Wochenend - Gedanken zum Thema Versagen


Ich lasse es das Wochenende mal etwas ruhiger angehen.
Obwohl ich eigentlich mehr als genug zu tun hätte.

Man fordert immer mehr von mir und der Oberarzt hat mich letzte Woche mit Dokumenten zugeschmissen, die ich doch bitte am Wochenende durcharbeiten soll. Außerdem hat er jeden Brief zu 90 % umgeschrieben und mich damit extrem verunsichert. Ich weiß nicht, ob ich wirklich so schlecht bin, oder ob er erstmal ein paar Jahre lang den Oberarzt raus hängen lassen muss, ehe er auch ruhiger wird.
So Oberarzt – like geht ohne Kaffeetasse auf der Visite natürlich gar nichts. Auch kann man ja den Assistenzärzten mal den Vierfarben - Kuli aus der Brusttasche ziehen. Selbstverständlich ohne die Verpflichtung, den zurück zu geben – oder wenn, dann gibt es maximal einen halb funktionierenden Einfarben - Kuli. Ich habe mir jetzt mal zwei Stück gekauft (die sind echt teuer…), denn ich brauche meine vier Farben, um nach der Visite die To Do – Liste für den restlichen Tag zu basteln, ohne dabei etwas zu vergessen.

Ich habe mir vorgenommen – so lange ich die Wochenenden noch habe – an diesen Tagen ein bisschen mehr auf mich zu achten. Morgens zumindest mal ganz in Ruhe den Kaffee zu trinken, bevor ich samstags starte, die Wohnung zu putzen. Mir beim Einkaufen am Wochenende mal etwas zu gönnen, wenn ich auf irgendetwas Lust habe. Abends zu kochen. Mindestens einen von beiden Tagen im Park spazieren zu gehen. Mal ein Bananen – Brot backen.
Ein bisschen Achtsamkeit, damit die freien Tage vielleicht irgendetwas ausbügeln können.

👀 auf für den Herbst 🍂🍁


***
Ehrlich gesagt weiß ich langsam nicht mehr, was ich glauben soll. Was ich mir selbst glauben soll. Bei allem, was ich dann doch mal irgendwie fühle, springt direkt die Bewertung an. Die Verurteilung. Ein „Das würden die Eltern jetzt sagen.“ Oder das Umfeld.
So viele Dinge dürfen nicht sein, wie sie sind.

Immer wieder über die Grenzen. Was früher temporär zu sein schien, hat jetzt keinen Endpunkt mehr. Seit dem ersten Praktikum wusste ich, dass Krankenhaus einfach nicht so meins ist. Und irgendwie habe ich immer einen Grund gefunden, warum die Intuition falsch ist. Mal war es vielleicht die falsche Station. Nicht das Fachgebiet, das mich wirklich interessiert. Mal waren im Team auf der Station vielleicht einfach zu viele Spannungen – was ich ja nur irgendwie überstehen muss, denn ich muss in dem Team nicht auf Dauer arbeiten. Mal war es vielleicht, weil ich auf der Station am Ende doch nur Gast war und man da freilich nicht so eingebunden wird. Und mal ist es vielleicht einfach das Schicksal des Praktikanten, überall und nirgendwo zu sein.
Vielleicht – so die Hoffnung – ändert sich das ja alles, wenn man mal einen Job hat und sich wirklich mit der Station auf der man arbeitet, identifizieren kann. Vielleicht hat man ja auch nach dem Studium mal etwas wie Ahnung und vielleicht gehen dann die Ängste weg.

Und jetzt stehe ich hier und frage mich, ob das jetzt das ist, was ich die nächsten vierzig Jahre aushalten soll.

Der Klinik – Therapeut möchte sich, wenn er mal eine Ecke Zeit findet, noch ein Mal rein hängen in die Sache. Was mich letzte Woche unglaublich erleichtert hat und ehrlich gesagt hatte ich das auch überhaupt nicht erwartet. Ihm muss ich zumindest mal nicht mehr viel erklären. Er weiß, um was es hier geht.
Ich muss mir nur überlegen, was ich von ihm will. Aus der Situation retten kann er mich auch nicht – auch wenn ein bisschen seelische und moralische Unterstützung natürlich immer gut tut.

„Sag mal Mondkind, was würdest Du denn machen, wenn er sagen würde, dass Du erstmal wieder zurück in die Studienstadt kommen sollst, vielleicht nochmal ein paar Wochen Klinik machst und in der Zeit und von da aus versuchst heraus zu finden, wie es weiter geht?“, fragte ein Freundin.
„Keine Ahnung… ich glaube… - nee, ich kann jetzt nicht zurück in die Studienstadt“, habe ich ihr nach ein paar Minuten erklärt.
„Wieso nicht…?“, kam es prompt zurück.

Weil die Mondkind wieder im Außen denkt. Und das Denken des Außens wieder nutzt, um sich zu verurteilen. Und da hat die Mondkind viel im Kopf. „Das sieht doch aus Mondkind, als würdest Du vor der Arbeit weg laufen. Als würdest Du Dich immer dann aus dem Staube machen, wenn es ein bisschen schwierig wird…“ „Mondkind, überleg doch mal. Dann müssten ja die anderen Kollegen für Dich mitarbeiten…“ „Sag mal Mondkind, bist Du ganz, ganz sicher, dass Du nicht einfach nur ein bisschen zu faul zum Arbeiten bist? Das kann doch nicht zu viel verlangt sein, da seine acht Stunden auf der Arbeit abzuleisten. Und über den Chef kannst Du Dich doch wirklich nicht beschweren. Da gibt es viel Schlimmere…“ „Mondkind… - das ist schon irgendwie undankbar. Schau doch mal. Du lebst in der Stadt, in der Du immer sein wolltest, Du hast eine hübsche Wohnung und abgesehen von der stressigen Arbeit gibt es jetzt echt nichts mehr zu leiden. Vor einem Jahr warst Du schlimmer dran, jetzt ernsthaft…“ „Mondkind, Dir ist aber schon klar, dass Du es damit nur noch schlimmer machen würdest. Wie willst Du das denn finanziell hinbekommen und was machst Du, wenn die dich dann raus schmeißen? Andere Krankenhäuser hier auf dem Land würden relativ bald wieder einen Umzug nach sich ziehen, Du müsstest weg von dem Ort, für den Du drei Jahre gelebt hast. Und wenn Du am Krankenhaus bleiben darfst, hättest Du nach ein paar Wochen Ausfall überhaupt keine Wünsche mehr anzumelden. Und ein bisschen gegen Deine Ehre geht es Dir hoffentlich auch, den Berufsstart mit mehr Krankheit als Arbeit zu starten.
Die inneren Kritiker sind also sehr fleißig um zu verhindern, sich nochmal in irgendeiner Hinsicht angreifbar zu machen. Für die war nämlich die „Mondkind – kümmert – sich – um – sich – Zeit“ gar nicht so toll.

Also doch irgendwie aushalten, wenn ich die Kritiker noch weniger aushalten kann? Aber wie, wenn es mit den zunehmenden Erwartungen und mit meinem schlechter werdenden Zustand immer schwieriger wird? Wenn ich dann irgendwann nicht mal mehr meine dringend benötigten Wochenenden habe... (nächstes Wochenende schwebt schon wieder eine Fortbildung im Orbit. Ohne Auftanken in die Woche starten zu müssen... - das geht echt nicht...)
Nicht weiter zu machen, wäre halt persönliches Versagen. Für mich.
Es wäre nicht „Vielleicht war das ja schon immer nicht das Richtige für mich“, sondern einfach Versagen. Die anderen schaffen es ja auch alle.
Ich finde Medizin eben nicht mal uninteressant. Das kann man wirklich nicht sagen. Ich sitze immer noch ganz gern mit meinen Epilepsie – Sachen am Schreibtisch. So auf akademischer Ebene. Mein Lieblingsspiel dieses Wochenende: „Finde das epilepsietypische Potential im Beispiel – EEG“ Das hat echt Stil, das muss ich sagen. Ich komme ja „nur“ auf Klinik – Ebene überhaupt nicht zurecht damit.

Und da gibt es noch so viele Fragen. Ist das wirklich der falsche Job, wenn Neuro an sich mir Spaß macht? Oder ist das nur der falsche Job, wenn es mir schlecht geht? Weil im Igel – Modus nun mal generell nichts geht. Ist es der falsche Job, solange ich das Suizidalitäts – Problem nicht geklärt habe und jeder Todesfall ein moralisches Dilemma darstellt? Und dieses „Durchhalten“ im Diesseits generell so viel Energie frisst, dass fast nichts mehr übrig bleibt? Oder solange, bis ich irgendetwas wie Halt gefunden habe? Irgendetwas oder irgendjemand, das mir so viel Halt gibt, dass es all die Strapazen aufwiegt? Vielleicht solange, bis ich das Familienproblem gelöst habe. Bis ich genug Grenzen zur biologischen Familie gezogen habe, damit mich das nicht ständig belastet und ich irgendetwas wie „Ersatz“ gefunden habe, mit dem ich leben kann (Der Herr Seelsorger schlug letztens mal wieder die Religion dafür vor. Ich meine… - er ist Pfarrer, was soll er sagen? Für ihn ist das natürlich DIE Lösung, für mich eher nicht so. Aber vielleicht sollte ich mich mangelnds Alternativen wirklich mal damit beschäftigen… Oder nochmal das Thema Haustiere überdenken. Vielleicht muss man der Typ dafür sein, aber ich glaube, das könnte mir schon viel geben).

Ist vielleicht das „einzige“ Problem, dass es viel, viel zu früh war? Ich glaube, zumindest einige haben in der Klinik diesen ganzen Plan mit Entlassung, Umzug und Jobstart innerhalb weniger Tage kritisch gesehen. Aber so in alter Mondkind – Manier…
Vielleicht wäre es einfacher, wenn man das Mondkind – Maschinen – Denken mal weglässt. Es muss nicht alles klappen. Schon gar nicht, wenn man krank ist. Und die Grenzen seit unfassbar vielen Jahren ausreizt. Seit so vielen Jahren nicht weiß, warum man morgens aufsteht und es trotzdem automatisiert tut. Da darf man mal eine Ehrenrunde einlegen. Ohne das als das ultimative Scheitern betrachten zu müssen. Als Faulheit. Oder sonst irgendetwas.
Und eigentlich wäre jeder wie auch immer geartete Versuch, der mir irgendeinen Gewinn von Lebensqualität geben könnte, gerechtfertigt. Denn es ist mein Leben. Meine Existenz. Es wird mir in 40 Jahren auch keiner danken, wenn ich das Gefühl habe viel für die Gesellschaft und wenig für mich getan zu haben. Und im Idealfall geht ja beides.

Mein Hirn müsste verstehen, dass es mehr Optionen, als Durchhalten oder Sterben gibt. Und auch mal leben mit allen Konsequenzen wollen. Und nicht immer denken: „Vielleicht machen wir das hier ja noch ein paar Monate, treiben das absichtlich bis weit jenseits der Grenzen, um die Chance des Suizids am Ende zu erhöhen – dann hört das nämlich bald auf und nicht erst in 20 Jahren.“ Aber wie bringt man sich dahin, wenn man das bei jedem ehrlichen Hinterfragen eigentlich nicht will?
Eigentlich sollte es mich nicht mal wundern, dass die mir nahe stehenden Personen ein bisschen an meiner Sturheit verzweifeln. Ich tue das ja auch. Bin so offen und wertschätzend allen Menschen gegenüber, versuche ihnen alles zu ermöglichen, was ihnen gut tut. Nur ich für mich selbst kann es nicht. Warum auch immer. Vielleicht wäre auch eine Antwort auf diese Frage mal ein Anfang...

Mondkind

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