Drei Wochen Job - wie ist man Ärztin? Und die Frage, nach einem "happy ending"
„Mondkind, Du wirkst etwas… - überfordert…“
Sagt der Kollege, der schon drei Wochen länger auf der
Stroke ist, aber vorher zumindest mal schon zwei Jahre in der Reha gearbeitet
hat.
„Bin ich auch“, sage ich dazu nur.
Eigentlich hätte ich Freitag mit der Therapeutin
telefonieren können. Und das hätte sogar ich vermutlich in meinem Zustand
geschafft, weil es per Mail verabredet war. Wenn ich einen ruhigen Raum gehabt
hätte. Und wenn nicht gerade meine Patientin schon wieder mit den
Herzfrequenzen abgeschmiert wäre und ich auf den Kardiologen gewartet hätte,
der über eine Stunde gebraucht hat, bis er dann mal da war.
Da ist die Gesundheit meiner Patienten nun mal wichtiger,
als meine eigene. Per Definition. Ich komme erst nach 17 Uhr. Frühestens.
Ich blicke langsam nicht mehr durch auf der Station.
Was darf, soll und muss ich machen? Und was ist umgekehrt
ein Fehler?
Was ist da eigentlich unser Auftrag? Gerade habe ich einen
Patieten mit multiplen Raumforderungen im Kopf. Muss er jetzt bei Verlegung auf
die Normalstation soweit abgeklärt sein, dass wir wissen, woher die
mutmaßlichen Metastasen kommen? Das würde natürlich eine ganze Latte von
Untersuchungen nach sich ziehen, die schnellstmöglich angemeldet und
durchgeführt werden müssen.
Umgekehrt ist das Mantra: Bitte nicht zu viel machen.
Wirtschaftlich denken. Und die Liegezeiten beachten. Nicht zu lange brauchen.
Ist es vielleicht jetzt nur unsere Aufgabe, den Patienten
mit Antikonvulsiva und Cortison soweit zu stabilisieren, dass die Strukturen in
seinem Gehirn kein Feuer der Neuronen mehr auslösen und den Rest auf der
Normalstation zu klären?
„Mondkind, Du musst langsam anfangen, selbstständig zu
arbeiten“, merkte der Oberarzt letztens an. Würde ich ja gern. Wenn ich wüsste,
wie das hier alles läuft. So eine minimale Einführung wäre halt schon nett
gewesen. Irgendwie.
***
Die Musik hilft mir mal wieder, ein bisschen zu
reflektieren. Das Gefühl von damals, an das einige Lieder schmerzhaft erinnern,
mit dem was heute ist, zu vergleichen.
Es gab immer wieder Zeiten, in denen die Neuro nicht im
Fokus der beruflichen Aktivität stand. Das war letztes Jahr eine Zeit, in der
ich noch in der Inneren gearbeitet habe und dieses Jahr, als ich noch fern von
hier in der Studienstadt war und immer mal telefoniert habe. Mit dem Neuro –
Oberdoc oder dem Seelsorger.
Und irgendwie haben die sich alle bemüht, mir ein bisschen
Sicherheit zu vermitteln. Ja, das wird schon alles nicht so schlimm und man
erwarte ja auch kaum etwas.
Und je mehr die Neuro beruflich in den Fokus rückt, desto
mehr verschwinden die Menschen dahinter. Heute sehen der Oberdoc und ich sich
beinahe jeden Tag, aber was im Vordergrund steht, sind halb tote Patienten,
Untersuchungen, die ich noch nicht gemacht habe (weil ich mich alleine nicht
ins Doppler traue), Briefe, die noch nicht fertig sind, oder in denen Fehler
sind.
Das müsste nicht ich sein – das könnte jeder sein.
Paradoxerweise löst die Schmälerung der räumlichen
Entfernung eher eine viel größere Distanz aus, als die, die wir hatten, als ich
noch so weit weg war. Mit überschlagenen Beinen auf der Dachterasse der
Psychiatrie zu sitzen und den Oberdoc in der Leitung zu haben, hat mich viel mehr
Nähe fühlen lassen, als wenn wir jetzt nebeneinander im Arztzimmer stehen.
