Um einen Dienst herum

Montag.
Ich komme um 10 Uhr auf die Arbeit getrabt.
Die Kollegen haben mir zum großen Teil den Abschnitt der Station zu betreuen gelassen, der auch als „Transsilvanien“ bekannt ist. Das ist der Teil der Stroke Unit, der mittlerweile vom ZNA – Oberarzt betreut wird und nicht mehr vom SU – Oberarzt.
Kurz nach 10 Uhr steckt der ZNA – Oberarzt auch schon den Kopf zur Tür herein. „Gehen wir auf Visite?“, fragt er. „Ich bin gerade erst gekommen, ich brauche noch kurz Zeit, um alles über meine Patienten zu lesen“, entgegne ich. „Du hast Dienst heute?“, fragt er. Ich nicke. „Shit Mondkind, ich auch – ich habe doch keine Lust auf Stress heute Nacht“, sagt er. „Ich versuche meine Füßchen still zu halten“, entgegne ich. Der Oberarzt beschließt, dass er die Patienten gut genug kennt und sie mir auf der Visite einfach vorstellt. Na dann – Viste mal andersherum…

Ich bin mit meiner Visite längst fertig und schreibe schon Briefe, als der SU – Oberarzt mich anruft. „Mondkind – wir stehen hier bei dem Patienten, den Du von der Kardiochirurgie geholt hast. Der hat seinen Schrittmacherdraht noch drin – rufst Du bitte nochmal den Kollegen an, dass die den noch ziehen müssen? Das dauert immer ewig einen Kardiochirurgen hierher zu bekommen, aber vielleicht fühlt er sich ja dafür verantwortlich.“ Ich seufze am Telefon. „Willst Du das nicht machen?“, frage ich den Kollegen neben mir. „Ist doch Dein Patient…“ Er schüttelt den Kopf.
„Guten Morgen Mondkind“, flötet es ins Telefon. „Guten Morgen – Du schau mal, wir haben da doch noch den Patienten aus unserem letzten Dienst“, lege ich los und trage mein Anliegen vor. „Ich komme“, sagt er. „Jetzt sofort?“, frage ich. „Na sicher“, gibt er zurück.
„Wann hast Du wieder Dienst?“, fragt er. „Heute“, entgegne ich. „Und Du?“, frage ich. „Nicht heute“, sagt er. „Das hatten wir doch schon – Du machst zu viele Dienste. Aber wir haben heute nichts Großes geplant – zu Deiner Beruhigung.“
Gerade als der Kardiochirurg von dannen schlappt, kommt der SU – Oberarzt ums Eck. „Wer war das Mondkind?“, fragt er. „Der Kardiochirurg“, entgegne ich. „Der war schon da?“, fragt der Oberarzt. „Ja – ich glaube, das war das schnellste kardiochirurgische Konsil in der Geschichte der SU.“ „Mondkind, was läuft denn da zwischen Euch?“ fragt er. „Gar nichts“, sage ich.

Nachmittag.
Ich rase in die Notaufnahme. Heute waren schon viele Patienten da und ich bin mal gespannt, wie der Dienst wird. So gerne, wie ich den ZNA – Oberarzt auch mag, aber Dienste mit ihm sind manchmal anstrengend. Sein Geduldsfaden in der Nacht ist – verständlicherweise – kurz und wenn man da mit ungenauen Angaben ums Eck kommt, bekommt man den Unmut bisweilen zu spüren.
Ein Patient nach dem anderen kommt in die Notaufnahme und es gibt schon gut zu tun, aber es ist machbar. Den Spätdienst – einen lieben indischen Kollegen – schicke ich um 9 Uhr nach Hause, weil er am nächsten Tag schon um 10 Uhr wieder – früher als sonst – auf die Arbeit kommen soll.
Abends um 23 Uhr wird es ein bisschen hektisch. Der Kardiologe möchte, dass ich mir am liebsten jeder seiner Patienten auch noch ansehe (ein bisschen selektieren muss man halt schon theoretisch…) und um kurz nach 23 Uhr klingelt das Diensthandy mit einer externen Nummer. Ich melde mich mit meinem Standardspruch. „Hallo Mondkind“, höre ich die Stimme des Oberarztes, mit dem ich mal das Epilepsieprojekt machen wollte. „Du weißt, wir haben Netzwerk – Woche und ich habe eine Thrombektomie für Euch.“ Ja stimmt – alle sechs Wochen sind wir als neurovaskuläres Zentrum noch für viele kleinere umliegende Kliniken zuständig – oft nur zur Beratung, wenn es um das Thema Lyse geht, aber – wenn es eine Thrombektomie braucht – dann müssen wir die Patienten eben auch übernehmen. Der Oberarzt gibt mir alles durch, was er weiß. „Die wollen mit dem Rettungshubschrauber kommen – ich gebe Dir dann später noch die Nummer der Klinik, dann kannst Du an anrufen und fragen, wann die los fliegen.“ Wenig später klingelt das Telefon erneut mit der privaten Nummer meines Hintergrundes. „Mondkind, ich mache nie wieder mit Dir Dienst“, sagt er. „Wir treffen uns im Netzwerkzimmer und schauen uns mal die Bilder an, ich möchte den Gefäßverschluss sehen.“ (Es war gar nicht böse gemeint, aber meine Dienste sind bekannt für den Workload - schlechtes Karma oder so, keine Ahnung...)
Am Ende stehe ich um ein Uhr in der Nacht auf dem Hubschrauberlandeplatz oben auf der Klinik, höre zunächst ein Brummen, das die Stille zerschneidet und dann kommt mit einem ohrenbetäubenden Lärm der Rettungshubschrauber und landet. Crazy, das mal erleben zu dürfen. Wir nehmen den Patienten für die Thrombektomie in Empfang. Die Anästhesie habe ich schon informiert, der Neuroradiologe steht auch in den Startlöchern. Am Ende klappt alles reibungslos.
Gerade als ich dann doch die sich langsam erheblich summierende Anzahl von Patienten beginnen möchte zu dokumentieren, ruft mich die Reha – Klinik an. Ein Patient, der kürzlich bei uns war, hat sich akut verschlechtert. Mein letzter Restfunken auf ein kleines bisschen Schlaf in dieser Nacht zerschlägt sich soeben. 





