Wochen - Résumé und eine Begegnung


Was für eine Woche… - und langsam, zum späten Samstagnachmittag kommt auch wieder so viel Leben in meinen Kopf, dass ich einen geraden Satz formulieren kann.  Wir hatten viele schwierige Patienten auf der Station, gestorben wurde aber mal wieder nur bei mir. Aktuell habe ich die Großmutter von einem Mitarbeiter bei mir – das ist natürlich auch eine besondere Herausforderung und erhöht die Zahl an Anrufen über den Tag erheblich. Zumal ihr Schlaganfall allein aufgrund der Schwere einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf, um nichts zu verpassen.
Dann waren viele Kollegen krank und der Oberarzt merkte gestern schon zynisch an, dass wir eigentlich auch keine Stationspläne mehr schreiben müssen, wenn er die Station im Notfall mit insgesamt 6 Wochen Stroke – Unit – Erfahrung, alleine rocken kann.
Und der Oberarzt selbst… - ja, er war zwischendurch auch sehr genervt. Was nichts mit mir zu tun hatte, aber schwer auszuhalten war. Dazu noch ein Chef mit allerhand Erwartungen und dann war auch irgendwie Polyneuropathie – Woche. Normalerweise liegt unser Hauptaugenmerk nicht auf der PNP – Diagnostik, aber diese Woche wollte der Chef es ganz genau wissen. Und wir… -wir standen mehrfach auf der Leitung. Deshalb ist dieses Wochenende Wiederholung von PNP dran und weiter EEG lernen. Mittlerweile bekomme ich nämlich meine Briefe, in die ich geschrieben habe „EEG – Befund folgt“ – wer auch immer sich dann dafür verantwortlich fühlt – zurück, mit dem Hinweis das EEG zu befunden und sie wieder abzugeben. Nur hat leider Jeder den ich frage, immer etwas ultra – wichtiges, anderes zu tun. Deshalb staple ich die Briefe im Moment mal bei mir. Mal sehen, wann das Ärger gibt…
Und so by the way… - sagte der Oberarzt nicht gestern noch zu mir, dass ich ja jetzt nach dem Studium mal etwas Zeit habe… ? Weil es ja schließlich nicht zwischen der Arbeitszeit immer etwas zu lernen gäbe und man damit im Studium schließlich nie fertig werde… Und dass ich die ganze Woche zwölf Stunden auf der Station abhing, ist ihm vielleicht auch entgangen… Deshalb ist der halbe Samstag im Normalfall auch dem Projekt gewidmet, die Wohnung in einen Zustand zu bringen, in der sie nicht aussieht, als hätten die Kobolde gewütet.
Dann bleibt eigentlich einzig am Sonntagmorgen mal eine Stunde übrig, um in Ruhe mit einem Kaffee auf dem Sofa zu sitzen… und der obligatorische Spaziergang am Wochenende...



***

Warum tut die Abwesenheit mancher Menschen so sehr weh?
Und wieso tut die Anwesenheit manch anderer Menschen genauso weh?
Warum gibt es Grenzen, die wir nicht übertreten dürfen?
Warum gibt es Lösungen, die wir nicht ergreifen dürfen?
Wieso haben wir Ideen, wie wir die Löcher stopfen könnten und können es am Ende doch nicht umsetzen?

Manchmal verstehe ich ganz genau, wie die Dinge zu Stande kamen.
Wie ich dazu kam, mein Hirn auszuschalten.
Weil es still wurde. Ganz still.
Weil es aufhörte zu schreien. Aufhörte, weh zu tun. Für den Moment. Für den Moment war es okay.
Für den Moment drehte ich mich im Einklang mit der Welt.
Zum ersten Mal seit so vielen Jahren. Völlig unverhofft. Damals.

„Mondkind, hier ist noch ganz viel los – willst Du mitgehen…?“ Freitags kurz vor 18 Uhr… ? Wo ich die ganze Woche nicht vor 20 Uhr zu Hause war? Ich überlege kurz. Aber wann hat man schon mal die Chance mit dem Oberarzt im Haus auf „Einkauf“ zu sein und die Stroke Unit mit Fällen aus anderen Fachrichtungen aufzufüllen, die jetzt eben leider noch einen Schlaganfall bekommen haben?
„Wo sind Sie?“, frage ich. „In der Radiologie…“, antwortet er. „Komm vor zur Notaufnahme – ich hole Dich da ab…“
Unser erster Fall ist eine Patientin von der Kardiologie, die mit einer Endokarditis kam. Leider hat sie durch die Bakterien auf der Herzklappe septische Embolien bekommen, die dann zu einem Hirninfarkt geführt haben. Und als sei  das noch nicht genug, hat der noch sekundär eingeblutet.
Interssanterweise hat die Patientin, der immerhin fast ein Viertel des Gehirns fehlt, fast keine neurologischen Ausfälle. Sehr faszinierend…
Gleichzeitig kann ich mir nochmal beim Oberarzt anschauen, wie man sinnvollerweise eine neurologische Untersuchung aufbaut.
Ein bisschen „alte Zeiten“. PJ – Zeiten. Da hat er mich oft auf Konsile durchs Haus mitgenommen. Das sind so die Momente, in denen selbst eine Mondkind die volle Breitseite der Faszination der Medizin mitbekommt. Interessante Fälle, die Chance viel zu lernen, aber „unauffälliges Anhängsel“ sein. Mal kurzzeitig keine Angst vor Fehlern haben.
Unser riesiges Problem ist jetzt natürlich die Antikoagulation – da wollten sich der Oberarzt und der Chef nochmal zusammen setzen. Ich bin gespannt, was die Patientin am Montag im Medikamentenplan hat und hoffe ein bisschen, dass sie bei mir gelandet ist…

