Reisetagebuch #3 Vom ersten gemeinsamen Urlaub

Es ist verrückt, was aus diesem ersten Blickkontakt geworden ist. Damals, in den ersten Tagen des Julis muss es gewesen sein. Ich weiß nicht mal das genaue Datum, weil meine Idee damals nicht war, aktiv nach Männern Ausschau zu halten. Aber meistens passiert so etwas ja, wenn man es am wenigsten erwartet.
Aus diesem ersten Blickkontakt ist der erste gemeinsame Urlaub geworden. Nicht ganz ohne Bauchgrummeln im Vorhinein. „Ich hab Dich immer kurz, aber nie ganz“ singt Revolverheld in einem ihrer Lieder und so ungefähr hat es sich die letzten sechs Monate angefühlt. Das kann auch mit an meiner mangelnden Eigenschaft liegen im Moment zu bleiben und den Kopf stattdessen gern voll von Sorgen zu haben, aber es ist eben auch objektiv so, dass wir wenig Zeit füreinander haben, wenig mit- und nebeneinander zu Ruhe kommen können. Mehr als eine Nacht haben wir nie miteinander verbracht und das war eigentlich auch immer ungeplant. Eigentlich habe ich mich mehr oder weniger bei ihm einfach eingenistet und er hat mich nicht raus geschmissen, weil ich befand es wäre endlich an der Zeit, das zu probieren.
Wie würde das vier Tage lang funktionieren? Was ist, wenn wir eher so still nebeneinander her leben? Was ist, wenn wir uns in die Haare kriegen zwischendurch? Was ist, wenn wir im engen Zusammenleben Dinge vom anderen mitbekommen, die vielleicht doch absolut nicht passen?

Alles gepackt... ;)



Donnerstag
Wie das immer so ist, wenn man einen dienstfreien Tag schon als Urlaubstag verwenden möchte, gibt es in der Nacht davor viel zu tun für den Kardiochirurgen. Ich stehe schon früh auf, um gegen acht Uhr fertig zu sein, aber da ist er noch sehr weit entfernt von fertig.
Zwar schlappt er dann schon mal nach Hause, aber er ist irre müde und fertig gepackt hat er auch nicht. Es dauert bis zum Mittag, bis ich das „Go“ bekomme meine Sachen ins Auto zu laden und zu ihm zu fahren. Ich stelle das Auto bei ihm ab, lade meine Sachen in sein Auto und komme auch mal dazu den Tannenbaum anzuschauen, den er für dieses Jahr besorgt hat. „So groß, dass ich ihn gerade noch tragen kann“, hatte er gesagt. Der Baum überragt ihn bei Weitem und ist glaube ich einer der größten Bäume, unter denen ich je Weihnachten gefeiert habe. Unter dem Baum liegen ein paar LED – Lichterketten und daneben stehen noch ein paar Boxen mit Kugeln. „Was hattest Du denn die Jahre davor für Lichterketten?“, frage ich, weil die alle noch neu aussehen, ebenso wie die Kugeln. „Ich glaube irgendwelche von meinen Eltern“, entgegnet er. Puh… er behauptet ja, er hatte jedes Jahr einen Baum, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er gar keinen eigenen Weihnachtsbaumschmuck hatte. Komisch, diese ganze Geschichte.

Er packt noch schnell fertig und beinahe 13 Uhr schließen wir die Tür hinter uns. „Ich leg mich nachher auf die Rückbank und Du fährst“, sagt er, als wir auf der Autobahn sind. „Du weißt schon, dass ich ein Automatik – Auto habe“, entgegne ich. „Shit, das hatte ich vergessen“, antwortet er. Ich überlege mir, ob ich es mir nicht doch zutraue das zu fahren, aber abgesehen von einer Fahrstunde vor über einem Jahr saß ich seit 2015 nicht mehr in einem Auto mit Schaltgetriebe und noch nie in so einem großen Auto. Er ist nämlich komplett übermüdet und wenn das Auto keinen Spurhalteassistenten hätte weiß ich nicht, ob wir nicht mal irgendwo in der Leitplanke gelandet wären. „Vielleicht nehmen wir in so einem Fall das nächste Mal Möhrchen“, erkläre ich. „Oder Du lernst mein Auto zu fahren“, sagt er.
Zwischendurch halten wir an, organisieren uns einen Kaffee und dann geht es endlich etwas sicherer weiter. Er trinkt fast überhaupt keinen Kaffee, bei ihm wirkt das Wunder.

