Notaufnahme #1

Früh am Morgen.
In der Nacht hat Mondkind beschäftigt, dass ihre ehemalige Mitbewohnerin den Stromvertrag Ende Mai gekündigt hat und es bis gestern Abend nicht für nötig hielt, Mondkind davon in Kenntnis zu setzen. Juhu – wieder ein organisatorischer Punkt mehr… *ironieoff*
Musik einschalten und kaltes Wasser ins Gesicht klatschen. Mondkind beschließt, dass es heute nicht zu regnen hat und zieht ihre Stoffschuhe an.
Und dann düst sie los in Richtung Krankenhaus.

Blutabnahmen.
Mondkind ist es am liebsten, wenn die Leute nichts über ihren Venenstatus verraten. Allerdings fühlt sich fast jeder der Patienten dazu genötigt, Mondkind darüber in Kenntnis zu setzen. Und eigentlich ist das nie eine gute Idee. Denn ein „Ich habe so gute Venen, da hat bisher jeder getroffen“ macht Mondkind nervös und ein „Also bei mir muss man immer fünf oder sechs Mal stechen“, beunruhigt Mondkind ebenso. Allerdings ist ihr letztere Variante fast lieber und heute Morgen hat sie bei einem solchen Patienten direkt beim ersten Mal die Vene erwischt. Sowohl Mondkind als auch der Patient konnten ihr Glück kaum fassen.
Und Mondkind kommt langsam wieder rein ins Blutabnehmen und mehr und mehr wird es zur Routine.

Frühbesprechung.
Jemand schiebt Mondkind einen Zettel zu. „Mondkind, kannst Du die Diagnosen der Neuaufnahmen mitschreiben?“, wird sie gefragt. „Na klar“, antwortet Mondkind.
Zuerst werden die Röntgenbilder besprochen, dann werden die noch fehlenden Patienten vorgestellt. Und zum Schluss wird immer gefragt, ob alle Patienten vom Diagnosenzettel vorgestellt wurden. „Es fehlen noch drei…“, sagt Mondkind. „Aber das sind meine Aufnahmen…“ Und dann legt sie los. Keiner beschwert sich, keiner will noch irgendetwas wissen. Mondkind hat alles vollständig beisammen.
„Vergesst nicht, dass morgen die Fortbildung ist“, sagt der Chef zum Schluss und schaut insbesondere Mondkind eindrücklich an. Mondkind hat es kapiert. Er möchte, dass sie auch hingeht. Von 17:30 Uhr bis 20 Uhr… yeah… - und dann direkt ins Bett oder so ähnlich…

Alle erheben sich und wissen, wo sie hin müssen. Dass Mondkind in die Notaufnahme geht – daran haben sich scheinbar alle hier gewöhnt. Die Ärztin, die in der Nacht Dienst hatte, kommt auf Mondkind zu. „Mondkind nimmst Du das Diensttelefon?“ Eigentlich ist das weniger eine Frage als mehr eine Anweisung, denn sie lässt es schon in Mondkinds Kitteltasche gleiten. „In der Notaufnahme ist gerade eine Patientin, die einen Stromunfall hatte. Ich habe da vor der Frühbesprechung ein EKG geschrieben, das müsstest Du Dir mal ansehen…“
Mondkind sieht sie scheinbar etwas entgeistert an. „Erschrick Dich nicht so…“, sagt die Kollegin. „Ich muss den Diagnosenzettel noch ins Medizincontrolling bringen“, sagt Mondkind und versucht aus der Nummer noch irgendwie raus zu kommen. „Gib den mir, ich nehme den mit“, sagt die Ärztin, zupft ihr den Zettel aus der Hand und verschwindet damit.
Und jetzt hat Mondkind für eine Stunde das Diensttelefon, bis der Tagdienst kommt.

Notaufnahme.
Zuerst mal ist das EKG unauffindbar. Mondkind telefoniert dem hinterher und findet heraus, dass es in der Sonographie gelandet ist. Sie hält es der Ärztin dort direkt unter die Nase. Für Mondkind sieht es rhythmisch aus und die kleinen Unregelmäßigkeiten hält sie für Artefakte wegen der Atmung. Sie hätte aber gern, dass ihr das wer bestätigt. Die Ärztin sieht es auch so.
Mondkind düst zurück in die Notaufnahme. Und jetzt… ? Man kann doch einen Stromunfall nicht wieder nach Hause schicken… - oder doch…? Die Schwestern arbeiten hier schon lange – Mondkind beschließt sie zu fragen. Die sind auch sehr hilfsbereit. Da es kein Starkstrom war, reicht zwei Stunden überwachen und dann ab nach Hause.

