Schuhe



Na, wer kann sich an diese Schuhe erinnern?
Die alten Hasen auf diesem Blog, werden es vielleicht noch wissen.
Letztes Jahr war ich noch in rot auf der Akutneurologie unterwegs. Bevor es den Neubau gab, war das unsere Farbe. Und irgendwann befand ich, dass ich dann auch passende Schuhe brauche. 

Letztes Jahr auf der Akutneuro


Heute passt dieses Bild nicht mehr ganz.Mit den roten Schuhen und der weißen Hose.
Wie so Vieles…

Der Gedanke ist mir heute Morgen gekommen, als ich den Berg zur Klinik hoch gelaufen bin. Das Fahrrad lasse ich mittlerweile am Fuß des Berges stehen. Ich habe beschlossen, dass es am Fahrrad liegt, dass ich den Berg nicht mehr hoch radeln kann – befürchte aber insgeheim, dass es doch an meiner schwindenden Kraft liegt. Ab einem bestimmten Punkt ist es nun mein alter Weg aus dem letzten Jahr, den ich morgens und abends gehe. Als ich noch auf halber Höhe am Berg gewohnt habe. Und heute bin ich auf meinem mp3 – Player zufällig über ein altes Lied gestolpert, das ich letztes Jahr am Ende des Dezembers auf Dauerschleife gehört habe. Johannes Oerding – Hundert Leben.

Ich zitiere mich mal kurz selbst aus dem Ende des letzten Jahres: „Vielleicht ist das hier eine Situation, die es nur noch ein Mal geben kann. Nämlich genau jetzt.“ Es war ein Statement, das ich da formuliert hatte. Und von dem ich insgeheim gehofft hatte, dass ich nicht Recht habe.
Die Krisen letztes Jahr um diese Zeit kamen weniger zu Stande, weil das alles so furchtbar war. Sondern mehr deshalb, weil ich wusste, dass es nicht so bleibt. Und man hatte mir schon damals vermittelt, dass das Assistenzarztleben anders aussieht.

Ende des letzten Jahres im Dezember war ich drei Monate auf der Neurologie gewesen. Hatte viele Stationen gesehen. Kannte die meisten Assistenzärzte. Und war auf den meisten Stationen ein gern gesehener Gast. Einer schwangeren Kollegin habe ich alle ihre Lumbalpunktionen abgenommen und nachdem das eigentlich in fast allen Fällen auch geklappt hatte, haben mich auch andere Kollegen gefragt. Gern habe ich es nicht gemacht, aber ich war als „Lumbalpunktions – Königin“ bekannt. Gelegentlich stand das Telefon nicht mehr still, weil hier noch einer eine Aufnahme wollte, ein anderer einen Brief, der Nächste eine LP.

Ich wusste, dass dieser Bruch kommen würde. Dass ich viele Monate weg sein würde. Zurück in die Studienstadt würde gehen müssen. Irgendwie die Chirurgie und das dritte Staatsexamen würde überstehen müssen.
Und ich hatte Angst. Lange Pausen in engen Kontakten waren noch nie gut gewesen. Nahtlos anzuknüpfen, funktioniert eigentlich nicht.
Und doch habe ich gehofft. Dass es dieses eine Mal anders wird. Dass ich dort weiter machen kann, wo ich im Dezember aufgehört habe.
Und als Erinnerung daran, haben mich die roten Schuhe durch die Hölle der Chirurgie getragen. Eine unauffällige Erinnerungen an den Füßen, warum man sich das jeden Tag antut.

Chirurgie...


Und jetzt stehe ich hier.
Mit den Fragen, die mir keiner beantworten kann.
Wie viel muss der Mensch aushalten? Letzten Endes kann man alles irgendwie so drehen, dass es entweder „mutig“ oder „versagen“ ist.
„Die ersten Wochen sind beschissen Mondkind. Das ist einfach so. Das musst Du jetzt einfach mal aushalten und irgendwann wird es besser.“
Und umgekehrt: „Mondkind, es wäre eine mutige Entscheidung einzusehen, dass Dinge auch gelegentlich vor die Wand fahren. Anders laufen, als man sich das erhofft und gewünscht hat. Und manchmal muss man die Dinge einfach beenden. Was hältst Du denn davon, Dich erstmal krank schreiben zu lassen, wieder hier hoch zu kommen, nochmal ein paar Wochen Klinik einzuschieben, Dich zu stabilisieren und dann zu schauen, wie es weiter geht…?“

Welcher Weg wäre mutig? Welcher wäre richtig? Berechtigt?
Worum geht es? Darum, jetzt mit der Situation wieder besser leben zu können? Oder um die Hoffnung, das irgendwann mal zu können?
Geht es darum, erstmal irgendwo sicher zu sein? Oder darum, wieder mal an den Klippen entlang zu tanzen und irgendwann (hoffentlich) festzustellen, dass man mal wieder eine Krise überlebt hat?

