Notaufnahme #3

Es scheint fast so, als wären Montage keine Montage, wenn sie nicht irgendwie chaotisch wären. 

Zuerst fällt auf, dass die Besetzung heute sehr dünn ist. Das wird wieder stressig. Aber zum Glück ist wenigstens die Kollegin da, mit der Mondkind oft die Notaufnahme macht – zumindest halbtags. 

Schon in der Frühbesprechung klingelt das Telefon am laufenden Band. Kein gutes Zeichen. Und nachdem Mondkind – wie immer zum Montagmorgen – mit den Blutabnahmen auch nicht so erfolgreich war, stresst sie das. 

„Mondkind, wir haben schon zwei Patienten in der Notaufnahme und in der geplanten Aufnahme wartet auch schon jemand.“
Zeit, um sich schnell aufzuteilen. 

Nach dem dritten Patienten hat Mondkind schon vergessen, was der erste Patient eigentlich hatte. Und überhaupt sind die Patienten heute auch ein bisschen kratzbürstig. 
Wobei man es ihnen auch nachsehen muss. Eine Patientin mit Darmkrebs war zum Staging da… - das weiß sie aber erst seit wenigen Tagen. Ich hatte sie letzte Woche noch vor mir sitzen zur Vorsorgeuntersuchung. Eine einzige Untersuchung, die alles ändert…

Irgendwann findet sich Mondkind dann im Sono wieder. Ein Patient mit einem Infekt und Fieber unklarer Genese. Plötzlich taucht der Chef auf. „Mondkind was machen wir, wenn ein Patient mit hohem Fieber kommt, als Erstes?“, fragt er. „Blutkulturen abnehmen. Vor der Antibiose…“, gibt Mondkind zurück. „Sehr gut…“
Dann lässt er sich noch darüber aus, dass die meisten nicht vernünftig schallen können. Mondkind kann aber mit den Assistenzärzten schon ganz gut mithalten – dennoch ist sie verunsichert darüber, was dieser Vortrag ihr genau sagen sollte. 

Wenig später sitzen Mondkind und die Kollegin vor einer Patientin, die von der Psychosomatik überwiesen wurde. Psychisch ist sie schon auffällig. Sehr ängstlich. Immer wieder nimmt sie Mondkinds Hand und klammert sich daran. Mondkind lässt es zu. Wenn es ihr hilft… 
Sie wurde wegen erhöhter Entzündungsparameter, Leberwerte und erniedrigten Kalium eingewiesen. Da konnten sich die Psychosomatiker keinen Reim draus machen. Da die Abweichungen aber nicht signifikant hoch sind, schlägt die Kollegin vor, dass die Patientin zurück geschickt wird. Die Patientin möchte auch nicht bleiben. Sie fühlt sich nicht wohl und erzählt Mondkind, dass sie Angst hat, Krebs zu haben… - was angesichts der Laborwerte nicht wahrscheinlich ist.
 Mondkinds Kollegin hat mal in der Psychosomatik gearbeitet und kennt den Oberarzt – mit dem will sie nochmal über die Patientin reden. 
Aber vorher soll noch ein Sono gemacht werden. Mondkinds Kollegin rast schon weiter und im Sono taucht der Chef auf. Er hält den Sonokopf auf die Patientin und… - Volltreffer. Mechanischer Darmverschluss. „Hätte man mal ein Stethoskop auf den Bauch der Patientin gehalten…“, belehrt der Chef Mondkind. Er hat absolut Recht. Mondkind macht die Aufnahmen zwar immer gewissenhaft, aber wenn die Kollegen dabei sind und aufgrund ihrer Erfahrung manche Dinge anders machen, sagt Mondkind nichts. Aber das hätten sie machen müssen. 
Man muss sagen, dass die Patientin für einen Darmverschluss erstaunlich wenige Beschwerden hat, aber Mondkind steht einfach doof da. So etwas darf nicht passieren und da ihre Kollegin nicht mehr da ist, muss sie das auf ihre Kappe nehmen. 
Die Patientin wird den Chirurgen übergeben und Mondkind verbringt noch eine Weile mit Tränen trocknen. Und wenn man ehrlich ist… - es ist ziemlich sicher ein mechanischer Darmverschluss und die Ursache könnte tatsächlich ein Tumor sein. Das wäre ein Drama, das Mondkind nicht miterleben möchte…
Und überhaupt… sie will absolut nicht mit der Patientin tauschen. Wenn man Mondkind sagen würde, dass sie einen Darmverschluss hätte, würde sie wohl auch vor Angst eingehen. Nicht aus Angst, daran zu sterben. Aber aus Angst davor, dem Chirurgen vertrauen zu müssen, Angst vor den Schmerzen und Angst davor mit einer psychischen Problematik in einem somatischen Haus zu sein und da komplett zu dekompensieren. Das Verständnis der somatischen Kollegen ist da eher sehr begrenzt.

