen Freund treffen zu können, hat dann sogar die Angst vor dem Auto fahren überwogen. Also bin ich zur Fahrschule gegangen, habe Fahrstunden genommen und mir ein Auto gekauft. In den Augen der anderen war das sowieso längst überfällig. Und das erleichtert die Dinge schon. Mal kommt mal schnell von A nach B. Einkaufen ist einfacher, aber auch Ausflüge ins Umland werden machbar und das sind wieder Ereignisse, die zu Erinnerungen werden. Mobilität ist eine feine Sache und immer noch eine Luxus, den ich nach acht autofreien Jahren auf dem Land hier sehr zu schätzen weiß - auch wenn ich es stehen lasse, wo immer ich kann. Auf die Arbeit geht es nach wie vor zu Fuß und mit dem Rad.

Nach allem was passiert war, hatte ich einfach keine Ahnung, ob das mit einer neuen Beziehung funktionieren kann. Ich habe noch so drin gesteckt in dieser alten Geschichte, dass ein Trennen der Dinge unmöglich war.
Die ersten Wochen unserer Beziehung waren ein ständiges Vor und Zurück. Ich habe die guten Momente in vollen Zügen genossen, aber genauso konnte sich das innerhalb von Minuten drehen. Und dann saßen wir da. Bis tief in die Nacht. Und haben geredet.
Ich glaube die Geduld, die er am Anfang für mich hatte war genau das, was ich brauchte, um langsam ein bisschen heilen zu können. Um akzeptieren zu können, dass die guten und die schwierigen Momente nebeneinander existieren konnten.

Er war der erste Mensch, den ich aufrichtig geliebt habe, der ungefähr so alt war wie ich.
Zwar hatten wir uns an einer völlig verrückten Stelle gelernt, aber ich habe so lange gedacht, dass das gar nicht möglich wäre eine Beziehung mit einem Menschen zu führen, der bisher ein halbwegs „durchschnittliches Leben“ hatte. Der verstorbene Freund und ich – wir kamen ja beide aus etwas schwierigen Verhältnissen und 20 Jahre älter war er auch. Und das macht irgendwie auch Mut für die Zukunft. Mein Leben gleicht sich einem „normal“ – wie auch immer man das am Ende definiert – immer mehr an. Und auch, wenn jetzt viele argumentieren mögen, dass „normal“ vielleicht nicht unbedingt Ziel ist, aber nachdem ich in der Schule jahrelang mit Mobbing zu kämpfen hatte und darüber hinaus so isoliert aufgewachsen bin, dass das an der Uni mit Sozialkontakten am Anfang auch nicht viel besser war, ist jedes unkomplizierte Dazugehören ein Geschenk. Und der Glaube daran, dass das jetzt geht, der ermöglicht Vieles. Ich muss mich nicht mehr verstecken.

Ich habe ehrlich gesagt weiterhin keine Ahnung, an welcher Stelle das so gekippt ist.
Wenn ich unsere Text- und Sprachnachrichten vom Anfang anschaue: Da kam von seiner Seite auch ab und an mal „Das musst Du mir erzählen, wenn wir uns sehen.“ Es hat ihn interessiert, was ich mache, es gab nicht ständig irgendwelche Drohungen und das erste Mal: „Ich erzähle Dir, warum ich wütend auf Dich bin, wenn wir uns das nächste Mal sehen“, was drei Tage waren ohne Kommunikation dazwischen, kann ich nicht vergessen. Wie gut kannte ich dieses Muster. Wie sehr wusste ich, dass er mich damit kriegen würde, alles zu tun, damit er nicht mehr so zu mir ist. Geschafft habe ich das nicht – das ist am Ende ständig passiert. Er war so oft wütend auf mich, wegen Dingen, die ich bis zum Ende nicht verstanden habe. Ich kann mich nicht erinnern, mich so anders verhalten zu haben, als in der Zeit, in der wir uns kennen gelernt haben.
Noch dazu seine schwierigen Vorstellungen von Beziehungen, dass ich mich ständig um alles kümmern musste und das auch irgendwie selbstverständlich war. Wenn ich um etwas gebeten habe, dann kamen fünf Millionen Ausreden, warum das jetzt alles nicht geht, eine lahmer als die andere.