Es wird schon wieder hell, als ich im Schwesternzimmer sitze, kurz einen Kaffee schlürfe (mein Magen dankt es mir nicht), als eine der Schwestern nochmal zu mir kommt. „Mondkind, hast Du Dir die Sache mit dem Kätzchen nochmal überlegt?“, fragt sie. Sie hatte mich schon letzte Woche gefragt und meinte, sie hebt mal eine Katze für mich auf. Ich bin mir sehr unschlüssig. Auf der einen Seite denke ich schon länger über ein Haustier nach – auf der anderen Seite weiß ich nicht, ob ich der Katze wirklich ein Gefallen tue, wenn ich sie ständig knapp 26 Stunden alleine lasse. Mindestens. Und ich möchte nicht, dass mein Wunsch ein Haustier zu haben für das Tier zur Quälerei wird. Wenn ich sicher wäre, dass das nicht der Fall ist, würde ich zustimmen. Aber ich glaube, selbst Katzen wollen nicht gern so lang allein sein, wenn sie nicht raus können.

Frühbesprechung. Dienstag.
Ich rattere im Halbschlaf meine Patienten runter, von der anschließenden Fortbildung bekomme ich kaum etwas mit, danach muss ich noch schnell eine Visite machen, zwei Briefe schreiben und ein paar Telefonate führen. Als ich fertig bin ist es halb 11 und ich hoffe, dass der Intensiv – Oberarzt auch fertig mit seiner Visite ist. „Frau Mondkind – packen Sie Ihre Sachen und kommen Sie rüber – ich mache noch schnell eine Bronchoskopie.“ Das dauert dann aber doch etwas länger und es ist fast halb 12, bis ich ihn sehe. „Wann kommen die Handwerker?“, fragt er. „Um 12“, entgegne ich. „Das heißt, wir haben nicht viel Zeit.“ „Wollen Sie nicht nach Hause gehen und sonst später nochmal kommen – so gegen 16 Uhr vielleicht?“, fragt er. Ich weiß, dass das sinnvoller ist – aber ob ich heute nach Null Minuten Schlaf in der Nacht nochmal aufstehen werde, weiß ich nicht. „Rufen Sie mich doch einfach halb 4 mal an. Und wenn Sie nicht anrufen, dann weiß ich, dass Sie schlafen“, schlägt er vor und darauf lasse ich mich dann mal ein.