Der Tag geht weiter. 
Und die Notaufnahme wird nicht leerer. Die Akten stapeln sich und immer mehr Patienten kommen. Schneller, als sie versorgt werden können. 

Wenig später hat Mondkind eine Dialysepatientin mit Fieber vor sich. Ihre Kollegin hatte schon angefangen, musste dann aber nach Hause, da sie nur halbtags arbeitet und hat Mondkind die Patientin übergeben. Mondkind untersucht sie, ordnet an Blutkulturen zu entnehmen – auch aus dem Dialysekatheter, was ihr der Nephrologe später noch hoch anrechnen wird. 
Als sie ihn über die Patientin informiert fügt sie hinzu, dass die Patientin heute eigentlich Dialyse gehabt habe, die aber aufgrund ihres schlechten Allgemeinzustandes nicht bekommen habe. So hatte es ihr die Kollegin gesagt und Mondkind hatte sich dahin gehend nicht mehr durch die Unterlagen gewühlt. 
Und dann stellt sich heraus: Sie hatte doch schon ihre Dialyse. Also Oberarzt anrufen und Bescheid sagen… - und wie Mondkind erwartet hat, ist er nicht begeistert über ihre Fehlkommunikation. 

Langsam wird es zu viel für Mondkind. Sie könnte einfach weinend auf dem Flur zusammen brechen. Das ist einfach so viel Verantwortung für jemanden, der noch studiert und unsicher ist. Und heute sind alle im Stress – auch die Schwestern können ihr nicht mehr weiter helfen, sondern kommen eher um die Ecke mit: „Mondkind da liegt ein Patient im Schockraum, dem geht es wirklich sehr schlecht.“
Ja… - und was zum Geier soll Mondkind jetzt machen? Sie darf eigentlich alleine keine Anordnungen machen… 

Der nächste Fall ist eine Leberzirrhose nach Alkoholabusus. Könnte eigentlich entspannend sein, wenn die Patientin nicht uneinsichtig wäre und ihre Zirrhose auf die bösen Beta – Blocker schieben und gemütlich weiter trinken würde… 

Dann kommt eine von den Patienten, die man alle zwei Wochen in der Notaufnahme sieht. Natürlich mit großer Theatralik. Hyperventilierend. Mit COPD keine gute Idee. Und Inhalationen mit Kochsalz seien ja mal gar keine gute Idee, davon bekomme sie Nasenbluten. Das gehe einfach nicht. Lieber wolle sie einen Schleimlöser zur Nacht. Auch keine gute Idee, denkt Mondkind sich, aber wenn sie meint…  Mondkind hat Angst, dass ihr die Patientin noch völlig dekompensiert, bevor sie auf Station geht. 

Zwischendurch fällt ihr auf, dass sie ihren Zettel für die Übergabe verlegt hat. Das ist die größte Katastrophe, die passieren kann und wenn sie zu den Patienten keine Informationen hat, blamiert sie sich morgen früh bis auf die Knochen. Also Zettel suchen. Und nicht finden… 
Deshalb im PC die wichtigsten Dinge zusammen suchen und das Köpfchen anstrengen… 