Jetzt kann ich mich natürlich nicht beschweren. Es ist ein
Arbeitsplatz. Nicht mehr, und nicht weniger. Und wenn ich darin mehr gesehen
habe, als es ist – obwohl ich immer wieder von allen Seiten darauf hingewiesen
wurde – dann ist das mein Problem. Und meine Aufgabe, mit etwas umzugehen, das
sich anfühlt wie ein Verlust, obwohl der Plan doch war, hier etwas zu finden.
Es passt nicht in diese ganzen Medizinerblogs, in denen junge
Ärzte über ihr Glück berichten, nun in weiß über die Flure schweben zu dürfen.
Aber hat mein Blog jemals irgendwo rein gepasst? Sicher ist das eine ehrenvolle
Aufgabe. Wenn man mit dem Druck umgehen kann.
Kaum drei Wochen hat es gedauert, bis zur ersten großen
Krise. Ich habe das schon fast vergessen, dass ein wesentlicher Knackpunkt
immer war, dass es in der Zeit unmöglich ist, sich Hilfe zu holen. Das ist
immer eher weniger aufgefallen, wenn ich in der Studienstadt sowieso
wöchentliche Therapietermine hatte, die auch vorher verabredet wurden. Aber jetzt,
in der Situation, kann ich mich erinnern, dass das letztes Jahr auch schon so
war.
„Sie müssen einfach mal wieder arbeiten gehen“, hatte der
Oberarzt in der Psychiatrie zu mir gesagt. In solchen Zeiten ist es aber
wirklich die Hölle. Im Igelmodus mit Menschen arbeiten zu müssen – Ihr glaubt
nicht, wie müde mich die Tage machen. Im Prinzip bin ich zwölf Stunden des
Tages in allerhöchster Alarmbereitschaft, die Antennen schlagen nur an. Jeder
Satz, der nur eine Spur zu scharf an mein Ohr dringt, ist eine Katastrophe.
Das ist – entschuldigt den Vergleich – als sei man ein
gerade erst geborener Hamster. Blind, taub und ohne Fell. Und deshalb braucht
man eigentlich jemanden, der einen einfach nur schützt vor dieser Welt da
draußen.
(Randbemerkung: Da das mit der Katze ja nun scheinbar doch
nicht so schnell funktionert – vielleicht sollte ich mir einen Hamster
angeschaffen…)
Gelegentlich denke ich mir: Vielleicht hätte ich schon viel
früher auf mein Herz hören müssen. Im Prinzip war mir schon bei den ersten
Praktika klar, dass Medizin zwar interessant ist, aber dass das einfach nicht
der richtige Job für mich ist. Hier war es zwar besser, als in vielen anderen
Praktika – nicht zuletzt weil mein Oberarzt ja von der psychischen Labilität
wusste – aber auch selten richtig gut. Keine Angst zu haben, ist ja schon
gleichzusetzen mit gut. Die Latte hängt ja nicht mal hoch. Die einzige
Famulatur, in der ich wirklich jeden Morgen gern hingegangen bin, war meine
Psychiatrie – Famulatur. Irgendwie hatte ich da das Gefühl, dass sich die
Menschen dort auch im Medizinsektor ihre Menschlichkeit bewahrt haben.
Aber jetzt bin ich Assistenzärztin. Und psychische Labilität
hin oder her – jetzt müssen meine Vorgesetzten etwas erwarten. Jetzt sind die
Zeiten mit „Mondkind, wenn es Dir nicht gut geht, hältst Du Dich im Hintergrund
oder ziehst Dich mal für eine Stunde zurück“, vorbei. Vermutlich hat jeder –
einschließlich mir – gehofft, dass ich nach der Klinik stabil genug bin, um das
zu stemmen.
