Weil ein kleiner Schritt...

„Weil ein kleiner Schritt alles ändern kann, 
fängt hier vielleicht was Großes an…“

Max Giesinger – Legenden

Es ist genau ein Jahr her. 
Sogar zeitlich dürfte es einigermaßen passen. 
Die letzte und größte Krise in der Klinik. 
Es war irgendwann abends gegen 18 Uhr, dass ich vollkommen zusammen gebrochen bin. Und da das ja so nicht mehr sein durfte, denn immerhin ging ich ja schon in die Uni und sollte am Montag entlassen werden, saß ich in meinem Zimmer. Auf der Fensterbank. Die Beine an den Körper gezogen, den Kopf gegen das Fenster gelehnt. 
Die Visite hatte ich gerade so überstanden. Ich hatte es mich sogar getraut zu fragen, ob ich den Arzt vielleicht nochmal alleine sprechen dürfe, aber es hieß „Besprechen Sie das mit der Pflege, der Arzt muss nach Hause…“ War ja sehr schön, dass der Psychologe für ihn gesprochen hatte… 

Und irgendwann hörte ich Schritte auf dem Flur. Und er steckte seinen Kopf zur Tür herein. So war das natürlich nicht geplant gewesen. 
Die Minuten in seinem Büro. Ich wusste gar nicht mehr, was ich sagen sollte. Mir war klar, dass man mich eigentlich auf die geschützte Station stecken müsste, wenn ich sage, was mir durch den Kopf geht. Und dass ich die Befürchtung  habe, hat der Arzt wohl auch gemerkt. Er hat erklärt, dass er andere Patienten in meinem Zustand sofort verlegen würde, aber er mir verspricht das nicht zu tun, unabhängig von dem, was ich erzähle. 
Der Abend endete dann damit, dass ich ständig nach vorne in das Schwesternzimmer laufen und auf dem Meldebogen unterschreiben musste, aber immerhin durfte ich auf der Station bleiben. 

Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich in genau einem Jahr das schriftliche Staatsexamen bestanden habe, längst im PJ bin und es sogar länger als geplant an dem Ort mache, an dem ich es mir vorgestellt habe – ich hätte es nicht für möglich gehalten. Ich war mir ja damals nicht mal sicher, ob ich die nächsten drei Wochen überlebe.

Spaziergang....

Das erste Mal, dass ich an diesen Ort gefahren bin – es war ein kleiner Schritt. Ein „mal sehen, was ich erlebe, wenn ich eine Famulatur woanders mache und wenn es nicht läuft, sind es immerhin nur 30 Tage…“ Ich wusste nicht, dass das mein Leben so verändern würde. 
Nicht nur, dass ich hier – wenn alle läuft wie geplant – irgendwann meinen Lebensmittelpunkt habe. Ich wüsste auch nicht was letztes Jahr passiert wäre, hätte ich diesen Ort nicht im Hinterkopf gehabt. Es war der Anfang von etwas, von dem ich immer gehofft habe, dass es sich lohnt dafür zu kämpfen. Von „etwas Großem“. Und ich hoffe, dass sich das nicht irgendwann als Asche und Rauch auflöst.

Ich hatte irgendwann Angst, in der Psychiatrie zu versacken. Einfach, weil ich an der Verzweiflung daran, dass es selbst in der Psychiatrie nicht besser wird, kaputt gehe und ich den Glauben daran verliere, wieder ein normales Leben führen zu können. 
Aber ich wusste immer – ob es nun Sinn haben wird oder nicht – dass es einen Plan für das PJ gibt. Dass es einen Oberarzt gibt, der wartet, dass ich komme. 
Und das hat mich diesen Weg weiter entlang gehen lassen, obwohl es immer noch kein Licht gab, an das ich wirklich geglaubt habe. 