Ihr letzter Patient für den Tag – es ist schon zwei Stunden nach regulärem Feierabend – ist ein älterer Herr mit akutem Nierenversagen. Die Nephrologen sind schon außer Haus, ihrer Kollegin aus dem Spätdienst wachsen die Patienten auch über den Kopf und sie will dann nicht auch noch Fragen von Mondkind hören. Die Schwestern kümmern sich auch um gar nichts, sodass Mondkind selbst den Zugang legt, Blut abnimmt und es auch noch ins Labor bringt. 
Was zum Geier macht man bei akutem Nierenversagen… ? Was ist die Grenze für eine sofortige Dialyse. Im Labor sind die Elektrolyte noch in Ordnung, das Kreatinin ist bei 4. Mondkind hat im Ohr, dass man ab 6 eine Dialyse machen muss. Auch die Blutgasanalyse ist in Ordnung. 
Mondkind schallt den Patienten, um keinen Nierenstau zu verpassen. Außerdem ordnet sie ein Urin – Status, ein Urin – Sediment und eine Sonokontrolle an. Eigentlich müsste man ja noch die fraktionelle Natriumexkretion bestimmen, aber wie bringt man das wieder dem Labor bei? Das läuft aber heute ohnehin nicht mehr, also kann sie sich darum morgen früh noch kümmern. 
Außerdem fragt sie sich, ob das jetzt Indikation für eine Nierenpunktion zur Diagnostik ist. Aber das kann sie auch morgen die Nephrologen fragen – so sehr eilt es nicht; heute läuft ohnehin nichts mehr. 
Und praktisch ist es auch, dass der Patient in der Früh schon beim Nephrologen war und der die komplette Medikation angepasst hat. 
Ein wenig unsicher schickt Mondkind den Patienten auf Station. Und hofft inständig, dass sie nichts übersehen hat. Der Nephrologe vermutet ein Nierenversagen in Folge von Bluthochdruck und Diabetes – das wäre ohnehin ein intrarenales Nierenversagen und es gäbe jetzt keine Stauungshindernisse, die beseitigt werden müssten oder ein Versagen der Nieren durch massive Exsikkose. Eigentlich kann bis morgen nicht viel passieren. 
Eigentlich… 

Mondkind ist unruhig. 

Und nach mehr als 12 Stunden verlässt Mondkind das Krankenhaus. 
Willkommen im Leben… oder so ähnlich… 

Zu Hause liest sie erstmal nach, ob sie mit dem akuten Nierenversagen alles richtig gemacht hat. Sie hätte ihn nicht dialysieren müssen, stellt sie fest. Und den Rest klärt sie morgen. 

Eigentlich hätte sie heute mal zwei Psychologen abtelefonieren wollen. Der Neuro - Oberarzt hatte sie am Ende der letzten Woche gefragt, wie es ihr so geht und Mondkind hat entgegnet, dass es mit dem PJ nicht schlecht läuft, aber dass das Drumherum eher schwierig ist. Weil das PJ lange Zeit der Endpunkt ihres Denkens war, weil hier so viel auch gleich wie in ihrer Studienstadt, aber doch auch irgendwie anders ist. Und weil das neue Fragen und Ängste aufwirft. Themen, mit denen sie jahrelang nicht umgehen musste. Er meinte dann, er fragt mit Mondkinds Zustimmung mal in der Psychosomatik – dann hätte sie da eine Sicherheit. 
Mondkind hat sich ja immer gefragt, wie das gehen soll. Die machen hier ja nichts ambulant. Und das war dann auch das, was der Chef gesagt hat. Da kann man nichts machen. Wahrscheinlich funktioniert es dann mit der Abrechnung nicht, oder so. 
Jedenfalls… - die Therapeutin besteht darauf, dass sie kommt; hier in der Psychosomatik ist nichts zu drehen – Mondkind steht ziemlich alleine da. Er hat aber zwei Therapeuten hier in der Stadt empfohlen. Mondkind wollte sich mal nach den Wartezeiten erkundigen und vielleicht kann man ja in einem Erstgespräch klären, ob man Mondkind hier in den paar Monaten überhaupt etwas anbieten kann. Dazu sind die ja da. 
Mondkind hatte heute aber weder Zeit zum Essen noch um einen Schluck zu trinken und schonmal gar nicht, um mal fünf Minuten zu telefonieren. 
Ein Termin würde ja – so er denn je steht – implizieren, dass Mondkind pünktlich raus kommt.
Es war immer ein bisschen Mondkinds Angst. Wenn sie erstmal im Job ist, ist für psychische Sorgen keine Zeit mehr. Nicht, dass sie dadurch weg wären – auch wenn alle das immer meinen, nur weil Mondkind brav durch die Notaufnahme rennt. Aber der Stress fällt auch vor allen Dingen danach nicht ab. Und die Sinnfrage stellt sie sich ohnehin jeden Tag. Warum, wenn gute Momente die Ausnahme bleiben? 
Und sie hat immer ein wenig die Sorge gehabt, es bis zum Start ins Berufsleben nicht im Griff zu haben – denn wie sie dann noch irgendwie an sich selbst arbeiten soll, weiß sie nicht. 

Mondkind

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