Ein Jahr

Ich bin mir nicht sicher, ob der Tag heute einen Blogeintrag verdient.
Es wäre mir auch gar nicht richtig aufgefallen, würde ich den Urlaub nicht doch ab und an dazu benutzen mit Menschen zu reden, mit denen ich nur ganz selten rede.
Heute hatte ich Kontakt mit einer Bekannten. Früher, als ich noch zu Hause gewohnt habe, hatten wir mal viel miteinander zu tun und sie hat mir auch beim Ausziehen geholfen; danach haben wir uns aber nur noch selten gesprochen.
Sie hat in den letzten Tagen meine Bilder im whatsApp – Status gesehen und mich gefragt, wie es mir geht. Wir haben seit über einem Jahr nicht geredet. „Ist das immer noch derselbe Freund?“, fragt sie. „Nein, wir haben uns schon letztes Jahr im Dezember getrennt“, gebe ich zurück. „Am 18. Dezember…“ Ich überlege kurz. „Also genau heute vor einem Jahr, fällt mir gerade auf.“

Am liebsten würde ich die Mondkind von vor einem Jahr heute in den Arm nehmen. Ihr nur zwei Sekunden von diesem Leben zeigen, das sie in genau einem Jahr leben wird. Dass sie einen Tag zuvor mit ihrem Freund aus dem ersten gemeinsamen Urlaub zurückgekommen ist. Dass sie mit ihm ein erstes Weihnachten zusammen plant. Dass diese Liebe irgendwie den ganzen Dezember gewachsen ist und das in gleichem Maß schön und unheimlich ist.


Aus einer heutigen Perspektive muss ich sagen: Es war richtig damals. Das konnte ich damals zwar noch nicht sehen, weil ich das auch nicht entschieden hatte, aber es war richtig. Das wäre so nicht mehr weiter gegangen. Wir hatten keine Beziehung auf Augenhöhe. Das war alles eine „Wenn – Dann“ – Argumentation. Seitdem wir uns getrennt haben, kommen wir merkwürdigerweise so viel besser miteinander aus, aber für damals ging es nicht mehr und es wird auch nie wieder im Sinn einer Beziehung gehen.

***

Heute ist es auch lustig. Eigentlich wollten wir heute Abend Plätzchen backen. Aber heute hat der Kardiochirurg irgendetwas zum ersten Mal gemacht. Und das bedeutet im Krankenhaus überall: Man hat die Station kulinarisch am nächsten Tag zu versorgen. Also war ich gerade noch schnell Brötchen holen – um zehn vor acht Uhr am Abend; die haben mir die letzten 20 Stück gegeben, die es zum Glück noch gab und jetzt backen wir eben keine Plätzchen, sondern Kuchen…

Ich sitze auf dem Hocker an seiner Anrichte.
„Weißt Du was?“, beginne ich.
„Was?“, fragt er.
„Irgendwie habe ich gedacht, dass ich Dich nach dem Urlaub bestimmt weniger vermissen werde. Da sind die Speicher dann ja erstmal voll. Aber weißt Du, was passiert ist…?“
„Was?“
„Jetzt vermisse ich Dich noch mehr…“
Er lacht.
„Geht es Dir auch so?“, frage ich.
„Ja schon“, entgegnet er und nimmt mich ganz fest in den Arm, ehe er mich zum Sofa trägt, während der Kuchen schon im Ofen chillt. Das Rezept hat er übrigens schnell von seiner Mum besorgt. Er ist schon ein klassischer Mann. Aber lieber ein klassischer, chaotischer Mann, der manchmal etwas Strukturierung braucht und dessen Socken im Badezimmer unachtsam vor das Waschbecken geschmissen liegen, wenn es das Mädel dafür ein bisschen auf Händen trägt.

So – jetzt aber schnell zu Bett. Morgen wartet der erste Arbeitstag seit Anfang Dezember…
(Und ich sehe es schon kommen - wir werden am 23.12 Plätzchen backen. Und den Baum schmücken. Ach so und übrigens: Ich habe einen Neuro - Dienst am 31.12 geerbt. Das heißt, wir werden ziemlich sicher auf der interdisziplinären Intensivstation zusammen ins neue Jahr starten. Ist schon so abgesprochen. Findet der Kardiochirurg auch okay. Die kennen mich da ja auch von Diensten - nur uns zusammen noch nicht, deshalb wollte ich ihn erst fragen, ob das okay ist).


Mondkind


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