Zwischen Spätdienst und Dienst

So - wer gerade keine Lust auf zu viel Negativität hast, liest den Blogeintrag lieber nicht... Irgendwo muss es hin, also findet es hier bei mir Platz
***

Irgendwie denkt man jedes Mal, man ist vorbereitet.
Weil man doch weiß, dass diese Beziehung der Inbegriff von Instabilität ist.
Und jedes Mal stellt sich heraus: Ich bin nicht vorbereitet.

Aber ich bin so weit weg von mir, wie ich es nur sein kann.
Gerade Freitag hatte ich es noch mit dem Intensiv – Oberarzt im Gespräch. Man weiß, um die Stolpersteine.
Man weiß, dass sich der Tod des Freundes am Montag das dritte Mal jährt. Man weiß, dass man in einer Beziehung ist, die mehr als unklar ist. Man weiß, dass man im Herbst den Job wechseln wird und es das bekannte Umfeld nicht mehr geben wird.
Man weiß das alles. Und kann sich nicht mehr damit beschäftigen. Weil Leben mal mehr sein muss, als ständiges Drehen um all das, was immer wieder passiert; weil man neben dem Stress nicht mehr alltagsfähig wäre.

Und wenn man dann doch drin steht, dann haut es einen um.

Wenn der Freund schon anfängt, dass er über das Thema Beziehung reden will, kriege ich mittlerweile Herzrasen. Ich kann gar nichts dagegen tun, obwohl ich mir doch vorgenommen habe, dass es mir nicht mehr so wichtig sein soll.
Und meistens beginnt er auch nur darüber zu sprechen, wenn er Abstand generieren will – von daher ist das grundsätzlich ein schlechtes Zeichen.

Und damit fängt er eben an gestern Abend, während wir uns noch kurz die Füßchen vertreten.
Irgendwo zwischen einem Spätdienst am Vortag und einem Dienst am nächsten Tag.
Ohne viel Zeit, irgendetwas dazwischen zu reflektieren. (Genau deshalb sind solche Stippvisiten immer schwierig – weil er dafür eben kein Timing hat).
Nachdem ich glaube ich monatelang auf ihn eingeredet habe, dass wir nicht das Eine leben und das Andere definieren können, hat er sich entschieden. So, wie ich das erwartet hatte. Gegen die Beziehung.

Ich wünschte, das wäre für mich nicht immer wieder dieselbe Katastrophe.
Insbesondere, wo es ja im Prinzip schon bekannt ist.
Wo es klar war, dass es keinen Sinn mehr hat, darin zu vertrauen.
Aber es ist eine Katastrophe.

Ich kann mich an den verstorbenen Freund erinnern, an den ich viel denke, in diesen Tagen.
Er hat mal etwas gesagt wie „Du bist meine letzte Chance“. Es war hart, aber ich wusste, dass er Recht hatte. Mit dem Altersunterschied den wir hatten, hatte er  nicht mehr viele Chancen eine Familie zu gründen. Und wir sind immerhin nie an dieses Thema mit der Sexualität ran gekommen.

Ich wollte es irgendwie besser machen, beim nächsten Mal.
Aber ich weiß auch, dass das ein unendlicher Kampf für mich war.
Und, dass es dem Freund am Ende nicht gereicht hat.
Ich weiß, dass er meine Chance war. Die Letzte. Mit und trotz dieser Vorgeschichte noch eine Familie zu gründen. Etwas, das ich mir so sehr gewünscht habe.
Ich weiß, dass ich das nie wieder probieren werde. Weil die Wahrscheinlichkeit, dass man alles investiert, um am Ende nichts daraus mitnehmen zu dürfen, doch zu hoch ist. Es ist ein Preis, den ich nicht nochmal bereit bin, zu zahlen.

Und ich liebe ihn natürlich. Immer noch. Ich habe nie jemanden so geliebt, wie ihn. Mir nie so sehr gewünscht, teilhaben zu dürfen im und am Leben eines anderen. Er war mehr, als dieser egoistische Gedanke meine eigene Geschichte zu überschreiben. Und eine Weile habe ich glauben dürfen, dass es ein Wir gibt, eine Zukunft die anders und bunter wird, als das was war.