Und wie will ich das jetzt überhaupt lösen? Bisher gab es immer etwas, für das ich gekämpft habe. Es sollte ja besser werden. Genau jetzt. Genau hier.
Das fällt ja nun weg. Das Einzige, mit dem ich mich jetzt gerade noch vorwärts treiben kann, ist Angst. Das hat schon immer funktioniert. Katastrophendenken. Ist die Antwort auf die Frage des Seelsorgers, woher ich in dem Zustand noch die letzten Kräfte mobilisiere. „Kinder, wenn Ihr nicht lernt, fliegt ihr vom Gymnasium auf die Hauptschule und dann landet ihr unter der Brücke.“ Und ich kälteempfindlicher Mensch habe mir dann schon als 10 – jährige vorgestellt, wie ich unter der Brücke mal irgendwann erfriere.
Wenn mir heute Jemand, dem ich das glauben könnte, sagen würde, dass ich erst gesünder werden und dann arbeiten kann, dann würde ich das hier nicht mehr einen Tag länger machen. Kann man mit einem abgeschlossenen Medizinstudium ein Fall fürs Sozialversicherungssystem werden und am Hungertuch nagen, wenn Plan A nicht funktioniert?
Ich weiß es nicht. Wäre nicht allen geholfen, wenn ich mit mehr Kraft auf der Arbeit wäre? Und irgendetwas gefunden hätte, für das es sich lohnt. Irgendein guter Moment, der definitiv und immer kommt, egal wie blöd der Tag ist. (In der Psychiatrie waren das rückblickend die Katzen – Momente. Wie schön war das, morgens im Sommer mit einer leichten Jacke und einem Kaffee in absoluter Stille und eine mauzende Katze neben sich liegend auf der Dachterasse des Geländes zu sitzen…?).
Ich würde die Neuro und den ganzen Krankenhaus – Job vielleicht noch gar nicht mal definitiv abschreiben wollen. Wenn ich etwas finde, das den Stresspegel senkt. Wenn ich einen Ort finde, an dem ich zwischenzeitlich einfach „sein“ darf. Wenn Arbeit, Arbeit bleiben darf.

Kraft tanken… - wäre auch mal eine Idee für die freien Tage, die ich bald habe. „Also Mondkind, Du hast zwei Optionen: Entweder Du machst Dein Flussdiagramm für die Notaufnahme, oder Du pflegst Deine Sozialkontakte und düst in die Studienstadt. Die Freunde wären übrigens auch enttäuscht, also überleg Dir das gut…“
Und wenn man die „Bauchgefühl – Mondkind“ fragt… - dann geht es der auch mit Kaffee auf dem Sofa ganz gut. Ohne zu hören: „Mondkind, jetzt mach doch endlich mal Druck bei den Internisten, dass die den Patienten mal nehmen“, nur um wenig später vom Chef der Internisten zu hören: „Also es tut mir leid Mondkind, aber internistisch ist der Patient nun wirklich nicht…“

Letztes Jahr kam mein Schwesterchen hin und wieder mal runter gefahren und hat mir damit die Mammut – Tour in die Heimat erspart. Denn auch schon damals hat die Psyche ja genug an den Kräften gezogen. Dann hat sie das Auto mitgebracht. Und wir waren in der Umgebung. Im Moor. In den umliegenden Kurorten. Manchmal war auch das zu anstrengend. Und manchmal… - manchmal war das auch überwältigend okay.
Die Zeiten haben sich geändert. Denn das, was mal war, das konnte es vielleicht nur noch ein Mal geben. Selbst mit dem Auto sind die Touren zu weit geworden, seitdem meine Schwester in den Norden gezogen ist. 

Mondkind

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