Wenn ich mich heute umdrehe und zurück blicke, dann kann ich kaum glauben, dass ich es war, die diese Pfade gegangen ist. Erfahrungen die – so unkonventionell sie auch gewesen sein mögen – ich auf gar keinen Fall bereue. Es waren vielleicht viele Umwege, die ich in den letzten Jahren genommen habe, aber jede Station davon war wichtig und aus jeder davon, habe ich eine Menge gelernt. 

Ich hatte in den letzten Wochen immer mal das Bedürfnis, dem Oberarzt in der Psychiatrie, in der ich war, zu schreiben und ihm zu berichten, wie sich am Ende alles gefügt hat. Und dass ich auf seine Frage: „Was hat denn dieser Ort, das andere Orte nicht können?“, immer noch keine Antwort weiß, aber das vielleicht auch einfach nicht so wichtig ist, wenn es sich richtig anfühlt. Es geht auf gar keinen Fall darum zu sagen, dass alles gut ist, aber doch darum, dass mir – so dunkel manche Tage auch erscheinen mögen – die letzten Jahre gezeigt haben, dass es sich lohnt, permanent für eine Zukunft zu kämpfen. Und vielleicht wird ja irgendwann doch noch mal alles okay. Eventuell wird es noch viele Tiefs geben, eventuell auch Klinik, aber ich glaube, ich bin auf dem Weg. Und ich will es wirklich. 
Er hat einfach alles mitbekommen. Ich habe ihn kennen gelernt, als ich noch bei meiner Mutter gewohnt habe. Er hat zwei Umzüge miterlebt, er hat es mitbekommen, wie ich zum ersten Mal an diesen Ort hier gekommen bin, wie ich zum zweiten Mal hier war und dass es langsam ein Zukunftsplan wurde. Er hat den Tiefpunkt mitbekommen, als ich irgendwann an einem Freitagnachmittag völlig fertig auf seiner Station angekommen bin und nur noch geweint habe, weil Psychiatrie ja mal gar nicht geht, aber das normale Leben auch nicht mehr funktioniert hat. 
Und jetzt möchte ich, dass er auch weiß, wie es endet. 

Und gestern Abend habe ich eine Mail geschrieben, nachdem mich ein Freund noch ermutigt hat, es doch einfach zu tun. Denn was gibt es zu verlieren? Im schlimmsten Fall ignoriert er es. 
Das sind die besten Mails – die einfach innerhalb von 20 Minuten fertig sind und irgendetwas zwischen den Zeilen vermitteln. 
Er hat innerhalb nicht mal 24 Stunden zurück geschrieben. Ich habe die Mail gelesen, als ich gerade auf dem Marktplatz in der Sonne saß und das neue Lied von Max Giesinger gehört habe und eine bessere Location dafür, hätte es kaum geben können. Hören, Fühlen und Sehen haben perfekt zusammen gepasst. Er hat Erklärt, dass er sich sehr über die Rückmeldung freut und auch darüber, dass mir der Tapetenwechsel so gut getan hat. Und wenn das hier eben der Ort ist, der für mich richtig ist, dann freut er sich mit mir, dass ich ihn gefunden habe. 
Ein paar Tipps fürs PJ hatte er auch noch auf Lager. Unter anderem „Rufen Sie Ihren Hintergrund an, bis es kracht…“ ;) Naja… - er ist ja Oberarzt. Vielleicht sind die alle gar nicht so genervt, wie sie immer vorgeben… ;)

Ich bin  auf jeden Fall froh es gemacht zu haben und obwohl ich ihn ja kaum kenne, war es mir irgendwie wichtig, dass er weiß, dass ich das geschafft habe, was ich in jeder Visite gepredigt habe.

Morgen fahren wir wahrscheinlich ins nahe gelegene Moor und ich freue mich schon so auf den Tag, ab dem ich wieder mal ein paar mehr Bilder hochladen kann. Eigentlich meinten die Neuros ja, dass sich bei mir mal Techniker melden werden. Ich warte geduldig. 

Mondkind

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