Ohne Plan B

Now I’ve made it this far
And the pain is not over
Bun the sun keeps on rising
And I keep getting stronger

(Westlife – Sound of a broken heart)

Mit dem Internet ist eine Lösung in Sicht. Der Oberarzt hat jetzt beim Vorstand noch mal nachgefragt, ob es nicht möglich wäre, dass die PJlerin einen wlan – Zugang in ihrer Wohnung bekommt. Ehrlich gesagt ist mir das langsam echt unangenehm, dass der Neuro – Oberarzt sich wegen mir so viel Aufwand macht, aber dankbar bin ich ihm schon. 
Es dauert wohl noch ein paar Wochen und bis dahin habe ich Strategie entwickelt die Blogeinträge auf dem PC zu schreiben, sie dann auf dem Handy zu speichern, zu kopieren und mit viel Geduld im Park hochzuladen. Auf Bilder werdet Ihr aber vorerst verzichten müssen. Die kommen dann aber geballt hinterher… ;)

Die Tage sind stressig. Die Notaufnahme hält jeden Tag neue Überraschungen bereit und egal wie flott wir arbeiten – irgendwann stapeln sich die Patienten immer. 
Dennoch habe ich in den letzten drei Wochen ein wenig Sicherheit darin entwickelt, eine zielgerichtete Anamnese zu erheben, die Patienten zu untersuchen, die Laborparameter zu interpretieren und anschließend differentialdiagnostische und therapeutische Überlegungen anzustellen. Auch der Umgang mit dem Sonogerät gelingt mir wieder besser. Ich muss die Organe nicht mehr ewig suchen und kann in einer akzeptablen Zeit einen Sono – Befund erheben. 

Langsam lerne ich auch die Schwestern in der Notaufnahme kennen. Ich weiß, mit wem ich gut zurechtkomme und mit wem eher nicht so. Ich weiß, wen ich mal fragen kann, wenn ich nicht weiter weiß. Im Gegenzug nehme ich denen das Nadel legen ab und auch das klappt immer besser. 

Und dennoch schlagen die Antennen an. Sie registrieren den Stress, die angespannte Personalsituation, die Erwartungen, denen ich nicht immer gerecht werden kann. Sie registrieren, dass ich die Unerfahrenste unter allen bin, dass mir ab und an doch mal Dinge passieren, die eben eigentlich nicht passieren dürfen. 
Sie übergehen mein „Mondkind Du bist PJlerin, Du musst nicht alles können“ und tragen mir die Dinge hinterher. 

Ich kann nicht genau sagen warum, weil das PJ doch bisher einigermaßen läuft, aber psychisch gesehen dekompensiert die ganze Sache allmählich. 
Ich merke, dass ich immer schlapper auf die Füße werde und manchmal schon den Berg mit dem Fahrrad nicht mehr hoch komme. Ich merke, dass ich empfindlicher werde und der Klinikalltag dadurch emotional noch anstrengender wird. Ich merke, dass die Schlafstörungen zunehmen, dass sich eine gewisse Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Angst über mich legt. 

Ich weiß auch in etwa, wo die Haken liegen. 
Zum Einen ist es die Sache mit dem Neuro – Oberarzt. Ich weiß nicht, wie ich mit ihm umgehen soll. Ich habe Angst, Grenzen zu übertreten, ihn zu überfordern und gleichzeitig wäre es auch schlecht mich gar nicht zu melden, weil er das ja auch einfordert. Und… - so merkwürdig das auch klingt – es tut einfach weh. Zu wissen, dass da dieser Halt ist, auf den ich mich aber gar nicht so sehr stützen kann, weil ich genau weiß, dass ich ihn wieder verlieren werde. 