Freunde hängen mir schon in den Ohren mit „Mondkind, Du
musst das ja nicht machen. Dann kommst Du halt zurück in die Studienstadt.“ Das
Problem ist, dass es so einfach nicht ist. Ich habe jetzt hier eine Wohnung,
bei der ich auch eine dreimonatige Kündigungsfrist bedenken muss. Ich habe eine
Küche für mehrere tausend Euro bestellt. Und ich kann keine laufenden Kosten
haben, ohne irgendeinen Plan, wie die zu decken sind.
Suizid ja oder nein.
Was mich im Moment irgendwie noch festhält ist der Gedanke,
dass ich weiß, dass das Leben anders sein könnte. Die Unabhängigkeit hilft mir
schon sehr. Und im Prinzip ist das doch nicht so schwer.
Ich hätte keinen Job gebraucht, in dem ich immens viel
verdiene – so, dass ich nicht ständig jeden Penny umdrehen muss, wie in
Studienzeiten – das hätte gereicht. Ich habe noch nie viel Geld ausgegeben -
ich bin nicht der Typ, der ständig irgendwohin in den Urlaub fahren muss. Eine
hübsche, kleine Wohnung wäre nett. Und so viel Gehalt, dass man es sich
vielleicht am Wochenende mal gönnen kann, sich ins Cafe zu setzen. Und dafür
einen Job, bei dem man meinetwegen auch etwas später nach Hause kommt, aber
nicht so viel Verantwortung trägt, das einen das von Grund auf überfordert. Und
versteht das nicht falsch - ich möchte arbeiten gehen – aber ich brauche einen
Job, in dem ich keine Angst haben muss.
Das wäre doch möglich gewesen, hätte ich irgendwann mal
eingesehen, dass das was meine Eltern vorgesehen haben, nicht mein Ding ist.
Die sind ja auch keine Mediziner. Und wie mein Vater letztens schon treffend
anmerkte: „Wenn ich mal etwas falsch mache und mein Server mal kurzzeitig
stirbt, ist das zwar nicht schön, aber auch nicht dramatisch…“ Wenn ich etwas
falsch mache, ist mein Patient unwiederbringlich tot, es ist unfassbar viel
Leid in der Familie, mal abgesehen vom rechtlichen Aspekt.
Und hätte ich einen anderen Weg gewählt, hätte ich das doch
haben können. Was hatte ich früher für Ideen, was ich alles hätte machen
können. (Manchmal denke ich mir schon, vielleicht sollte ich, bevor ich
aufgebe, es doch nochmal in der Psychosomatik versuchen. Das ist keine Form von
Abwertung. Aber vielleicht sollte ich einfach mal Dinge tun, mit denen ich
zurecht komme. Und ich komme super damit zurecht, wenn es um die Interaktion
mit Patienten geht und ich gehe gern auf sie ein, bin da, um mir Sorgen
anzuhören und ein paar tröstende Worte zu finden. Nicht umsonst sitze ich da
jeden Abend bis 20 Uhr in der Klinik. Und dafür kein Akut – Geschäft. Keine
ständig klingelnden Monitore und kein ständiges Sterben.
Dieselbe Verzweiflung, nur auf einer anderen Ebene, die ich
eher mittragen und auffangen kann. Und immerhin wollte ich mal Psychologie
studieren – durfte ich natürlich nicht).
Vielleicht ist das irgendwie der „3 – Wochen – Job – Blues“.
Vielleicht hoffe ich das auch nur. Weil ich das ja eigentlich seit mehr als
sechs Jahren weiß und hoffe, dass ich es trotzdem irgendwie aushalten kann.
Die Freundin war im Übrigen so nett und hat wirklich den
Seelsorger angerufen. Er soll wohl auch nicht böse gewesen sein, dass ich es
nicht selbst regeln konnte. Vermutlich kann er mir nächste Woche einen Termin
geben. Ist nur blöd, dass unser Oberarzt nicht da ist und es mit dem Chef nicht
angesprochen ist, dass ich einfach verschwinde – nach Dienstschluss, aber bevor
alle Briefe geschrieben sind, wenn es nicht anders geht. Und er wird halt echt
etwas ungemütlich, wenn man zu spät kommt.
