Erwartungen an eine Mondkind


So Magic – Monday – mäßig war es heute gar nicht.
Wenn man vom emotionalen Druck absieht.
Und der ging schon in der Frühbesprechung los.

Der erste Dienst berichtete. Von einem Hubschrauber, der einen Schlaganfall – Patienten brachte. Hämodynamisch instabil. Und dann das ganz große Programm. Jegliche Bildgebung, die man sich irgendwie vorstellen kann, um den Patienten über irgendeine Schiene noch ins Lysezeitfenster rein zu pressen.
Was am Ende nicht gelang.
Bei solchen Fällen habe ich im PJ schon immer Herzrasen bekommen. Obwohl ich da absolut noch keine Verantwortung hatte. Es gab Patienten, denen konnte ich in solchen Situationen nicht mal eine Nadel legen, weil mein Hirn sofort den Panik – Modus eingeschalten hat.

Ende der Frühbesprechung.
Anfang der Ansprache.
Über die Dienste.
Wie jeden Montag. Und jeden Dienstag. Und jeden Freitag.

Der Chef macht nochmal ganz klar, dass er keinen vom Akut – Bereich mehr im zweiten Dienst haben möchte. Und weder seine Wortwahl, noch der Ton in der Stimme, oder die Körperhaltung erlauben irgendeinen Widerspruch.
„Und ab Januar unterstützt uns ja dann die Mondkind“, endet er.
Nett lächeln. Und nebenbei zerfallen.
Mein Oberarzt sitzt neben dem Chef und lächelt auch nett.
Ich habe schon mal die Kommilitonen gefragt, ob das normal ist, nach drei Monaten in den ersten Dienst gesteckt zu werden. Ist es nicht, höre ich.
„Mondkind, entweder an dem Plan ändert sich irgendetwas, oder Du wirst das nicht mehr erleben…“, sagt irgendetwas im Innen. „Du schläfst doch ohnehin schon kaum noch, bist immer angespannt, immer unsicher, immer ängstlich. Vielleicht würdest Du es schaffen, bis Ende des Jahres halbwegs auf der Station zurecht zu kommen, wenn Du Dir viel Mühe gibst, aber das…“

„Da haben wir Dich ziemlich ins kalte Wasser geschmissen“, merkte der Chef irgendwann die Tage mal an. Ja, haben sie. Und offenbar haben sie nicht den Funken einer Ahnung, was das mit mir macht.
Den ganzen Tag versuche ich nicht daran zu denken, dass das hier dann der letzte Herbst werden würde. Und all das viele Kämpfen umsonst gewesen wäre. „Mondkind, vertrau doch einfach mal darauf, dass man irgendeine Lösung finden kann…“, versuche ich mir zu sagen.
Aber das nützt nichts. Und irgendwie weiß ich nicht, ob ich das beruhigend oder beängstigend finden soll, wenn sich von Zeit zu Zeit ein bisschen Stille über mich legt. Weil es halt auch irgendwie erleichternd wäre, wenn das Leiden in näherer Zukunft vorbei wäre.
Wahrscheinlich ist das jetzt auch so ein Punkt, an dem man mir einfach wirklich nicht mehr helfen kann. Dazu müsste ich ja irgendwie wollen. Aber wie will man, wenn man nicht will? Manchmal brauche ich diese Löcher. Und auch wenn das der Herr Seelsorger erwartet, kann ich mich da nicht jeden Tag raus graben.

Wie oft wird das noch Realität sein? 🍁🍂


„Unser Nachwuchs muss jetzt hier auch bald mal Spätdienste machen“, erklärte der Oberarzt heute.  Wer weiß… - eins, zwei Wochen vielleicht noch. Wenn ich Glück habe.
Wollte er mich eigentlich nicht mal irgendwann vor geraumer Zeit unterstützen? Mal nicht so viel Druck machen? War das nicht einer der Punkte, weshalb ich mich entschieden habe, hierher zu kommen. Weil er mich kennt, weil er weiß, wie unsicher ich bin, weil ich hier vielleicht alles ein bisschen in meinem Tempo angehen lassen kann? Und jetzt muss ich hier noch schneller sein, als alle anderen, um mich herum.