Ich habe lange gebraucht um zu begreifen, dass er nicht – wie ich das gehofft hatte – für den Rest der Zeit, die uns auf dieser Erde bleibt, an meiner Seite sein würde. Sondern, dass er lediglich ein Kapitel in meinem Leben war. Ein sehr kleines sogar. Aber ein für mich wahrscheinlich sehr Wichtiges.
Ich hätte ihn auch gern länger bei mir behalten, ich habe ihn so sehr geliebt, dass ich dieses Ungleichgewicht in dieser Beziehung schon irgendwie akzeptiert hätte und dass man ihm gefühlt alles hinterher tragen musste, aber er wollte das nicht.

Und heute stehe ich hier und kann sagen: Auch, wenn es immer noch weh tut; auch, wenn ich ab und an etwas wehmütig zurück blicke und die naive Mondkind aus dem letzten Sommer Pirouetten tanzen sehe, in der Hoffnung, dass es für immer bleibt – aber ich habe Erfahrungen gemacht, ich habe gelernt, ich bin an ihm und an mir gewachsen. Und vielleicht war das alles, was ich aus diesem Kapitel heraus holen kann. 


Ich blicke manchmal nach vorne und frag mich: Nachdem ich mittlerweile doch irgendwie ein Gefühl für Normalität bekomme - wie will ich mit der Vergangenheit umgehen? Wie kann ich mit der Vergangenheit umgehen? Ist nicht aus dieser 21 – jährigen Mondkind, die damals völlig überfordert im psychosozialen Zentrum an der Uni gestrandet ist, mittlerweile eine erwachsene, gestandene Frau geworden? Die nicht nur viel erlebt, sondern auch viel überlebt hat und die darauf stolz sein kann?
Wird es nicht Zeit, die Vergangenheit mal dort zu lassen, wo sie ist? Wird es nicht Zeit sich damit zu beschäftigen, was ich jetzt aus dem Leben, das ich mir so hart erkämpft habe machen kann? Und das heißt nicht, dass ich nicht auf die Menschen schauen möchte, die ich zurück lassen musste. All die Menschen, die mir eine Ersatz – Bezugsperson waren (keine Sorge, der Intensiv – Oberarzt ist weiterhin für mich da), auf den verstorbenen Freund, an dessen Hand ich viel wachsen durfte und an den ehemaligen Freund, der nochmal ein bisschen am „Feinschliff“ gearbeitet hat. Wir hatten in unserer Anfangszeit viele gute Gespräche, ich habe mir immer von den „Erwachsenen“ etwas abgeschaut und dass er seine Ausbildung verloren hat, tut mir schon immer noch leid. Aber Schuld war ich nicht, verplappert hat er sich schon selbst.
Aber vielleicht darf das jetzt mal nicht mehr so präsent sein. Vielleicht sollte das Jetzt päsenter sein.

Ein sehnsüchtiger Blick zurück am Ende eines Kapitels ist wahrscheinlich auch immer ein bisschen Wachstumsschmerz. Aber das ist okay.
Ich weiß, dass ich jetzt nicht zurück soll, sondern langsam die letzte Seite des Buches umblättern und das Kapitel schließen. Vielleicht war das nochmal Aufgabe der letzten Tage.

Ich weiß nicht, ob wir uns irgendwann nochmal sehen können.
Vielleicht dann, wenn wir beide fest genug in einem anderen Leben stehen.
Sodass es zwar vielleicht noch ein bisschen brennt irgendwo in der Nähe des Herzens, aber keine Gefahr mehr besteht, das alles nochmal von vorne machen zu müssen. Denn natürlich ist es der Kopf, der dann irgendwann mal gewonnen hat, als die Seele verletzt und wütend war.
Wobei der Oberarzt letztens eine interessante Parallele gezogen hat, zwischen einem narzisstisch anmutenden Elternhaus und dem ehemaligen Freund. Ich will das hier nicht weiter ausführen und das gehört hier auch nicht hin, aber es würde schon erklären, warum ich so krass auf ihn angesprungen bin. „Der Neuronensturm sollte nie wieder so sein“, hat er dazu gesagt, was mich irgendwie beruhigt hat. Das von Damals ist – so verrückt es auch war – nicht die Messlatte.

Mondkind


Bildquelle: Pixabay

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