Die Begründung war übrigens wieder mal der Knaller: Wir sollten nicht mehr miteinander schlafen, denn wenn er mal eine Frau findet, mit der es im Bett besser funktioniert, könnte es sonst ein bisschen hart für mich werden.
Hört er sich eigentlich selbst beim Reden zu? Hat er noch alle Pfeile im Köcher? Das klingt, als hätte er irgendwie ein Mal für mich gedacht, aber Prinzip möchte er wahrscheinlich sich einfach nur keine Gedanken mehr machen, wenn die Nächste vor der Tür steht. Vielleicht hat er das realisiert die letzten Wochen. Vielleicht gibt es die auch schon, ich weiß nicht.
Und abgesehen davon denkt er das Ende vor dem Anfang. Das habe ich ihm auch gesagt und er hat es natürlich nicht verstanden. Wie kann ich denn über Sexualität reden, wenn ich nicht mal die Beziehung definiert habe? Natürlich funktioniert es nicht, dass wir miteinander schlafen, wenn wir nicht mal offiziell ein Paar sind. Ich glaube nämlich auch nicht, dass er Verantwortung übernehmen wird, wenn es mal schief geht. Kann er das nicht ein Mal aus Sicht der Frau sehen, die dann alleinerziehend mit einem Kind unterwegs ist?





Und von allem was passiert ist, ist es nicht mehr weit bis zur Sinnfrage.
Ich wünschte, die würde sich nicht jedes Mal in solchen Situationen stellen. Weil ich schon verstehe, dass die Menschen das falsch verstehen. Als eine Art Erpressung, aber so ist es nicht gemeint. Und deshalb darf man das in diesen Situationen nie laut sagen.
Wie sehr sich der Gedanke aufdrängt, dass die Sonnenauf- und Sonnenuntergänge gezählt sind. Und manchmal macht es mir so sehr Angst. Nicht mehr wegen mir, ich bin so okay damit. Sondern wegen der Menschen, die dann bleiben. Ich weiß, dass für meine Schwester die Welt untergehen würde.

Es ist, als würde die Welt eng werden. Innerhalb von Sekunden. Nachdem er die ersten beiden Sätze gesprochen hatte wusste ich, wie das enden würde. Es war, als würde mich eine Welle überspülen und als würde ich die Oberfläche nicht mehr finden. Ich wusste, dass ich inhaltlich gar nichts würde sagen können. Weil es gerade nur darum geht diesen Kampf in mir drin dort zu behalten und nichts davon ins Aussen kommen zu lassen. Und dann bist Du innerhalb einer Sekunde komplett alleine. Mit Dir, dem Schreien im Kopf und in der Welt, in der Du lebst.

Freitag haben der Intensiv – Oberarzt und ich nochmal geredet.
Eigentlich war ich der Meinung, ich brauche das gerade gar nicht dringend. Weil es in all dem Chaos irgendwie stabil ist. Bis ich bei ihm plötzlich in meinem Augenwinkel ein paar Tränen gespürt habe und realisiert habe, wie weit weg ich gerade von mir bin, um dieses Chaos nicht fühlen zu müssen.

Hinsichtlich des Montages hat er vorgeschlagen, dass ich die guten Momente mit dem verstorbenen Freund aufschreibe, den Zettel in einen Umschlag verpacke und auf meinen Arbeitsplatz lege. Vielleicht hilft das ein bisschen gegen die gefühlte Ohnmacht, den Schrecken, den dieser Tag im Jahr für immer tragen wird.
Ich fand die Idee gut. Das ist nicht irgendetwas Therapeutisches, es kam einfach aus dem Bauch heraus und manchmal braucht es genau das.
Und wenn es trotzdem nicht geht, dann soll ich ihn anrufen, hat er gesagt. Dann kommt er rüber in den Neubau, weil ich aus der ZNA, in der ich nächste Woche arbeiten muss, nicht weg kann.
Ich war ganz zuversichtlich, dass ich das irgendwie hinkriege – auch, wenn ich trotzdem dankbar für das Angebot war. Eine Sicherheit für solche Tage in der Hinterhand zu haben, bei denen ich am Ende doch im Vorhinein schlecht abschätzen kann, wie es mir geht, ist immer gut.
Aber zwei Beziehungsenden werde ich dann doch nicht schaffen. Und manchmal denke ich, vielleicht soll ich ihm einfach mein Hirn ausschütten. Einfach, damit ich das überlebe. Und ich weiß, dass es unfair ist. Weil ich nicht möchte, dass er ständig zu tun hat mit mir. Und ich mir so sehr vorgenommen habe, alleine zurecht zu kommen. (Allerdings müsste ich proaktiv auf ihn zu gehen, wir sind nämlich nicht verabredet (und das ist wenn es mir so schlecht geht super schwierig) und Zeit habe ich auch nicht, weil ich in der ZNA arbeite – vielleicht sind das genug Zeichen, die dagegen sprechen)

