Zwischen Abschied und Diensten

Ich kann nicht sagen warum, aber es hat sich angefühlt wie ein Ende.
Es war zu schön, um zu bleiben, das hatte ich ja schon gelernt, in dieser Beziehung.

An dem Wochenende vor drei Wochen.
Als wir draußen auf seinem Balkon saßen, zu Abend gegessen und es genossen haben, dass es allmählich kühler wird draußen.
Ich saß auf meinem Holzstuhl, den Blick über die Siedlung gerichtet, in die Ferne, in Richtung des Waldes am Stadtrand.
Den Kopf an die Wand neben mir gelehnt.
Er hinter mit stehend mit seinen Händen um meinen Oberkörper geschlungen.

Hände.
Sind übrigens so ein Kriterium.
Männer müssen schöne Hände haben.
Sonst funktioniert das nicht.
Wahrscheinlich hat jeder so seine Macken, was die wichtigen, aber völlig sinnlosen Kriterien anbelangt.

Tatsächlich wurde diese Beziehung immer von einem Wirbelwind durchzogen, wenn man gerade geglaubt hat, dass man sich ein bisschen zurück lehnen kann, dass es ein bisschen ruhiger wird. Es schien fast Gesetz zu sein und Ruhe zwischen uns Beiden war schon immer etwas gefährlich.

Und so war es dann auch.
Ich wusste nie, wann dieser Moment kommt. Aber wahrscheinlich haben wir den erlebt am letzten Sonntag. Den Moment des Abschiedes.
Der letzte flüchtige Kuss auf meiner Türschwelle, ehe ich los rasen musste zum Dienst. Und wie immer habe ich gehofft, dass wir das nochmal hinkriegen, aber das sieht nicht so aus.
Schon komisch, dass die letzten Momente in meiner Wohnung bleiben, wo ich doch so oft bei ihm war.

Wenn ich an uns beide denke, dann sehe ich mich nicht mehr in der Situation. Dann ist es, als würde ich von Außen auf die Situationen aus dem Gestern schauen, einer Mondkind zusehen, die so lange versucht hat, diese Beziehung zu stabilisieren.

Ich hänge meistens sehr lange an Menschen, auch wenn es längst Zeit ist, die loszulassen. Ich habe mich da auch schon sehr gequält in meinem Leben. Aber irgendwann kommt dieser Punkt, an dem Gehen oder Bleiben keine Frage mehr ist. An dem das von Heute auf Morgen einfach klar ist. Und ich glaube, der Freund hat den Bogen da letztes Wochenende sehr überspannt.
Tatsächlich habe ich seit dem letzten Sonntagmorgen nichts mehr von ihm gehört. Ich glaube, es interessiert ihn auch einfach nicht. Die Frage, ob er gut angekommen ist, hat er unbeantwortet gelassen und nach dem verloren gegangenen Briefkastenschlüssel – was immerhin ein Problem von uns Beiden ist, weil ich den nur mit der Post durch die Gegend geschickt habe, weil er sich vehement geweigert hat, den Haustürschlüssel bei mir auf der Arbeit abzuholen – hat er auch nicht gefragt.

Und ich glaube, langsam verstehe ich. Ich glaube das mit uns, das war wie mit dieser anderen Frau kürzlich. Er hat das einfach toleriert. Mich. Hat mich weder weg geschoben, noch zu sich heran gezogen. Ich war wie ein Schmetterling, den man um sich herum schwirren lässt, es genießt, wenn er sich mal kurz auf den Körper setzt, bis er beschließt woanders hin zu fliegen. Vielleicht war ihm das nie wichtig. Und vielleicht war das deshalb so schwer mit ihm irgendwie umzugehen. Weil ich immer angenommen hatte, da gibt es irgendeine Basis und wahrscheinlich gab es die nie.

