Herr Therapeut am Telefon


Ich hätte ja mit Vielem gerechnet.
Aber nicht damit, dass das der Start in den „Magic Monday“ wird.
Eine Patientin hat sich bei mir bedankt.
Für meine Fürsorge, für mein offenes Ohr, für die Zeit, die ich mir für sie genommen habe.
Das berührt das Herz ein bisschen. Tut gleichzeitig seltsam weh, aber vermittelt auch ein bisschen Wärme…


***
So wake me up when it's all over
When I'm wiser and I'm older
All this time I was finding myself
And I didn't know I was lost
 
Avicii - wake me up

Weck mich auf, wenn dieser Albtraum hier vorbei ist.

„Sie würden sich also wünschen, dass Sie jemand umtopft sozusagen…“
„So in etwa, ja….“

Ich habe den Klinik – Therapeuten in der Leitung. Es ist etwas anstrengend, weil er auf dem Weg nach Hause ist und im Telefon im Hintergrund durchgängig irgendein Knacken, Piepen und Durchsagen von der Bahn zu hören sind. Und mein Kopf für heute ohnehin beschlossen hat zu streiken und die Kopfschmerzen eigentlich nur noch mit geschlossenen Augen auszuhalten sind.
Obwohl das den Nebeneffekt hat, Bilder vor dem geistigen Auge erscheinen zu lassen. Als wir uns das letzte Mal gehört haben. Da wurden die Tage schon langsam kürzer. Damals wusste ich nicht, ob ich je hier ankommen würde.
Es trägt ein bisschen, ihn wieder zu hören. Wirft ein bisschen zurück. Erinnert an die Geborgenheit, die er mal vermittelt hat. Ich bin dankbar, dass er eine Ecke Zeit für mich gefunden hat.

Umtopfen… - das wäre mal eine Idee. Irgendwie ist es verfahren. Zu verfahren. Ich weiß, dass es hier absolut nicht läuft, wie ich mir das vorgestellt hatte. Die Sicherheiten, die ich gehofft hatte, hier zu finden, finde ich nicht. Aber loslassen, kann ich es eben auch nicht. Diese ganze Idee, hier endlich ein bisschen Frieden in mir zu finden. Denn wo ich den sonst finden soll – dafür gibt es im Moment auch keine Idee.

„Verstehe ich Sie richtig… ? Sie haben Angst vor der Möglichkeit etwas zu verlieren, das im Moment auch nur eine Eventualität ist?“
Ganz so war der Wortlaut nicht, ich bekomme es ehrlich gesagt gerade nicht mehr ganz zusammen. Aber es ist klar, was er meint. Ich habe Angst etwas zu verlieren, das ich im Moment nicht mal habe.

Den Seelsorger findet er eigentlich ganz gut. Mit seiner Idee „Sein Sie ein Stück Eltern für sich selbst…“ Das schlägt er mir auch vor. Fünf bis zehn Minuten am Tag. Nur… - wie macht man so etwas? Sich um sich selbst so zu kümmern, wie um seine werten Patienten…? Und wie macht man das, dass es dabei nicht weh tut, weil es eben nur eine Notlösung ist? Weil da in der Realität keiner ist.

„Ich finde es ja gut, dass Sie noch da sind…“, merkt er irgendwann mal zwischendurch an.
Ich persönlich weiß jetzt nicht, ob ich das gut finden soll.
Kurz reden wir über das Überleben. Und, dass ich langsam nicht mehr weiß, wie ich es noch anstellen soll.
Er räumt ein, dass das folgende Argument nicht das ist, dass Patienten am Liebsten hören, aber schließlich schon etwas dran sei. Denn immerhin habe ich mich ja so manches Mal in der Vergangenheit für das Leben entschieden.
Nur hat alles irgendwo Grenzen. Denn leider Herr Therapeut, gibt es da einen Haken: Bisher gab es immer „gute“ Gründe, sich für das Leben zu entscheiden. „Durchhalten“ war jahrelang das Gebot der Stunde. Denn es sollte ja besser werden. Nach dem Examen. Im Job. Wenn ich – wie der Herr Neuro - Oberarzt sagte – zum ersten Mal im Leben das Gefühl habe, irgendwo anzukommen.
Leider hat er nur vergessen zu sagen, dass ich nur wenige Wochen auf einer Station bleiben werden. Dass Neues wartet, kaum dass ich mich an irgendetwas gewöhnt habe. Dass man mich für eine Art Überfliegerin hält, die alles schneller schaffen und aushalten kann, als die anderen es müssen.