Es ist schon dunkel, als wir das Allgäu erreichen. Es liegt noch Schnee, aber da es seit einigen Tagen nicht geschneit hat, sind die Straßen frei.

Und dann stehen wir um kurz vor 18 Uhr in unserem Hotelzimmer. Und alle Achtung – so etwas habe ich in einem Hotel noch nie gesehen. Es ist halt ein Wellness – Hotel und ich war auch noch nie in einem Wellness – Hotel. Im Bad gibt es gleich mal eine Dusche und eine Badewanne nebeneinander und auch das Schlafzimmer ist nicht so klein wie man es kennt, sondern es hat noch Platz für ein Sofa und einen Tisch davor. „Das Zimmer war auf die vier Tage 60 Euro teurer als das Standardzimmer, da habe ich gedacht, ich gönne uns das hier“, erklärt er. „Du bist verrückt, das ist das luxuriöseste Hotelzimmer, das ich je gesehen habe“, sage ich und dann nehmen wir uns erstmal in den Arm und genießen den Moment. Wir zwei hier zusammen im Urlaub.



Das Hotel bietet auch Abendessen an und das nehmen wir an diesem Abend gleich dankbar an – dann müssen wir nicht mehr los. Und das hat es auch in sich. Unser Vier – Gänge – Menü ist sehr lecker.
Den Abend lassen wir dann erstmal in der Badewanne ausklingen – das muss man direkt testen. Und nicht allzu spät am Abend löschen wir die Lichter.

Freitag

Aufwachen...

Da der Herr darauf insistiert hat keinen Wecker zu stellen, haben wir das auch nicht gemacht. Um kurz nach halb 10 werden wir fast zeitgleich wach. (Nachdem einer seiner 30 Handywecker doch um kurz vor sechs Uhr mal geklingelt hat). Und mir wird klar, wie schön es ist schon am Abend davor zu wissen, dass wir beide zusammen wieder wach werden. Dass keiner von uns schnell weg muss, sondern, dass alles einfach ganz entspannt ist.
Frühstück gibt es bis halb 11. Nachdem wir beide durch die Dusche gehuscht sind, ist es viertel nach 10. Als wir den Frühstücksraum betreten werden wir erstmal darauf hingewiesen, dass wir dezent spät sind. „Die sind gestern so spät angekommen und waren sicher müde von der langen Reise“, sagt einer der anderen Angestellten. „Ja, es war ein langer Tag gestern“, bestätigt der Kardiochirurg. Und zum ersten Mal spricht er im Zusammenhang mit mir von „meiner Freundin“. Ob er mich ja nun irgendwie titulieren musste, oder ob das für ihn jetzt wirklich so ist, das weiß ich nicht, aber es hat sich zumindest gut angefühlt.

Nach dem Frühstück wollen wir aufbrechen in Richtung Schloss Neuschwanstein, aber so schnell wird das nichts. Das Auto hat nämlich eine kleine Überraschung für uns. Über Nacht ist wohl Kühlflüssigkeit des Motors abhanden gekommen. „Wir fahren jetzt trotzdem mal los“, sagt er, nachdem er die Motorhaube aufgemacht und die Problematik studiert hat. Ich habe in der Zeit im Handbuch nachgelesen. „Laut Handbuch darf man nicht mal mehr den Motor starten“, entgegne ich. „Dann haben wir ein größeres Problem“, stellt er fest. Er sucht nach Werkstätten in der Umgebung und wir finden eine im Nachbarort. Dort wollen wir hin fahren. „Hier riecht es irgendwie verbrannt“, stellt er fest, unmittelbar nachdem er den Motor gestartet hat. „Aber vielleicht ist das auch psychosomatisch“, fügt er hinzu. „Ich rieche nichts und der Motor läuft auch erst seit einer halben Minute“, gebe ich zu bedenken. „Hast Recht, wahrscheinlich psychosomatisch“, sagt er. Wir sind glaube ich trotzdem beide froh, als wir in der Werkstatt ankommen. Wir müssen eine Weile warten, dann schaut der Mechaniker sich sein Auto an. „Also solange wie überhaupt noch was drin ist kann nichts passieren, auch wenn es weit unter dem Minimum ist“, beruhigt er uns schon mal und füllt erstmal die Kühlflüssigkeit wieder auf. Da das Auto ohnehin zur Inspektion muss und laut des Kardiochirurgen „immer schon ein bisschen mehr Kühlflüssigkeit gebraucht hat“, beschließen wir noch eine Reserve mitzunehmen und das die Tage mal streng im Auge zu behalten – nicht, dass es ein Leck gibt, dann haben wir ein größeres Problem.