„Mach Dir ein schönes Wochenende Mondkind“, erklärt der Oberarzt um kurz vor 20 Uhr. „Versuch es wenigstens…“, fügt er nach einer kurzen Pause hinzu. Worte, die okay sind. Er hat mich verstanden.
Hatten wir doch ein paar Minuten vorher, noch ein kurzes Gespräch. Ich hatte ihn um sein Ohr gebeten. Fünf Minuten. Im Arztzimmer.

„Was ist denn los Mondkind?“, fragt er. Und als Antwort auf diese Frage, klingelt erstmal sein Telefon. Ich glaube, fünf Minuten ungestört werde ich ihn tatsächlich nie bekommen. Während unseres Gespräches klingelt bestimmt drei Mal sein Telefon und vier Mal öffnet sich die Tür und eine Schwester steht im Zimmer. Und beim fünften Mal erklärt er: „Komm Mondkind, wir korrigieren jetzt mal den Brief…“ So enden dann Gespräche.
Und dennoch bin ich dazwischen wie ein Schwamm. Der jede Aufmerksamkeit, die mir entgegen gebracht wird, aufsaugt. Ich weiß nicht, was er über mich denkt, ohne es zu sagen. Aber wirklich verurteilt, hat er mich nie.
Ich weiß mittlerweile, dass es unsere „PJ – Freitagsgespräche“ vermutlich nicht mehr geben wird und ein „Mondkind, wir können das schon so weiter führen, wie es mal war“, vermutlich auch nichts wird. Aber ich musste noch ein paar Dinge abstecken, bevor ich am Montag mit dem Klinik - Therapeuten telefoniere. Herausfinden, was hier machbar ist. „Was kam denn da bei der ambulanten Therapeutin raus…?“, fragt er. „Wer ist denn das überhaupt…?“ Ich nenne ihm den Namen. „Ist das die, die da am Ende der Stadt arbeitet mit dem Haus in der Sackgasse…?“, fragt er. „Ähm… - ja…“, entgegne ich. Ans Dorfleben muss ich mich noch gewöhnen, denke ich…  „Die ist schon älter, die hat sicher schon einiges gesehen“, erklärt er. „Das kann sein“, entgegne ich. „Allerdings befürchte ich, dass wir nicht so wirklich warm miteinander werden.“
Ich frage ihn, ob er glaubt, dass Termine im Nachmittagsbereich irgendwie machbar werden. Schwierig, gibt auch er zu. „Und dann ist auch das Problem, dass sie es nicht behandelt, wenn da Suizidalität im Spiel ist. Was dann dazu führt, dass ich das Thema komplett ausklammern muss oder zumindest nicht darüber reden kann. Und wer fängt dann Krisen auf…?“, sinniere ich. „Naja bei einem Therapeuten sollte man darüber reden können – wo denn sonst?“ fragt er. „Sie meinte, Suizidalität gehört in die Klinik. Was offensichtlich gerade ein Problem ist...“, erkläre ich.
Überleitungszeit. Auf das, was ich eigentlich von ihm will. „Ich telefoniere ja Montag nochmal mit dem Klinik – Therapeuten“, erkläre ich. „Und ich überlege ein bisschen, was ich sagen kann und was er dazu sagen kann. Im Moment läuft es halt seit drei Wochen eher schlecht. Privat. Auf der Neuro funktioniert es ja noch. (Er wirft ein, dass es auf der Arbeit genauso läuft, wie er sich das erhofft hat und ich meine Arbeit ganz „wundervoll“ mache). Davon ab argumentiere ich jeden Tag mehrmals mit mir selbst, warum nicht heute der Tag sein kann, an dem dieses Leben mal ein Ende nimmt. Und ehrlicherweise kann selbst ich nicht einschätzen, wie akut das ist. Mir ist gerade ziemlich klar, dass das früher oder später passieren wird. Ich weiß nur gerade selbst nicht, ob wir hier von Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren reden. Aber was kann Herr Therapeut sagen? Die einzige Möglichkeit die er hat, wäre wohl vorzuschlagen, wieder hoch zu kommen und zu versuchen, das nochmal in der Klinik in den Griff zu bekommen. Aber… - meinen Sie, ich darf mir danach einen neuen Job suchen…?“ frage ich, lege den Kopf schief und schaue ihn an.