Seit ein paar Wochen bin ich stille Beobachterin. Habe schon einige Praktikanten kommen und gehen sehen. Sie alle werden morgens mit sanften Druck auf den Rücken das erste Mal in die Frühbesprechung geschubst. Wie ich damals auch. Um alle kümmert er sich im Lauf des Tages. Gestern wurde um- und laienverständlich erklärt, was ein Konsil ist und dann waren die beiden eine Weile verschwunden.
„Er redet mit einem, wie ein Papa…“, merkte die Kollegin an.
Vermutlich waren diese Antennen, die schon vor Jahren auf der Suche waren, einfach verwirrt von so viel Fürsorge. Konnten schwer damit umgehen. Hofften, an etwas anknüpfen zu können. Und irgendwann vielleicht einen Abschluss zu finden.

Denn Abschlüsse, das war auch gestern das Thema mit Herrn Therapeuten, braucht es immer. Ich konnte schwer damit umgehen, dass meine Schwester nun doch nicht kam, weil es keinen Abschluss gab. Weil es eigentlich klar war, dass sie nur wenige Tage, nachdem wir uns zuletzt gesehen hatten, auf der Matte steht.
Und ich werde das Thema Familie nie loslassen können, weil es auch nie einen Abschluss gab. Von heute auf morgen zerfiel diese Welt. Von heute auf morgen war all das nicht mehr da, was bis dahin Normalität war. Wir durften unseren Vater nicht mal besuchen und er uns nicht. Wir mussten so schnell erwachsen werden, weil unsere Mutter damit überhaupt nicht zurecht kam. Die Welt brach hinter dem Deckmantel „Papa ist auf Geschäftsreise“ komplett zusammen. Und wir… - wir waren ja schon jugendlich. Also so fast erwachsen. Also hatte uns das doch bitte nicht mehr viel auszumachen. Wir sollten für die Mama da sein, war damals die glorreiche Idee unserer Oma. 

Ein bisschen "alte Zeiten"... Tee auf dem Tisch und Therapeuten am Ohr


Und jetzt… - was machen wir jetzt?
So sehr, wie solche Telefonate für den Moment tragen wird mir auch immer klar, dass niemand mir diesen Schmerz abnehmen kann.
Und, dass das hier alles immer ein sehr waghalsiges Unternehmen war.  Natürlich war die Hoffnung, am Ende von allem ins Leben zu finden. Trotz der schwierigen Vergangenheit und trotz der Tatsache, das völlig falsche Fach zu studieren. Und gleichzeitig war da immer die Angst davor, dass das nicht klappt. Ich wusste immer, was das bedeutet und wollte deshalb nie Zweifler zulassen.
Denn irgendwo hänge ich schon am Leben. Und diese etwas mehr als drei Jahre Hoffnung, die die ganze Idee mir hier nochmal gegeben hat, hatte auch gute Momente. Und wenn es nur morgens mit Kaffee und Katze neben sich auf der Dachterrasse sitzen war. Es braucht nicht viel, um eine Mondkind in sich ruhen zu lassen.

Allerhöchstens bis Januar. Je nachdem, wie es sich so auf der Neuro entwickelt.
Das heißt, keinen Sommer mehr.
Das heißt, dass am Ende so vieles umsonst war. 
Es ist schwer das auszuhalten, wie die Luft zum Atmen immer dünner wird. 

„Kann ich noch irgendetwas für Sie tun?“
Standardsatz des Herrn Therapeuten am Ende. Immer.
Und immer tut er auf die gleiche Weise weh.
„Können Sie mich nicht einfach hier raus holen?“, ist natürlich die falsche Antwort. Die vage Hoffnung, dass "Umtopfen" vielleicht irgendwo Hoffnung generieren kann. Dinge, die man bis dahin nicht gesehen hatte.

Denn eigentlich ist das hier ja keine Geschichte vom Warten auf dem Tod. Sondern davon, alles so lange zu drehen und zu wenden, bis es Hoffnung gibt. Und wenn das heißt, durch halb Deutschland zu ziehen. Nur langsam bin ich selbst halt am Ende. Mit der Kraft, der Hoffnung, dem Mut und dem Willen noch mal irgendetwas zu versuchen. 


Mondkind

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