„Es wäre ja schön, wenn Du hier in der Neuro bleiben könntest“, sagte letztens jemand zu mir. Konjunktiv. Wäre…
Ich kann es mir nicht vorstellen, hier im Dezember die Zelte abzubrechen und nie mehr wieder zu kommen. Und dennoch wird mit einer endgültigen Entscheidung meinen Studienort zu verlassen, nochmal alles anders. 
Vielleicht hat tatsächlich jeder Mensch einen Ort an den er gehört und vielleicht ist mein Ort hier. Es gibt keinen Plan B. Ich wüsste kein Krankenhaus in meiner Studienstadt, an dem ich anfangen wollen würde. Und ich möchte nicht zurück so räumlich nah zu meiner Familie.
Aber damit die mich hier nehmen, muss ich gut sein. Ich darf nicht ausfallen, ich darf nicht über die Flure schleichen, ich darf nicht unkonzentriert sein. Und je mehr ich das bin, desto mehr Angst habe ich, dass ich für mich doch keine Zukunftsperspektive entwickeln kann. 

Mondkind hat ihre Therapeutin schon letzte Woche gefragt, wann sie denn mal Zeit hätte. Mit dem wenigen Internet ist es schwierig Tickets für eine Reise zu kaufen, wenn man auch erst recherchieren muss und die Ladezeiten ewig lang sind. Und aufgrund der Personalsituation bekommt Mondkind auch im Juni keinen Urlaub.
Sie könnte frühestens im Juli zurück fahren. Ein ganzes Wochenende fahren für eine Therapiestunde. Das ist wirklich irre und steht in absolut keinem Verhältnis zueinander. Sie weiß noch gar nicht, ob sie das überhaupt kraftmäßig hinbekommt. Mondkind hat gefragt, ob sie nicht – um die Zeit bis Juli zu überbrücken – mal mit ihrer Therapeutin telefonieren könne. Die Frage hat die Therapeutin geflissentlich überlesen. 
Für Mondkind ein Schlag in die Magengrube. Irgendwie hörte sich das vor ihrer Abreise alles so positiv an. Auch mal kurz miteinander zu reden, schien machbar zu sein. 
Und genau das ist der Grund, warum Mondkind sich so ungern auf andere Menschen verlässt. Wenn es wirklich nötig wird und es dann nicht klappt, ist das umso schlimmer. Sie hätte ja wenigsten sagen können, dass sie die Idee jetzt nicht so gut findet. Ignoriert wurde Mondkind so oft im Leben und für sie ist das noch schlimmer, wenn sie sich schon getraut hat nach etwas zu fragen und man sie dann einfach übergeht. 

Die Frage ist: Was jetzt?
Sich hier einen Psychiater zu suchen, ist auch ziemlich sinnlos. Gerade weil bei Mondkind Suizidalität eigentlich immer ein Thema ist – natürlich umso mehr, je schlechter es ihr geht – ist das relativ schwierig, weil dann ja bei jedem die Alarmglocken losschrillen und Mondkind dann wieder nicht ehrlich sein kann, ohne das PJ zu riskieren. 
Sie könnte auch ihrem Neuro – Oberarzt um Rat fragen, aber der hat letztens noch positiv angemerkt, dass sich Mondkind bisher ja gut schlägt. Mondkind ist sich sehr sicher, dass er sich für sie etwas einfallen lassen würde, aber sie kann ihn nicht ständig beanspruchen und sie darf auch nicht wenig belastbar wirken – immerhin baut Mondkind auf ihn, dass er sich nach dem PJ dafür einsetzt, dass Mondkind in der Neuro anfangen kann zu arbeiten.

Mondkind hat Angst. Angst, dass die Tage bald wieder ein einziger Kraftakt sind. Dass sie im Endeffekt doch mit allem allein dasteht. Dass sie es nicht schafft den weiten Weg in ihre Studienstadt zu bewältigen und es monatelang allein hinbekommen muss. Und sie dann – wenn sie wieder kommt – einen neuen Therapeuten vor die Nase gesetzt bekommt.
Sie fragt sich, warum es selbst hier und in so einem kleinen Krankenhaus dennoch psychisch alles so schwer ist. Und sie fragt sich, was man an den äußeren Bedingungen noch verbessern könnte. Da gibt es doch gar nicht mehr viel.
Mondkind hat so viel Angst, dass es alles hier zusammen bricht und es am Ende doch keine Alternativen gibt. Weil Plan B nie existierte. Und es eben nicht immer für alles Lösungen gibt.

Mondkind

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