Die Mittagszeit ist schon vorbei, als wir dann aber endlich aufbrechen können. Die ganze Umgebung ist schon super schön, aber fast ein bisschen zu touristisch. Zum Glück ergattern wir noch Karten für eine Führung und nachdem wir noch am Alpsee waren laufen wir hinauf und umrunden das Schloss ein Mal von Außen. Die besten Bilder werden es leider nicht, weil man eine ganze Weile anstehen muss, um auf der Aussichtsplattform ein Foto machen zu können; es ist nämlich echt gut was los. „Wenn ich mich anstelle um ein Selfie vor dem Schloss zu machen, dann schubs mich mal lieber den Berg runter“ erklärt er.
Ehrlich gesagt habe ich mich ja noch nie mit Schloss Neuschwanstein beschäftigt, aber ein bisschen irre ist es ja schon, dass sich der König da einfach mal ein Schloss hinstellt, das von Anfang an als Singlewohnung und nicht für Besuch geplant war. Ganze Säle wurden gebaut, ohne dass dort je Feste hätten stattfinden sollen. Ich muss mich damit nochmal beschäftigen, das hat mein Interesse geweckt. 

Schloss Neuschwanstein

Alpsee

Ausblick von Schloss Neuschwanstein


Am Abend fahren wir weiter nach Füssen, gehen durch die Altstadt und über den Weihnachtsmarkt, auf dem wir einfach Arm in Arm stehen und der Musik lauschen. Diesen Menschen bei mir zu haben, ist das schönste Geschenk. Wir müssten gar nicht irgendwelche krassen Sachen machen. Einfach wir beide zusammen. Und ich ahne langsam, das wird gut mit uns. Irgendwie ergänzen wir uns doch. Irgendwie ist da etwas zwischen uns, das vielleicht nicht diese Gefühlsüberflutung ist, die man am Anfang einer Beziehung vielleicht gerne mal hat und die einem auch im gleichen Maß das Hirn vernebelt. Und vielleicht wäre das nicht mal gut, weil es die Realität nicht objektiv abbildet – wenngleich zwischenmenschliche Bindungen natürlich immer subjektiv sind. Aber ich spür da irgendeine Art von Verbindung und Vertrauen zwischen uns, das tiefer ist. Wir sind schon sehr verschieden, aber manchmal habe ich doch das Gefühl, es gibt unter all dem eine Basis, in der ähnliche Werte und Ideen stecken. Und irgendwie muss ich bei ihm halt auch keine Angst haben. Er verurteilt mich nicht. Und ich ihn nicht. Das muss ich vielleicht erstmal wieder ein Stückweit lernen. Dass es auch nach mir geht. Und nicht jede meiner Ideen die Beziehung auf die Probe stellt.
Und irgendwie fühle ich mich neben ihm wahnsinnig sicher. Er bevormundet mich nicht, aber er verhält sich schon wie ein sehr fürsorglicher Freund. Und irgendwie mag ich das sehr gern. 

Weihnachtsmarkt Füssen


Am Abend ist er sehr müde, schläft schon früh ein und ich lasse ihn ein bisschen von seinem vermissten Schlaf nachholen.

Samstag

Guten Morgen :)