Und so sehr, wie ich mir auch einen Partner an meiner Seite wünsche und so sehr wie der Gedanke, dass wir Situationen wie die auf seinem Balkon nicht mehr erleben werden weh tut, aber ich glaube langsam wird selbst mir klar, dass es so nicht geht.
Ich hatte ein paar Mal den Impuls ihm zu schreiben diese Woche, aber ich habe es gelassen. Ich wüsste nicht, was wir uns zu sagen haben. Ich vermisse ihn schon – aber wahrscheinlich eher die Vorstellung von ihm, die ich letzten Sommer noch hatte. Es ist hart, aber ich weiß jetzt auch – nicht, weil es von außen gesagt wurde, sondern, weil ich es selbst fühle – dass das der richtige Weg ist. Aber dann eben ganz. Wir sollen uns nicht mehr sehen, glaube ich. Denn wie singt Florian Künstler in „Halbe Liebe“. „Freier Fall, wenn wir uns wieder sehen.“ Und ich habe ihn eben ganz geliebt. Und ein bisschen wird mein Herz immer an ihm hängen. Ich glaube, dass jedes sich begegnen doch wieder die Hoffnung auf ein gutes Ende auslösen wird. Die jedes Mal wieder enttäuscht werden muss. Und deshalb sollen wir das lassen.

„Behalten Sie die guten Momente im Herzen“, hat der Intensiv – Oberarzt schon mehrfach zum Thema Abschied gesagt. Irgendwie regt sich da immer viel Widerstand in mir, aber ich weiß, dass er Recht hat.
Und ich habe jegliche gute Momente zwischen uns immer genossen und wie ein Schwamm aufgesogen. Klar, wir haben nie erlebt, was zumindest ich mir damals gewünscht habe. Wir haben nicht einen Tag offiziell zusammen gewohnt, wir haben nicht geheiratet und auch keine Familie gegründet. Wir waren nicht mal so richtig zusammen im Urlaub und ich habe mir das immer sehr gewünscht das zu erleben, mit ihm in Italien am Meer zu sitzen. Die im letzten Jahr schon lang gehegte Vorfreude auf den Italien – Urlaub hat mich fast ein bisschen an die kleine Mondkind erinnert, die diese Touren nach Italien sehr geliebt hat vor bald 20 Jahren.
Und gleichzeitig hat mir der Tod des verstorbenen Freundes gezeigt, dass man eben nicht auf Morgen warten sollte in zwischenmenschlichen Verbindungen. Dass Ziele gut sein mögen, aber jeder Moment in jeder Beziehung doch ein kleines Bisschen Ewigkeit sein sollte.


Letzer Spaziergang durch den Park.


***

Die Woche war anstrengend. Ich hatte kaum Zeit, mich von meinem Sonntagsdienst zu erholen.

„Mondkind – ich schicke Dich wieder auf die Station, wenn das so weiter geht“, hat der Oberarzt im Scherz am Dienstagabend zu mir gesagt, als wir in den ersten Tagen des neuen Monats schon knapp 50 neurologische Patienten in der Notaufnahme gesehen und zusätzlich unzählige Konsile in den anderen Fachabteilungen erbracht hatten.

Mir geht es nicht wirklich besser. Ich war kaum zu Hause die letzten Tage und wenn, dann war ich sehr unruhig dort.
Wenn der Druck im Kopf mal ein paar Stunden ein bisschen geringer ist genieße ich das sehr und wenn nicht – versuche ich das irgendwie auszuhalten.
Ich denke von heute auf morgen und allein die nächsten 24 Stunden scheinen eine kleine Unendlichkeit zu sein.

Der Oberarzt versucht zu helfen wo er kann, aber natürlich kann ich ihn auch nicht ständig belasten. Und ich glaube – zumindest ist es bei mir so – dass diese gefühlte Ausdehnung der Zeit in solchen Krisen etwas ist, das man kaum einem Menschen verständlich machen kann. Wir haben beide wenig Zeit und kürzlich schlug er vor, dass wir in der übernächsten Woche – in meiner nächsten Spätdienstwoche – ja nochmal reden könnten.
Ich habe mich diese Woche an die ehemalige Frau Therapeutin erinnert, bei der ich in solchen Wochen manchmal jeden zweiten Tage kurz sitzen durfte. Und es war nicht so, dass wir uns viel zu erzählen gehabt hätten – der Kopf ist ja generell nur auf destruktiven Gedankenschleifen unterwegs, die kaum teilbar sind. Aber es hat mir viel Sicherheit gegeben, alle zwei Tage mal ehrlich reflektieren zu dürfen, ob der „Leben – Wollen – Teil“ den „Nicht – Leben – Wollen – Teil“ im Griff hat.