Ansonsten überlege ich ja morgen früh nochmal auf der
Station der Psychiatrie anzurufen. Ich brauche einfach mal irgendwen zum
Reflektieren. Das darf aber keine „ich drehe mein Handy 5 Stunden im Kreis“ –
Aktion werden – ich muss nämlich morgen echt mal EEG lernen…
***
Die Karte habe ich heute beim Einkaufen gesehen. Und musste sie mitnehmen. Weil es sofort die Gedanken hat anspringen lassen. Und sie im Endeffekt irgendwie beruhigt.
Die Menschen tun immer so, als müsse man so lange an sich arbeiten, bis alles gut ist. Vielleicht muss man das aber nicht. Vielleicht geht es darum nicht. Vielleicht wird es nie ein gutes Ende geben. Vielleicht ist das unter den Umständen, in denen ich jetzt lebe, nicht mal erreichbar.
Vielleicht geht es um das, was nebenbei entstanden ist. Vielleicht geht es um die Erfahrungen von Orten, an denen ich nie hätte sein sollen. Vielleicht geht es um das Erleben von Freundschaften, die unter den Umständen nie hätten entstehen dürfen. Um Erfahrungen aus Wegen, die ich nie hätte gehen sollen. Um Entscheidungen, die ich nie hätte treffen sollen. Oder zumindest hätte anders treffen sollen. Wenn es nach den anderen gegangen wäre.
Und vielleicht geht es darum, dass ich es trotzdem gemacht habe, obwohl ich dafür teilweise von so vielen Seiten verurteilt wurde.
Vielleicht geht es um die vielen Oasen, um die guten Momente, die ich mir trotzdem zwischendurch geschaffen habe.
Vielleicht geht es darum, dass das meine eigene Geschichte ist. Nicht konventionell, aber meine.
Vielleicht kann ich nicht alt werden mit all meinem Erleben. Für mich war so Vieles normal.Aber wenn man es erzählt, dann scheint es für Andere nicht normal zu sein.
Vielleicht kann es nicht gut werden. Nie.
Vielleicht muss ich nicht wissen, wie lang der Weg ist, den ich noch gehe.
Vielleicht darf ich dennoch einfach stolz sein auf das, was ich trotz allem erreicht habe. Vielleicht ist es am Ende kein Versagen, wenn es kein "happy ending" wird. Vielleicht reicht die Story. Und die ist lang. Von vielen Kämpfen und wenigen Erfolgen geprägt - aber auch davon, so oft wieder aufgestanden zu sein, es immer wieder versucht zu haben, viele Wege gegangen zu sein, unendlich oft über den Schatten der Angst gesprungen zu sein. Bis man am Ende des Tages müde geworden ist.
Vielleicht geht es um die vielen Oasen, um die guten Momente, die ich mir trotzdem zwischendurch geschaffen habe.
Vielleicht geht es darum, dass das meine eigene Geschichte ist. Nicht konventionell, aber meine.
Vielleicht kann ich nicht alt werden mit all meinem Erleben. Für mich war so Vieles normal.Aber wenn man es erzählt, dann scheint es für Andere nicht normal zu sein.
Vielleicht kann es nicht gut werden. Nie.
Vielleicht muss ich nicht wissen, wie lang der Weg ist, den ich noch gehe.
Vielleicht darf ich dennoch einfach stolz sein auf das, was ich trotz allem erreicht habe. Vielleicht ist es am Ende kein Versagen, wenn es kein "happy ending" wird. Vielleicht reicht die Story. Und die ist lang. Von vielen Kämpfen und wenigen Erfolgen geprägt - aber auch davon, so oft wieder aufgestanden zu sein, es immer wieder versucht zu haben, viele Wege gegangen zu sein, unendlich oft über den Schatten der Angst gesprungen zu sein. Bis man am Ende des Tages müde geworden ist.
Mondkind
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