41 Monate - von einem nahenden Besuch

Mein lieber Freund,
dreieinhalb Jahre. Auf den Tag.
Wie die Zeit vergeht.
Und gerade in den letzten Wochen fliegt sie. Es ändert sich so viel. Das Leben an sich wird so gut gerade. Ich bin so unfassbar dankbar für die Zeit jetzt.

Ich lieg so oft abends im Bett und denke an unsere Café – Dates. An das Letzte das wir hatten, kalt war es damals. Ich würde Dir so gern so viel erzählen. Davon, dass ich meinen Platz gerade finde. Und der ist nicht nur eingebettet in irgendeinem Job, sondern auch ein bisschen in mir selbst. Ich bin so zufrieden mit dem, was ich tue. Und fühle eine tiefe Ruhe in mir.

Die Psychosomatik ist weiterhin das Beste, das mir seit langer Zeit passiert ist. Ich hänge mich rein, ich lese meine Bücher, ich mache mir Gedanken, was meine Gruppe voran bringt. Ich bin so froh, wenn ich nach der Gruppe, oder in einem Einzel höre: Das hat mich weiter gebracht. Ich bin so glücklich, wenn ich sehe, dass das was ich mache ein kleines Puzzleteil davon ist, Menschen zurück ins Leben zu begleiten. Ich finde das so sinnstiftend, so persönlich befriedigend und ich gehe jeden Abend eigentlich glücklich heim.
Und daneben knüpfe ich Kontakte. Ich lerne die Kollegen kennen, von einer werde ich vielleicht auch bald mal den Hund betreuen dürfen, wenn sie Dienst hat. Manchmal fühlt sich das alles ein bisschen wie eine Studentengemeinschaft an, oder so. Gar nicht so abgehoben, wie Viele in der Neuro. Keine Menschen, die Dich permanent treten, die Dir permanent sagen, dass Du zu wenig bist.
Wir hätten die besten Café – Dates jetzt. Und manche Sätze habe ich immer noch im Tonfall im Ohr, mit dem sie aus Deinem Mund kamen: „Mondkind, Klaus Grawe hat dazu gesagt…“, ist einer davon.

Wahrscheinlich hätte es manchmal im Leben Sinn gemacht auf die Menschen zu hören, die mich am Besten kennen. Auf Dich zum Beispiel. Aber irgendwie war ich – obwohl ich wusste, dass sie mir nicht gut tun – viel zu sehr auf meine Eltern fixiert. Heute kann ich sagen: Da scheiß ich drauf.
Letztens habe ich meiner Mama gesagt, dass doch alles am Ende gut gegangen ist. Ich habe doch nichts wirklich falsch gemacht, auch wenn ich nichts so gemacht habe, wie sie das wollte. Okay, das Medizinstudium eben leider schon, aber da kommt ja wahrscheinlich auch eine Umorientierung.

Und manchmal denke ich mir, wir waren einfach beide zu unsicher. Um den anderen zu halten. Um uns wirklich nur auf uns zu verlassen. Um auf unser Umfeld nicht so das Gewicht zu legen. Um wirklich zu wissen, dass wir uns haben und dass das reicht.
Ich will mich da nicht raus nehmen. Ich ändere mich gerade so sehr. Ich entdecke gerade das Leben und mich so sehr neu. Und ich wünschte, ich hätte das schon damals getan. Ich wünschte, ich hätte damals zumindest schon ein paar der Einstellungen gehabt, die ich heute habe. 



Ich fahre Deine Mum besuchen. Nächste Woche. Und Dich. Wie unfassbar viel ist passiert, seitdem ich letztes Jahr mit der grünen Übergangsjacke, dem Schal um den Hals und den Autoschlüsseln in der Tasche, die uns vielleicht hätten retten können, bei Dir stand.
Ich wollte es doch noch machen dieses Jahr. Wir wollen Dein Grab ein bisschen neu gestalten. Und das Holzkreuz soll da demnächst weg – Du sollst einen kleinen Grabstein bekommen. Ich bring Dir eine Blume mit. Und ein Kerzchen. Okay? Einverstanden damit? Und wir bringen Dir die Holzkiste mit ein paar der Briefe. Alle passen gar nicht rein.
Und dann fahre ich in die Studienstadt weiter. Mir wäre es lieber, ich könnte danach an einem Platz sein, an dem ich erstmal sicher bin, aber… - wo sollte der auch sein? Aber ich grüß die Stadt von Dir. Obwohl ich mir manchmal denke, dass die Studienstadt für Dich nur ein kleiner Abschnitt in vielen Kapiteln Deines Lebens war. Aber ich habe Dich dort kennen gelernt und für mich war es alles, was ich kannte. Du wirst für mich immer untrennbar mit dieser Stadt verbunden sein, obwohl Du nicht die meiste Zeit dort gelebt hast.

Und ich bin mal gespannt… ehrlich gesagt hat halt das Arbeiten in der Psychosomatik schon nochmal sehr die ganze Geschichte mit uns beiden hoch geholt. Ich habe es grob einem der Oberärzte erzählt. Nachdem er gekündigt hat. Weil ich diese Spannung alleine einfach nicht mehr aushalten konnte. Die Idee war jetzt, dass Supervision vielleicht helfen könnte. Ich hab da auch schon jemanden an der Angel. Aber manchmal weiß ich nicht, was da raus kommen soll.
Ich würde es gern verstehen, was damals passiert ist. Warum wir gehandelt haben, wie wir gehandelt haben. Um irgendwann Frieden damit zu finden. Aber ich glaube, vielleicht kann man das nicht verstehen. Ich habe mir fest vorgenommen, mich da erstmal drauf einzulassen. Allein aus dem kurzen Gespräch mit dem Oberarzt kamen so super viele Impulse, die ich erstmal ein paar Tage sortieren musste. Und ich gehe wieder zur AGUS – Gruppe.
Es war doch zu früh, das Thema zu den Akten zu legen.

Oh, und dann ist ja auch heute noch der erste Advent. Es fühlt sich gar nicht nach Weihnachten an, irgendwie. Vielleicht auch, weil ich dieses Jahr mal wieder keine Ahnung habe, wo ich Weihnachten sein werde. Vielleicht, weil es in solchen Momenten durchdrückt. Dass zwar alles im Gesamten besser wird, aber gerade an diesen „sensiblen Tagen des Jahres“, wie der Intensiv – Oberarzt sie kürzlich nannte, wird eben auch deutlich, wo ich her komme. Und dass manche Dinge immer fehlen werden. Aber bei Dir war es Weihnachten oft ähnlich. Die Eltern getrennt, jeder hat sein neues Leben, ein bisschen waren wir Kinder ein Überbleibsel aus einer gescheiterten Beziehung, an die man nicht erinnert werden wollte. Du bist in diesen Tagen meist trotzdem vom Norden in den Süden des Landes gegondelt, um bei den Eltern Hallo zu sagen.

Wir begegnen uns nächste Woche!
Bis dahin
Mondkind



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