Wahrscheinlich reagiere ich da jedes Mal so über, weil das mit den zwischenmenschlichen Bindungen das Thema meines Lebens ist. Ich wünsche mir so sehr, einfach mal irgendwo bleiben zu dürfen. Menschen um mich herum zu haben, die ich liebe. Und die mich auch ein bisschen lieben. Nicht nur einen Platz in der Arbeitswelt zu haben, sondern auch in meinem Herz. Und umgekehrt zu spüren, dass ich einen Teil meines Herzens an einen anderen Menschen gegeben haben. Vielleicht ist das auch das Schwerste im Leben. Schwerer, als jedes Studium, jeder Job, jede Entscheidung über Leben und Sterben auf den Fluren der Notaufnahme. Vielleicht ist das so kompliziert mit diesen Beziehungen – insbesondere für jemanden, der einfach jahrelang beinahe abgeschnitten von der Welt war – dass das meine Kompetenzen für immer übersteigt.

Und irgendwie habe ich mir die Nacht schon mal überlegt, wie ich das jetzt mache. Ich habe vier Dienste in den nächsten zwei Wochen. Ich kann das doch nicht die Kollegen spontan machen lassen. Möhrchen muss demnächst zum TÜV, das sollte ich vielleicht auch noch erledigen. Die Steuererklärung für dieses Jahr ist auch noch nicht gemacht. Und gerade ist auch noch ein Briefkastenschlüssel abhanden gekommen - naja, ich Tröte habe ihn mit der Post verschickt, damit der Freund rein kommt; ich bin ja schon froh, dass es nicht der Haustürschlüssel ist.
Ich habe mir immer vorgestellt, dass man am Ende Zeit hat, die Dinge in Ruhe zu erledigen. Aber wenn der Druck dahinter so immens hoch bleibt, wie er es aktuell ist, dann bleibt keine Zeit mehr. Dann ist es einfach so. Und ein paar Dienste können die Kollegen machen. (Und wer hat extra in zwei Wochen noch einen Dienst mit einem Kollegen von einem Sonntag auf einen Freitag getauscht. Das ist zwar der schlimmste und längste Dienst in der Woche den man machen kann, hätte uns aber etwas mehr Zeit generiert...)

Jetzt geht es erstmal in den Dienst.
Wie ich mit so einem Hirn Dienst machen soll, weiß ich zwar nicht, aber bekanntlich fragt danach niemand. Man kann sich überlegen, wie viel ich wohl die Nacht geschlafen habe.
Atmen. Bei den Patienten sein. Hoffen, dass die meisten Fälle Routine sind. Und nach einer kurzen Nacht heute, nachdem der Dienst ja allein offiziell bis 22 Uhr geht, in den Montag starten.

Und wenn es möglich sein sollte, werde ich das Leben vermissen. Von dort aus, wo ich dann bin. Die Zeit, als ich geglaubt habe, dass aus Dämonen Schatten werden können und man darüber die Pirouetten es Lebens tanzen kann.
Ich hab’s fast nochmal erlebt diesen Sommer. Ich werde nie vergessen, wie sich mit jeder Berührung von ihm eine Gänsehaut auf meinem Körper gebildet hat. Wir waren nochmal auswärts essen, haben Eis im Lieblingspark verspeist, hatten nochmal ein paar Momente für uns.
Es ist der richtige Zeitpunkt. Glaube ich. Besser wird’s nicht mehr.

Mondkind

 

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