Die Handwerker sind tatsächlich recht pünktlich. Ab 12 Uhr hieß es. Kurz vor halb 1 stehen sie auf der Matte. Nach wenigen Minuten geht die seit über zwei Jahren – wir haben es nochmal nachvollzogen – kaputte Lüftung wieder. Grundrauschen in der Wohnung. Ich habe es nicht vermisst. Und ich will nicht wissen, wie viel Staub hier demnächst wieder herum fliegen wird. Im ersten Jahr in dieser Wohnung habe ich ständig geputzt – so viel Staub kann eine Einzelperson unmöglich produzieren.
Als die Handwerker weg sind, lege ich mich ins Bett und schlafe trotz Lärm der Lüftung prompt ein, ehe mich Viertel nach Drei der Wecker wieder aus dem Schlaf schmeißt. Große Lust jetzt irgendetwas zu tun, habe ich nicht unbedingt. Mir ist übel und schwindelig – wie immer nach solchen Diensten – aber da wir den Rest der Woche absolut unterirdisch besetzt sind... – werde ich sonst kaum Zeit haben. Zudem spüre ich, dass ich langsam auch wieder im Igelmodus ankomme – das passiert oft, wenn es mir nicht ganz so gut geht. Zwar funktioniert alles was mit dem Job zu tun hat ganz gut, aber was mich betrifft, empfinde ich mich nur noch als große Belastung und möchte gar nicht mehr mit den Menschen interagieren. Deswegen beschließe ich, dass es wohl gerade wichtig wäre, heute zu sprechen, um da vorher noch ein bisschen die Bremse zu ziehen.
Ich mache mich in Rekordzeit fertig. Schlüpfe in eine Stoffhose und ein T – shirt, binde die Haare zusammen und rufe kurz nach halb 4 den Oberarzt an.

Am Ende versteht glaube ich niemand so genau, was in meinem Gehirn los ist. Das verstehe ich ja selbst nicht genau. Es ist ein riesen großes Chaos, ich fühle mich, als würde ein unruhiger Tiger dort seine Runden marschieren. Ich weiß nicht, wen oder was ich ernst nehmen kann. Denn am Ende klappt es ja immer – das trägt nicht gerade dazu bei, mich ernst zu nehmen. Egal wie es mir geht – irgendwie rocke ich jeden Dienst. Aber hat man eine Wahl? Es gibt eine Verantwortung gegenüber den Patienten. Ich möchte alles so gut machen, wie ich kann, damit es den Patienten besser geht. Egal wie ein Dienst läuft, egal wie erschöpft man zwischendurch ist, egal wie sehr man zwischendurch der Meinung ist, sich vor Erschöpfung in die Ecke des Flures legen und dort schlafen zu können – aber die Dienste müssen durchgezogen werden. Und auf der anderen Seite ist da die Mondkind, die so regelmäßig am Leben zweifelt. Ich könnte nicht mal sagen, dass das irgendwelche ausgewachsenen Suizidfantasien sind (auch, wenn ich natürlich weiß, wie das anzustellen ist), da ist einfach unglaublich viel Druck dahinter. Dieser Drang sich etwas anzutun ist da, sobald ich morgens die Augen aufmache. Was man nach außen von mir sieht, ist das Resultat des Kampfes in mir drin – und im Moment sieht das immerhin nach Leben aus – aber es gibt eben auch ne Menge zu verlieren.  
Der Herr Oberarzt schlägt vor es zu akzeptieren, dass alles nebeneinander existieren darf. Die Arbeitsmondkind, über die sich – abgesehen von mir – niemand wirklich Sorgen macht. Die emotionale Mondkind, die gerade sehr verletzt ist. Die Mondkind, die abends das Leben so sehr in Frage stellt. Das alles bin ich irgendwo ich. Aber es geht darum eine Mondkind daraus und darin zu finden, die weiß wer sie ist, wo sie hin will, wo ihre Grenzen sind. Sich selbst gegenüber und anderen Menschen gegenüber. Und das wird ein Weg von dem uns beiden nicht ganz klar ist, wie der zu gehen ist.
Er muss dann aber auch los und schlägt vor, dass wir die Tage nochmal reden. „Meine Nummer haben Sie immer noch. Wenn es kracht, rufen Sie jederzeit an. Ich bin für Sie da.“
Ich bin sehr dankbar für diesen Menschen. Dass er alles sieht. All die guten Dinge, all das, das funktioniert. Aber auch die schweren Seiten und dass er die auch an die Hand nimmt. Das gibt dieser destruktiven Mondkind in mir das Gefühl gesehen zu werden und dann muss die gar nicht so aufdrehen.

Da neigen sich zwei anstrengende Tage dem Ende.
Und doch habe ich irgendwie auch ganz viel Leben dazwischen gespürt.
Erfahrungen gesammelt.
Und manchmal denke ich – egal wie verletzt eine Mondkind auch manchmal sein kann – aber es gibt irgendeinen unerschütterlichen Kern, der sich dem Trotz entgegen stellt und nie so ganz aufgibt.
Die Tage werden wieder heller. Ganz bestimmt. Und bis dahin ruhe ich mich in der Mitte der Neuro aus, habe ein paar liebe Menschen um mich herum und albere auch sonst mit ein paar Kollegen herum. Es muss nicht immer alles perfekt sein, um gut genug zu sein. Manchmal sind all die Stolpersteine gut genug.


Mondkind


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