Nächster Fall. Geplante Aufnahme zum Tumor – staging. Der Patient ist aber etwas verwirrt, als sie ihm erklärt, dass eine Einweisung impliziert, dass er bleibt. Der Patient habe doch noch Termine – er könne jetzt nicht bleiben. Da das auch noch ein Privatpatient ist, muss Mondkind den Chef fragen, was nun zu tun ist.
„Mondkind da kommt jetzt noch ein Verkehrsunfall – Du kannst hier nicht die ganze Notaufnahme blockieren“, erklären die Schwestern ihr.
Ja wohin denn mit den Leuten… ?
Mondkind telefoniert wegen ihres Tumor – Patienten gestresst umher, bis sie den Chef an der Strippe hat. Sie soll ihn nach Hause schicken und für nächste Woche wieder einbestellen.

Irgendwann kommt die Dienstärztin und Mondkind ist wenigstens das Telefon los.

Nächster Fall. Eine alte, verwirrte Dame, die mit dem Rettungsdienst kommt. Keiner weiß, was sie hat und eine Anamnese kann man quasi nicht erheben. Mondkind versucht es mit Ja / Nein – Fragen. Da bekommt sie zumindest heraus, dass die Patientin aktuell keine Schmerzen, aber Schwierigkeiten beim Atmen habe. Die Sättigung rauscht auch immer mal ab – Mondkind beschließt ihr ein wenig Sauerstoff zu geben.
Es stellt sich heraus, dass sie Fieber hat. Also hat Mondkind jetzt die Arbeitsdiagnose eines fieberhaften Infekts. Sie fragt die Ärztin, die mit ihr in der Notaufnahme ist, wie sie jetzt mit den Untersuchungen fortfahren soll, weil sie das System der Notaufnahme immer noch nicht ganz durchschaut hat. Zwar sollen die Patienten schnell auf die Station, aber vorher möglichst durch die ganze Diagnostik gedreht werden. Das geht nicht.
Aber die Kollegin hat keine Zeit. „Mach soweit wie Du kommst und dann ruf den Chef an…“ Oh shit… - Mondkind kann nicht den Chef anrufen und quasi nichts gemacht haben. Also muss sie auf das Labor warten, aber das verlängert dann nun mal die Liegezeit in der Notaufnahme.
Da das Sonogerät gerade niemand braucht, schnappt Mondkind es sich. Sie kann ja schon mal an der Füllung der Venen feststellen, ob die Patientin exsikkiert  ist. Und wenn sie dabei ist, kann sie auch gleich einen Blick auf die Nieren werfen und schonmal einen Harnaufstau ausschließen. Und nach Pleuraergüssen suchen. Mondkind misst fleißig und druckt Fotos. Bis dahin ist auch das Labor fertig. Keine Entzündungsparameter, aber erhöhte Leberparameter. Und da an der Leber schonmal etwas war, wie sie aus Vorbefunden heraus sucht, könnte dort der Fokus sein.
Mondkind ruft den Chef an. Etwas unsicher stellt sie ihre Befunde, ihre differentialdiagnostischen Überlegungen und ihre bisherige Diagnostik vor und schlägt vor, einige Parameter noch nachbestimmen zu lassen.
Der Chef schaut sich Mondkinds Sonobilder an und ist zufrieden mit Mondkinds Arbeit und ihren Überlegungen. Mondkind hat nicht an alles gedacht und bei einigen Dingen wusste sie auch nicht, wie sie es den Schwestern auf der Station angeben soll, aber sie war nicht schlecht.

Nächster Fall. Aufnahme zur Entgiftung.
Vor Mondkind sitzt ein angespannter und zitternder Patient. Sein Herz rast.
Es ist ihm alles sichtlich unangenehm. Es sei seine erste Entgiftung sagt er, alkoholabhängig sei er aber schon lang.
Mondkind überlegt, was sie sagen soll. Ohne, dass es unehrlich wirkt. Oder die Situation verharmlost. Oder wie ein Vorwurf klingt.
„Dann ist das ja heute ein erster Schritt in die richtige Richtung“, sagt Mondkind. „Ich finde das sehr gut und mutig von Ihnen, dass sie heute hergekommen sind…“
Mondkind weiß nicht, ob das richtig und einfühlsam genug war. Sie hat Sorge wegen der Tachykardie und holt erstmal einen Monitor, damit sie das im Blick hat.
Und was macht medikamentös überhaupt mit solchen Menschen…. ? Mondkind muss nachfragen… - sie weiß es nicht. 