„Das ist schwierig in der Probezeit Mondkind“, erklärt er. „Dann müssten wir (wow… - er spricht mal immer noch von „wir“… ) mit dem Thema ganz transparent umgehen, dem Chef und dem Team erklären, dass Du ein psychisches Problem hast und jetzt erstmal in einer psychiatrischen Klinik bist. Dann weiß es natürlich jeder…“ Was der Chef dazu sagen würde, ist schwierig abzuschätzen. Das hängt wohl auch davon ab, wie sehr er mich für eine Simulantin hält. Man sieht es halt nicht… - was aktuell das Problem mit dem Seelsorger ist.
Und es wäre auch die Frage, ob es mehr bringen würde als ein paar Wochen Entlastung, ehe es zurück ins „alte Chaos“ geht. „Ich weiß auch nicht mehr, wie wir das lösen sollen“, erkläre ich dem Oberarzt. „Ich weiß genau, was mir fehlt. Das ist in diesem Sommer so deutlich geworden. Die Familie hat es mehr, als übertrieben. Und ich kann das einfach nicht loslassen. Ich wünsche mir Dinge, die ich nie bekommen werde und die emotionalen Löcher, die dadurch entstehen, die tun einfach in jeder Sekunde des Tages weh. Da geht keine Ablenkung weit genug.“ Tatsächlich schaffe ich es kaum, den Satz zu Ende zu sprechen. Vermutlich finden die Betroffenen das etwas nervig, aber ich glaube, wenn ich über mein eigenes Leben mal nicht rede wie andere Leute vom letzten Roman, den sie gelesen haben, sondern wirklich emotional werde, ist das einer der größten Beweise, dass ich dem Menschen vertraue, die Instabilität gerade mitzutragen. Auch wenn ein Arztzimmer freilich der falsche Raum dafür ist. „Ich halte diese Einsamkeit einfach nicht aus“, füge ich leise hinzu.
Er sucht nach Lösungen. „Mondkind, ich hatte das auch, als ich hier herkam. Ich kannte auch keinen. Vielleicht suchst Du Dir mal einen Verein…“. Es ist eine Idee, denn „normale“ soziale Kontakte sind natürlich auch wichtig. „Naja, das ist nicht diese Form von Einsamkeit“, gebe ich zurück. „Es ist nicht so, dass ich keine Freunde hätte oder so“, erkläre ich. „Auch, wenn die natürlich alle noch in der Studienstadt sind. Mit einer guten Freundin habe ich ständig die Diskussion darüber, warum sie nicht die Löcher in mir stopfen kann. Aber das ist eine andere Ebene. Das ist echt so ein Familiending. Beides ist wichtig und wenigstens auf der Freundschafts – Ebene bin ich ganz gut aufgestellt, aber das was so sehr wehtut, ist eben das Familiending.“
„Mondkind, Du brauchst eine Katze…“ „Jemand, der die Wohnung füllt, wenn ich nach Hause komme. Und allerhand Unfug angestellt hat…“, entgegne ich und er entlockt mir ein Lächeln bei dem Gedanken. „Genau…“, sagt er. Und dann werden wir schon wieder unterbrochen und beenden das Gespräch mit der Korrektur eines Briefes.



Warum tut die Abwesenheit mancher Menschen so sehr weh?
Und wieso tut die Anwesenheit manch anderer Menschen genauso weh?
Warum gibt es Grenzen, die wir nicht übertreten dürfen?
Warum gibt es Lösungen, die wir nicht ergreifen dürfen?

Warum gibt es so viele Dinge, die ich nicht sagen darf?
Wenn ich sie schon mal fühle.Vielleicht fühle ich deshalb so oft nichts.
Warum muss es manchmal so verdammt unfair sein?

Ich hoffe, dass er noch eine Weile mein Chef ist.
Und ich hoffe, dass ich diese Unterstützung nicht verliere… - egal, was auch passiert in den kommenden Monaten.
Ich hoffe, dass er mehr sieht, als dass alles ganz „wundervoll“ funktioniert und mich nicht eines Tages verurteilt, wenn es privat nicht mehr funktioniert. Dass er einer der wenigen Mennschen bleibt, der jedes Wort, das ich sage, hört.

Mondkind

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