Und manchmal findet ein Teil von mir es unfair, dass sich beinahe mein ganzes Lebens danach richtet, über Krankenhausflure zu rennen, ein Ohr für die Patienten und die Kollegen zu haben - möglichst zeitnah - und auch mit der Erwartung Lösungen zu finden und Druck raus zu nehmen, während ich – selbst wenn ich das wollte – es nicht schaffe, mir ein Ohr zu generieren.
Der Oberarzt würde mich auch öfter bei sich im Büro sitzen lassen, wenn ich das irgendwie schaffen würde, zwischen 11 und 15 Uhr bei ihm aufzutauchen. Aber das ist einfach unmöglich. Und am Dienstag – wo ich das nächste Mal dienstfrei habe – kommen um 12 die Handwerker, da muss ich auch spätestens 11:15 Uhr weg. Das ist eigentlich ziemlich unnötig, aber die Vermieterin hat mir den Termin einfach aufs Auge gedrückt und ich war ja schon froh, dass ich zufällig dienstfrei habe. Aber wie wichtig das ist, einfach mal gehört werden zu können in solche Krisenzeiten und dass sich dann auch mal irgendetwas hinten anstellen muss, kann man den Menschen nicht begreiflich machen. Weil die Seele weiterhin unsichtbar schreit. So lang sie eben kann.

***
In der Nacht von Freitag auf Samstag.
Irgendwann weit nach Mitternacht.
Die Notaufnahme beruhigt sich allmählich, aber die Dokumentation zieht sich.
Das Telefon klingelt.
„Mondkind, hier steht so ein Kollege von der Chirurgie, der möchte Dich sprechen.“
„Der kann doch anrufen, oder nicht?“, sage ich zur Kollegin von der Pflege – ich sitze gerade zwei Flure weiter und dokumentiere.
„Er möchte Dich persönlich sprechen“, entgegnet die Pflege. Ich verdrehe innerlich die Augen.
„Der Flo hier – Mondkind kommst Du mal kurz?“ sagt plötzlich eine mir bekannte Stimme; die Pflege hat das Telefon weiter gereicht.
Ich stehe auf und schlappe auf den Stützpunkt. Dort wartet schon der Kardiochirurg auf mich.
„Hey Mondkind – ich wollte Dir nur sagen, ihr könnt den Patienten, den Ihr da übernehmen wollt jederzeit holen – der liegt auf der IMC und ist von unserer Seite aus fertig.“
„Und dafür sind Sie jetzt extra hier auf die Station gelaufen, um mir das zu sagen oder wie?“, frage ich.
„- Du - Mondkind – das hatten wir doch schon. Nicht –Sie-.“
„Okay, ich weiß Bescheid, wir holen ihn.“
„Ich warte auf Deinen Anruf“, sagt er.