Später am Nachmittag läuft Mondkind noch ein spannender Fall über den Weg. „Das ist jemand mit Bauchschmerzen aus der Psychosomatik“, erklärt ihre Kollegin Mondkind und an dem Unterton merkt man, dass sie das weniger für notaufnahmewürdig hält.
„Ich mache das gerne“, sagt Mondkind sofort und zieht ihr die Akten aus der Hand. Manchmal hat sie das Gefühl, sie müsse solche Leute irgendwie schützen. Die machen doch ohnehin in somatischen Häusern ständig die Erfahrung, nicht ernst genommen zu werden.
Mondkind betritt das Zimmer, stellt sich vor und fragt den Patienten, warum er da ist.
Er berichtet. Seine Stimme überschlägt sich fast, er zittert. „Ich habe das gar nicht so gemerkt, als ich noch in meinem Loch war… - vielleicht ist da jetzt irgendetwas geplatzt in meinem Bauch…“
„Da kann ich Sie beruhigen“, sagt Mondkind, „wenn da etwas geplatzt wäre, hätten Sie viel schlimmere Schmerzen. Dennoch ist es natürlich richtig, dass sie heute gekommen sind“, sagt Mondkind.
Die Anamnese ist schwer. Immer wieder verhaspelt er sich, korrigiert sich, fügt noch Dinge hinzu. „Mir fällt auf, dass Sie sehr nervös sind“, wirft Mondkind ein. „Ja die in der Psychosomatik haben mir gesagt, dass sei ja ohnehin nur psychisch…“, erklärt er. „Jetzt mal ganz ruhig“, sagt Mondkind, „ich bilde mir mein eigenes Urteil darüber und werde Sie gleich erstmal untersuchen. Und selbst wenn es psychisch ist, geht es aber jetzt gerade darum, dass es Ihnen subjektiv nicht gut geht. Woher sollen Sie wissen, ob sie etwas haben oder nicht“, sagt Mondkind.
Am Ende stellt sich tatsächlich heraus, dass er einen Nabelbruch hat. Der Chirurg sagt, er soll sich jetzt nicht mehr belasten und obwohl er eine OP – Indikation noch für diese Woche stellt, wirkt der Patient fast  ein wenig erleichtert.

Der Tag endet auf der Intensivstation. Eine Verlegung aus der Herzchirurgie. Der Patient kommt sogar in Arztbegleitung. Allerdings sieht er von der Bereichskleidung her tatsächlich eher aus wie ein Pfleger. „Haben Sie einen Arzt dabei“, fragt die Ärztin, mit der ich auf die Intensivstation gerast bin. „Ja“, tönt es von einer Pflegerin aus einer Ecke. „Und Sie sind jetzt der Arzt oder was…?“, fragt sie und sieht den vermeintlichen Pfleger an. „Ja“, sagt er. „Oh….“, erwidert die Ärztin erschrocken. Mondkind muss sich ein schmunzeln verkneifen.

Auf dem Weg ins Dienstzimmer wird ihr klar, dass es ein echt harter Tag war und sie an vielen Ecken dachte: „Wie zur Hölle soll ich das jetzt machen…?“, aber sie hat es souverän gemeistert.
„Wo wollen Sie denn mal hin nach dem Studium“, hatte heute der Chef der Nephrologie gefragt. „In die Neuro“, hat Mondkind zurückgegeben. Zwar findet sie es immer blöd zu signalisieren, dass sie eben genau weiß, wo ihre Interessen liegen und die eben leider nicht die des Chefarztes sind, aber das ist nun mal so. „Schade, dann können wir Sie also nicht behalten“, hatte er nur gesagt…

Solche Tage geben Aufwind. Solche Tage, die laufen. Bei denen man das Gefühl hat, etwas Gutes getan und etwas erreicht zu haben.

Am Abend läuft Mondkind in die Neuro und möchte von dort aus den Blog hochladen. Leider funktioniert der Notnagel Neuro nicht, weil der PC sich weigert sich dort ins wlan zu hängen. Auch die Rezeptionistin und ein Neurologe auf dem Weg in den Feierabend wussten nicht weiter.
Mondkind hat jetzt die Nummer von der EDV bekommen und soll sich dorthin wenden. Leider sind die aber nur zwischen 8 und 16 Uhr da – da arbeitet Mondkind eben.
Sie kann doch jetzt ihrem Oberarzt nicht erzählen, dass es alles immer noch nicht geht…
Zumindest hat Mondkind es in der Neuro versucht, bevor der Zugang in der Reha – Klinik ausläuft. Jetzt kann sie sich ja überlegen, was sie macht…
Das ein bisschen Internet so schwierig sein kann… 
Für Freitag ist schon ein mir wichtiger Blogpost fertig... - ich hoffe, dass ich den irgendwie hochgeladen bekomme.

Mondkind

P.S. Ich glaube, ich werde die Blogposts, in denen es um die Arbeit geht, wieder durchnummerieren. Ich kann mir nicht für jeden Tag einen kreativen Titel ausdenken ohne, dass es am Ende irgendwie bescheuert klingt ;)

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