Ich genieße diese Morgen. Dieses nebeneinander wach werden. Ich genieße es, ihn neben mir zu fühlen, jede Faser meines Körpers ist auf ihn ausgerichtet.
Wir haben heute mehr Zeit beim Frühstück. „Aha, der Kaffee ist zu einem Drittel leer, die Augen werden etwas größer und Mondkind fängt an zu sprechen“, kommentiert er irgendwann. „Na komm, so schlimm ist es auch nicht“, verteidige ich mich. „Leider doch“, sagt er. „Aber das ist nicht schlimm. Du darfst so sein morgens. Ich weiß ja, dass Kaffee hilft.“
Nach dem Frühstück entscheiden wir uns, heute auf einen Berg zu wandern. Wir fangen genau an der Schneegrenze an und laufen Hand in Hand die verschneiten Wege nach oben. Er ist der Wanderführer… - und ein kleines Spielkind. Zwischendurch hüpft er mal in den tiefen Schnee und irgendwo steht ein Pfosten mit einer Schneehaube drauf. Er nimmt den Schnee dort hinunter, formt einen Schneeball und schmeißt mich damit ab. „Wieso wusste ich, dass Du das tun würdest?“, frage ich. „Naja wir kenne uns ja jetzt doch ein paar Tage“, entgegnet er.
Auf der Hütte angekommen gibt es erstmal ein bisschen Kaiserschmarrn – wie sich das gehört. Und dann spüre ich meinen Bauch und dass sich meine Tage ankündigen. Das hätte ich jetzt echt absolut nicht gebraucht. Wenigstens sind wir schon oben, aber wie ich jetzt mit Bauch- und Rückenschmerzen wieder runter kommen soll…? Ich nehme ja ungern Schmerzmittel diesbezüglich, aber heute muss das sein. Scheinbar bin ich etwas blass um die Nase und muss dann schon auch gestehen, was los ist. Irgendwann setzt er sich hinter mich und ich spüre seine Hand auf meinem Bauch im Sinn einer lebendigen Wärmflasche. Verstanden, der Herr. Wir warten eine Weile, irgendwann wirkt das Ibu so leidlich und dann geht es zurück. Der Rückweg ist wirklich wild. Hier war keine Schneeraupe und so zwischendurch ist es eher Ski fahren auf Wanderschuhen. Und ich mag das sehr gern, wenn er die Hand ausstreckt, sodass ich sie nehmen kann und er sicher ist, dass ich nicht falle – oder nur in seine Arme, das ist okay.  Wir kommen aber heil unten und bei beim Auto an. 

Aussicht von der Wanderung


Gipfelkreuz

Wieder am Hotel wird es gerade dunkel und wir beschließen den Wellness – Bereich des Hotels auszuprobieren. Erst wird eine Runde geschwommen und dann führt er mich in die Welt der Sauna ein. Ich war noch nie in der Sauna. Die Dampfsauna finde ich schon grenzwertig, auch wenn die nur 45 Grad hat, aber dafür eben 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Danach kommt er auf die Idee noch in die 80 Grad warme Sauna zu gehen. Das ist allerdings fast angenehmer, weil man zumindest noch atmen kann. Und danach kann man auch getrost kurz durchs Freie zurück zum Hotel laufen. Die Körper dampfen und es fühlt sich absolut nicht kalt an.

Beim Abendessen ist uns immer noch warm und ich bin froh, heute dort mal mit meiner Bluse ohne Strickjacke sitzen zu können. Wir beschließen, dass das letzte Abendessen nochmal etwas Besonderes sein muss, entscheiden uns nochmal für ein Viergänge – Menü und bestellen einen Wein dazu. Und weil wir danach gerade ins Quatschen gekommen sind, der Wein aber noch nicht leer ist, fragt uns ein Hotelmitarbeiter, ob er uns im Kaminzimmer noch den Kamin anmachen soll.
Es ist schon einer der schönsten Momente dort Arm in Arm mit einem Wein in der Hand vor dem Kamin zu sitzen. Ich lasse die letzten Tage nochmal Revue passieren und muss fast weinen vor Dankbarkeit. Manchmal kann das Leben so unfassbar schön sein. Sich ein Wir so lebendig anfühlen. Manchmal bin so sehr dankbar für das, was ich noch erleben darf. Und manchmal füllt mich und mein Herz das so aus, dass da kaum noch Platz für ein schlechtes Gewissen ist. Ich hab mich damals für das Leben entschieden, als alles verloren schien und die Welt nur noch zwei Flurlängen lang war. Und manchmal kommt es mir vor, als würde das Leben sagen wollen: „Richtige Entscheidung. Auch wenn es damals mehr Mut verlangt hat, als Du glaubtest zu haben.“

Am Abend packen wir noch, der Kardiochirurg wirft einen Blick auf das Handy und stellt fest, dass es Schwierigkeiten mit dem OP – Plan für Montag gibt. Und ab dem Moment erlebe ich ihn sehr unruhig. Eigentlich hatten wir Sonntag auch noch etwas vor – der vage Plan war es ,das Nebelhorn zu besuchen, auch wenn wir dann wohl am Sonntag erst spät zurück kommen würden, aber ich habe da schon mitbekommen, dass er Sonntag lieber früh zurück möchte.