Auf der Station habe ich heute die meisten meiner Patienten verlegt oder entlassen. Also sind die Betten morgen pünktlich zur Chefarztvisite wieder mit neuen Patienten belegt. Das ist morgen Früh mal wieder ein Überraschungs – Ei. Hoffen wir auf eins, das halbwegs okay ist.

Ansonsten gab es heute zwei zwischenmenschlich interessante Situationen.
Eine direkt heute Morgen auf meiner Visite. „Die Schwester hat gesagt, ich soll das doch nochmal einem Arzt erzählen…“, leitete der Patient ein. Und dann: „Mein Hausarzt sagt, ich habe Depressionen…“ Und dann hat er mir erzählt, dass er letzte Woche ein neues und sein erstes Antidepressivum verschrieben bekommen hat und nun Kopfschmerzen und Schwindel hat. Aber da es ihm zu unangenehm war, hat er das bei der Aufnahme nicht erzählt und landete mit dem Verdacht eines Schlaganfalls bei uns.
„Ich war noch nie in meinem Leben so richtig krank und ich will jetzt hier auch kein Simulant sein“, berichtete er.
Manchmal würde ich solche Leute am liebsten in den Arm nehmen und ihnen sagen: „Du bist okay so, wie Du bist und Du musst Dich für nichts schämen.“ Er hat mich dann gefragt, wie er jetzt mit seiner Depression Unterstützung bekommen kann, da auch seine Frau sich sehr sorgt. Und ich habe ihm alles aufgezählt, was möglich ist. „Und machen Sie das nicht alleine. Holen Sie sich Hilfe. Das kann ganz schwer sein, alleine sämtliche Psychologen durchzutelefonieren und nur Absagen zu bekommen. Teilen Sie das auf und fragen Sie Ihre Frau, ob die Ihnen dabei helfen kann…“
Er war dankbar. Und ich war froh, ein bisschen helfen zu können.

Heute Nachmittag hatte ich dann noch einen Angehörigen am Telefon. Mit einem anderen aus der Familie hatte ich nur wenige Minuten davor telefoniert. Kurz geschlossen hatten sie sich offenbar nicht und die Pflege leitet auch alles einfach weiter auf die Telefone der Ärzte.
Ganz schwieriger Mensch. Der die Therapie grundsätzlich in Frage gestellt hat. „Wie kann es denn sein, dass meine Mutter dieses Jahr schon mit dem xten Schlaganfall bei Ihnen ist? Kann das nicht vielleicht auch an den Medikamenten liegen, die sie ihr geben? Kann man die nicht umstellen, so wie es vorher war? Damit ging es doch auch…“
Leider ist der Alterungsprozess nun mal eine Einbahnstraße. Und gealterte Gefäße werden durch kein Medikament der Welt so jung, wie die eines jungen Hüpferlis. Das versteht nur mein Gegenüber nicht.
Der Oberarzt sitzt die ganze Zeit mit im Büro und ich frage mich schon, ob ich mir gleich über meine laienverständlichen Schilderungen eine ordentliche Portion Kritik anhören darf.
Nach einer gefühlten Ewigkeit lege ich mit einem Seufzen auf.
„Ich wusste gar nicht, dass die so schwierig sind Mondkind“, sagt der Oberarzt etwas erstaunt. „Waren sie bisher auch nicht“, gebe ich zurück. „Das hast Du sehr gut gemacht“, sagt er. Danke Herr Oberarzt.

Wochenanfang überstanden. Und ich bin einfach nur unfassbar müde mit dem Chaos - Kopf. Ich versuche, heute eher ins Bett zu gehen und mehr zu schlafen.

Mondkind

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