Er verschwindet wieder. In den letzten anderthalb Wochen hatten wir ständig  - ob nun im Spätdienst oder im Dienst – Berührungspunkte und ich habe ihm vier Patienten abgenommen, die alle wirklich neurologisch etwas hatten. Von Schlaganfall über Blutung bis zu einem bis dato unbekannten Gehirntumor war alles dabei.
„Mondkind – sei nicht so hart zu ihm. Du kannst doch wohl nachts um Zwei mal ein bisschen flirten“, sagt die Pflege.
„Am Ende kommt er noch zu Ideen“, entgegne ich.
„Der ist doch nett. Und ungefähr so alt wie Du. Ich hoffe, er hat keine Freundin, wenn er sich so verhält.“
„Naja, ein bisschen überheblich finde ich ihn schon. Aber das muss man vielleicht sein als Kardiochirurg. Aber sonst ganz nett, das ist richtig. Er ist mir vorher noch gar nicht so aufgefallen, ich denke er ist recht neu. Er hat schon irgendwie etwas, aber…“
„Aber… - vielleicht würde Dir das gut tun…?“
„Naja ich brauche eine Pause jetzt. Die Geschichte mit dem Ex – Freund war echt hart. Zwischendurch habe ich ja mal versucht jemanden kennen zu lernen, aber das hat sich so dermaßen falsch angefühlt bei einem anderen Typen auf dem Sofa zu pennen. Und dann ist mir klar geworden, dass ich den ehemaligen Freund wirklich noch sehr vermisse. Ich habe den wirklich geliebt. Sehr sogar. Und ich glaube, ich brauche noch eine Weile. Vielleicht soll ich eine zeitlang mal ohne Freund bleiben.  Das wäre jetzt für uns beide nicht gut. Und außerdem bin ich mir nicht wirklich sicher, ob er wirklich Single ist – ich habe da irgendwo von irgendwem etwas gehört.“
„Na das finden wir raus“, sagt die Kollegin. „Ich habe eine Freundin, die arbeitet auf der Kardiochirurgie.“
„Na dann mach Du erstmal die Hausaufgaben und dann schauen wir mal. Ich glaube tatsächlich, wenn ich jetzt ganz unbedarft mit der Situation wäre, wäre er zumindest mal ein Date wert. Wenn er weiterhin dezent arrogant wäre, dann wäre das schnell gelaufen, aber immerhin spielt hier jeder irgendeine Rolle. Aber so in der jetzigen Situation…“

Es ist der nächste Morgen, als ich ihn wegen der Blutverdünnung des gestern Abend übernommenen Patienten nochmal anrufen muss.
„Guten Morgen Mondkind“, sagt er sofort.
„Guten Morgen. Ich habe mir gedacht, ich versuche mal um kurz vor acht Uhr Dich anzurufen. Das ist hoffentlich vor Deinem Dienstende, aber geweckt habe ich Dich hoffentlich auch nicht.“
„Nein hast Du nicht. Aber bei Dir hätte ich auch kein Problem, wenn Du mitten in der Nacht anrufst.“
Ich lasse das einfach mal unkommentiert.
Ich würde lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass das irgendetwas mit mir macht. Aber es geht jetzt wirklich nicht. Und an sich haben wir kaum Berührungspunkte mit der Kardiochirurgie. Das waren jetzt schon merkwürdige Zufälle. Es dürfte also nicht sehr schwer sein, sich aus dem Weg zu gehen.

***
Eigentlich war ich heute nur Einkaufen. Und habe mit meinem halb schlafenden Gehirn die Hälfte vergessen. Unter anderem die Minze für den Feta – Melonen – Salat. Das ist schon ärgerlich, weil ich auch die ganze Woche nicht mehr zum Supermarkt kommen werde. Nächste Woche schon wieder zwei 24 – Stunden –Dienste; da muss man zusehen, dass man an den Arbeitstagen zwischendurch halbwegs zurechnungsfähig bleibt und das Schlafdefizit minimal ausgleicht.

Morgen wird nur ein bisschen Haushalt gemacht – zu lange wird es nicht dauern; immerhin habe ich die Bude ziemlich gründlich für das letzte Wochenende geputzt gehabt. Und Montag geht es in den nächsten Dienst. Betet für mich, dass der Oberarzt und ich vielleicht nächsten Dienstag doch noch kurz Zeit finden. Irgendwie so zwischen 11 und halb 12; aber dann muss ich allerspätestens los, um irgendwie um 12 Uhr auf der Matte zu stehen für die Handwerker. Die Wahrscheinlichkeit, dass das klappt ist sehr gering, helfen würde es mir aber glaube ich sehr.

Mondkind

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