Sonntag
Ein letztes Mal gemeinsam aufwachen. Die Nacht war etwas unruhig für mich, weil ich ordentlich Schmerzen hatte, aber er hat mich zum Glück nicht gehört.
Traurig bin ich schon, ehrlich gesagt. Es war so schön. Ich könnte mich daran gewöhnen, an diesen gemeinsamen Start. Aber bis wir unsere Tage vielleicht mal gemeinsam starten und beenden werden, wird es sicher noch viel Geduld brauchen.
Wir gehen nacheinander duschen, packen unsere Sachen und gehen ein letztes Mal zum Frühstück. Danach bringen wir die Sachen zum Auto. Wir beschließen uns noch einen nahe gelegenen Wasserfall anzuschauen. Und als wäre auch in ihm eine gewisse Traurigkeit, bleibt er ständig auf dem Weg stehen, nimmt mich einfach in den Arm und küsst mich. Ich muss mich so bemühen, nicht zu weinen. Aus Traurigkeit, dass wir auf den letzten Metern unserer gemeinsamen Zeit sind, aus Dankbarkeit, dass es so schön war und dass wir meinem Gefühl nach ein bisschen näherzusammen gerückt sind. Und als müsste man das alles irgendwie noch speichern, postiert er mich ständig an irgendeine Ecke und macht ein Foto. Er spricht nicht viel über uns, weiterhin nicht, aber manchmal glaube ich, ich verstehe ihn langsam. Und dann muss er auch nicht sprechen. Dann reicht es zu fühlen. 

Hinanger Wasserfall :)

Die Rückfahrt ist recht ruhig. Er ist im Kopf viel beim Montag, ich bin voll von Gefühlen und muss die erstmal sortieren. Und neben Traurigkeit und Dankbarkeit spüre ich auch ein bisschen Angst. „Was gut ist, kann nicht lange bleiben.“ Das ist einer der Sätze meines Lebens. Wobei „lang“ ja schon ein bisschen dehnbar ist. Einige Dinge waren eine zeitlang gut. Ein paar Jahre. Und gleichzeitig spüre ich: Jetzt ist allerspätestens der Moment, an dem es mir das Herz brechen würde, diesen Menschen loszulassen. Loslassen zu müssen. Weil irgendetwas passiert. Ich wünsche mir das Vertrauen, dass gute Dinge auch mal bleiben können, aber das kann ich noch nicht haben.
Ich weiß, dass jeder gute Moment auch immer im Herzen bleibt und ich kann heute allein dafür sehr dankbar sein und dennoch wünsche ich mir, dass diese Momente wiederholbar bleiben. Diese Momente, in denen das Herz fast ein bisschen schwerelos ist, so geflutet von all dem, das gut ist.
Wieder zurück trinken wir einen Kakao und essen ein paar Printen, die er mitgebracht hat von seiner Fortbildung aus Aachen. Ich glaube echte Aachener Printen habe ich vielleicht auch noch nicht gegessen. Danach schmeißen wir schon mal die Lichterkette über den Baum. Und irgendwann fällt mir auf, dass doch in genau sieben Tagen Weihnachten ist. Bis dahin müssen wir noch den Baum fertig schmücken, ich organisiere uns noch Lametta und wir wollen nochmal Plätzchen backen. Weil es schön war. Und weil die letzten Plätzchen entweder in seinem Magen oder auf der Weihnachtsfeier gelandet sind.
Und irgendwie habe ich so das Gefühl, dass der Dezember nochmal ausgeholt hat. Es ging los in einem Job, in dem ich mich pudelwohl fühle, er hat den einzigen richtigen Urlaub dieses Jahr beinhaltet, die vier schönsten Tage – nicht nur wegen des Urlaubs, sondern weil wir uns eben endlich mal ganz hatten – und vielleicht wird das ein richtig ruhiges und schönes Weihnachten. Das erste Weihnachten als Paar und nach so vielen Weihnachten, in denen ich manchmal irgendwo „Asyl“ hatte – manchmal auch nicht - weiß ich, dass es eigentlich eines der größten Geschenke ist an Weihnachten irgendwo bei Menschen zu sitzen, bei denen man sich zugehörig fühlt. Eigentlich braucht es überhaupt nicht mehr. Ich kann mir schon gut vorstellen, wie wir mit Kakao und Plätzchen unter dem Weihnachtsbaum sitzen und irgendeinen Weihnachtsfilm schauen – Annabel und die Rentiere zum Beispiel; das ist so ziemlich der einzige Weihnachtsfilm, den ich kenne.
Und vielleicht wird es sich wie ankommen anfühlen. Nicht wie letztes Jahr, wo so Vieles zu Ende war. Ich glaube zwar, manchmal hält er mich auch für so ziemlich hinter dem Mond, aber dann schmunzelt er einfach nur und erklärt es mir. 

Weihnachtsbaum in progress


Und alles in allem könnte ich nicht dankbarer sein im Moment.

Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen