Stroke - Unit - Alltag und ein Paradoxon
Manchmal hilft auch ein Neuron auf
dem Schreibtisch nicht mehr.
Manchmal. Oft. In den letzten
Tagen.
***
Wohin? Mit mir, den Gedanken, dem
Druck?
Mit jedem Arbeitstag nimmt das
ein bisschen mehr zu. Jobstart ist vermutlich schon so schwierig. In einer
psychisch stark belasteten Situation, ist es der Horror.
Im Kopf gehe ich alle
Ansprechpartner durch. Aber irgendwie… - vielleicht bin ich langsam über die „ich
gehe auf Leute zu“ – Phase auch schon wieder raus.
Weil es sich so verboten anfühlt.
Weil die Seele doch nicht so weh tun darf.
Wenn ich meine Patienten so
anschaue. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir in meinen Famulaturen und im
PJ täglich so ein Drama auf der Station hatten. Im Moment haben wir so viele
schwer betroffene Patienten. So Viele, für die sich innerhalb von einem Moment
alles geändert hat. Menschen, die sich nicht mehr bewegen können, die nicht
mehr sprechen können. Die nicht mehr sagen können, was ihnen auf der Seele liegt.
Ich versuche zu helfen, auch
menschlich. Zu tun, was ich kann. Erkläre gerade den zuletzt genannten jeden Schritt
genau, frage sie jedes Mal, ob sie mir mit einem Nicken zu verstehen geben
können, ob sie verstanden haben, was ich erklärt habe.
Aber vermutlich bringt all das
nicht viel. Die Nächte sind lang und dunkel und manchen sieht man am Morgen
regelrecht an, wie sie sich des Nachts den Kopf über die Familie, den Job oder
die Zukunft zermartert haben.
Ich kann den Patienten so viel
geben. Bekomme so viel positive Rückmeldung. Ich kann mich daran erinnern, dass
man mir gesagt hat, dass man mich nur noch mehr mit Arbeit zuschmeißt, wenn man
merkt, dass ich sie gut mache. Und, dass ich in eigenem Interesse nicht der
Stationsliebling werden soll. Aber die Schwestern haben schon verstanden.
Verbinden mich auch dann noch, wenn die Patienten schon verlegt sind, mit den
Angehörigen. Oder mit Angehörigen von Patienten, die ich gar nicht mehr
betreue. Weil ich nicht sage, dass ich dazu nichts sagen kann. Oder keine Zeit
habe. Weil da Menschen sind. Die in Sorge sind. Um die Menschen, die sie
lieben.
Und dann… - dann komme ich. Ich,
die doch jetzt viel hat von dem, was sie immer wollte. Immer noch auf dem Weg
in die Unabhängigkeit, aber auf einem guten Weg.
Dann kommt die Mondkind, die
einmal das haben möchte, das sie den ganzen Tag anderen gibt.
Seit Montagmorgen überlege ich
mir, wen ich wohl zum Zuhören anhauen könnte. Der Seelsorger hätte wohl einen
Termin verteilt, wenn er Zeit gehabt hätte und ihn anzurufen, bringt ihn in
Zugzwang. Die Therapeutin hat darauf eigentlich auch nicht viel Lust und merkt
sowieso jedes Mal an, dass sie aus der Ferne nicht viel tun kann. Der Herr
Oberarzt – das wird mir immer mehr klar – ist der richtige Mensch im falschen
Kontext und da sind Grenzen zu ziehen. Wenn er mich mal fragt, wie es geht, ist
es okay, aber ich kann schlecht an sein Büro klopfen und fragen, ob er mal
schnell meine Seele auffängt. Und nochmal auf der Station anrufen… - wer weiß,
wen ich da in der Leitung hatte. Letztens hatte ich noch „Spione“ im Sinn von
Mitpatienten, die noch da waren und mir sagen konnten, wer von der Pflege
gerade da ist. Je nach dem, kann das sonst auch einen gegenteiligen Effekt als
ursprünglich intendiert haben.
Und so manchmal… - habe ich auch
keine Lust mehr auf therapeutisches Gerede. Ich weiß ja, was mir fehlt. Ich
weiß, wie das zu Stande gekommen ist. Und auch wenn ich davon nicht überzeugt
bin, habe ich oftmals gehört, dass ich daran und an der konsekutiv entstandenen
Krankheit nicht Schuld bin.
Und ich weiß, dass ich das nie
bekommen werde, das mir fehlt. Dass alle Versuche immer nur Ersatz bleiben.
Und, dass man sich wahrscheinlich
sämtliche Therapien sparen könnte, wenn sich jemand finden täte, der das
Konzept der Nachbeelterung einfach mal lebt. Und länger als ein paar Wochen
bleibt. Wenn mich jemand regelmäßig ein paar Minuten in den Arm nimmt und nicht
mehr loslässt. Wenn jemand ein bisschen dieses von dem einen auf den anderen
Tag verloren gegangene Familienleben lebt. Nur, damit ich für mich selbst einen
Abschluss finde.
Der Oberarzt hielt das übrigens für eine Krake... 😂 |
***
Der Tag beginnt schon
anstrengend. Kaum bin ich auf der Station, klingelt schon mein Telefon. Ich
habe den Kardiologen in der Leitung, der eine meiner Patientinnen mitbetreut.
Er hat allerhand Fragen, die ich nur schwer beantworten kann, wenn ich noch
nicht nach ihr geschaut habe. Dabei bin ich schon früher da, als ich es
eigentlich sein müsste. Nur, falls es Überraschungen gibt.
Während wir rüber ins Nachbargebäude
zur Frühbesprechung laufen, habe ich den Herrn Oberarzt in der Leitung. Er
bittet mich noch um ein paar Ergänzungen in den Briefen von gestern. Dazu muss
ich nach der Besprechung aber erstmal in die Funktionsdiagnostik laufen.
Auf dem Weg treffen wir ihn dann
aber auch. „Mondkind, gestern war es doch gar nicht so schlimm…“, sagt er. „Naja,
es hat immerhin ein paar Seiten Tagebuch gerechtfertigt“, merke ich an. „Hat
Dein Tagebuch eigentlich einen Namen?“, fragt er. Zum Teil. Zum Teil ist es
einfach „Tagebuch“, zum anderen Teil ist es Blog. Aber das muss Herr Oberarzt
ja nicht wissen.
Die Frühbesprechung ist
anstrengend. Sämtliche Antennen schlagen an und lösen bei der Mondkind
Hochspannung aus. Irgendwie scheinen sie im Moment mit der Personalsituation
überhaupt nicht hin zu bekommen. Die Dienste zu besetzen, ist schwer. „Und die
neuen Kollegen“, sagt der Chef und schaut mich und den Kollegen neben mir an,
der drei Wochen eher als ich, aber nach ein paar Jahren Reha (immerhin), in der
Akutneuro angefangen hat, „werden nach drei Monaten gleich mit dem ersten
Dienst anfangen…“
Ich weiß, dass die hier
eigentlich noch ganz human sind. Bei uns an der Uni – Klinik musste man nach
einem Monat schon Dienste machen. Trotzdem wird mir schlecht, wenn ich daran
denke, dass ich ab Januar nachts alleine in der Notaufnahme mit frischen Schlaganfällen
stehe.
Im Moment überfordert mich ja
schon der Alltag völlig. Ich kann seitdem ich angefangen habe zu arbeiten,
morgens echt nichts essen, weil ich so viel Angst vor dem Tag habe. Manchmal
glaube ich, ich hätte lieber einen Job mit ganz vielen Mülltonnnen oder so
machen sollen.
Chefarztvisite. Die läuft heute
nach der Ansprache am Morgen auch unter Hochspannnung. Und dann fangen wir auch
noch auf der anderen Seite des Flurs an. Als wir bei mir ankommen, schmerzen
die Muskeln von der Anspannung und ich fühle mich einfach nur seltsam müde. Und
dann habe ich auch noch einen neuen Fall mit einem stattgehabten epileptischen
Anfall. Und von EEGs habe ich nun mal gar keinen Plan.
Irgendwann später am Nachmittag
wird der Herr Oberarzt mir aber sagen, dass wir die Visite heute alle ganz gut
gemacht haben.
Und ich muss zusehen, wo ich EEG
lernen kann.
Nachmittag. Seit Tagen habe ich
meine Patientin, bei der ich noch einen Doppler machen muss. Allein die
Patienten vom Monitoring abzubasteln und mit rüber in die Funktionsdiagnostik
zu nehmen, stresst mich extrem. Die Patienten müssen nur fünf Mal tief einatmen
und ich habe schon Angst, dass sie gerade sterben und ich daneben stehe.
Am Nachmittag hat der Spätdienst
aber offensichtlich ein bisschen Luft und fragt im Arztzimmer, ob jemand noch
Doppler machen muss. Ich melde mich natürlich sofort und dann gehen wir
zusammen mit der Patientin rüber. Er ist auch sehr nett. Eine Seite macht er,
eine Seite mache ich und es klappt sogar ganz gut bei der Patientin.
Vielleicht kann ich mich mit dem
nächsten Fall – wenn der Patient nicht gerade halb im Sterben liegt – auch schon
allein rüber trauen und dann nur noch jemanden bitten, nochmal drüber zu
schauen. Oder inständig zu hoffen, dass meine Befunde mit den CT- und MRT –
Ergebnissen zusammen passen.
Den großen Rest des Tages
verbringe ich damit Dinge zu tun, die überhaupt nicht mein Job sind. Eine
meiner Patientinnen bekommt morgen einen Schrittmacher und dafür musste heute die
Aufklärung noch laufen. Da sie nur begrenzt aufklärungsfähig ist, musste das
natürlich alles mit den Angehörigen gemacht werden. Erst wurde ich ungefähr
fünf Mal weiter verbunden, weil sich keiner zuständig gefühlt hat und dann war
man auch nicht besonders freundlich zu mir. Und ich als Neurologin kann halt
leider keinen kardiologischen Eingriff aufklären – das ist rechtlich gesehen
einfach schwierig und ich werde da sicher nicht meinen Namen drunter schreiben.
Aber wenn ich schon so nett bin, die Kardiologen und Anästhesisten zu erinnern
und zu informieren, dass die Angehörigen da sind, dann könnten sie sich ja
wenigstens mal selbst untereinander koordinieren.
Spät am Abend versuche ich noch
einen Brief schon ein bisschen vor zu schreiben. Ich komme genau so weit, bis
mir auffällt, dass eine meiner Patientinnen bei der Aufnahme eine
Liquorpunktion hatte, von der ich bis dato nichts weiß. Denn eigentlich sind im
Labor alle Untersuchungen separat aufgelistet, nur die Ergebnisse von der LP
stehen irgendwo dazwischen – deshalb habe ich es nicht gesehen. Und dann gab es
auch noch eine Auffälligkeit. Ich bin mir zwar sehr sicher, dass das mit der
hyperglykämischen Entgleisung der Patientin zu erklären ist, aber ich kenne
mich - ich schlafe die halbe Nacht
nicht. Also rufe ich nochmal den Spätdienst an, der mich beruhigt, nachdem ich
mich drei Mal entschuldigt habe. Nein, sie wird heute Nacht nicht sterben
deswegen. Und morgen einfach nochmal dem Oberarzt Bescheid sagen. Erfreut wird
er vermutlich dennoch nicht sein.
Danach beschließe ich – ehe ich
noch etwas finde, das mich beunruhigt – nach Hause zu fahren. Die restlichen
Briefe mache ich morgen. Eigentlich wollte ich nämlich noch Mehl und Zucker
kaufen fahren, um am Feiertag die Crepes – Platte auszuprobieren, die mir die Freundin
mitgebracht hat. Aber da es auf dem Heimweg schüttet, wie aus Eimern, wird das
leider nichts.
Und vielleicht bekomme ich bald
ein anderes Fahrrad geliehen. Langsam ist mir das auch unangenehm, aber ich
wurde gefragt, wie es denn so ist mit dem Rad. Und leider springt die Kette
halt gemütlich hin und her, wie sie will und letztens ist sie mitten am Berg
raus gesprungen, als mich gerade ein Auto überholt hat. Das ist halt schon
nicht ungefährlich – auch, wenn ich den Teil bei meinem Update zum Fahrrad
natürlich raus gelassen habe. Es wird eben nur jeden Tag schlimmer.
Jetzt schnell essen, dann ins
Bett und dann geht es weiter. Ich habe schon eine To Do – Liste für morgen auf
meinem Schreibtisch…
Mondkind
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