Projekt grüne Schleife


Heute habe ich mal ein wichtiges Anliegen mitgebracht. Bevor ich Euch also über die Erfolge, Misserfolge und Pläne in meinem jungen Arbeitsleben berichte, möchte ich erst ein Projekt vorstellen.

Am 10. Oktober – also morgen – ist der Welttag der seelischen Gesundheit. Um Aufmerksamkeit auf diesen Tag und auf das Thema seelische Gesundheit zu lenken, gibt es das Projekt der grünen Schleife.

Für die Eckdaten zitiere ich mal ein paar Sätze von der Homepage des Aktionsbündnis für seelische Gesundheit.


Fast jede*r Dritte erkrankt im Zeitraum eines Jahres an einer psychischen Erkrankung. Für die knapp 18 Millionen Betroffenen in Deutschland und ihre Angehörigen ist dies mit massivem Leid verbunden. Dass Menschen in psychischen Krisen sich trauen, ihre Probleme offen anzusprechen, setzt Akzeptanz in der Gesellschaft voraus. Seelische Leiden betreffen uns alle und dürfen kein Tabuthema sein. Jede*r, der die grüne Schleife trägt, setzt ein Zeichen gegen Diskriminierung und Ausgrenzung.

Unser Ziel
Menschen jeden Alters in psychischen Krisen sollen Akzeptanz in der Gesellschaft erfahren und sich trauen können, ihre Probleme offen anzusprechen, um rechtzeitig Hilfe zu erhalten.
 
Ich habe mir schon vor geraumer Zeit eine solche Schleife besorgt und werde sie morgen an meinen Kittel heften.
Nicht jeder, der psychisch erkrankt ist, geht zum Arzt. Dementsprechend findet man nicht in jeder Liste von Vordiagnosen meiner Patienten eine entsprechende Diagnose. Das geht sogar soweit, dass ich letztens eine Patientin hatte, die mir immer glaubhaft versichert hat, dass sie mit dem Krankenhausaufenthalt den Umständen entsprechend gut zurecht kommt und irgendwann dann doch zusehends dekompensierte. Und dann gab es doch eine psychiatrische Diagnose. Und sogar Medikamente. Aber weil ihr das unangenehm war, hatte sie die bei der Aufnahme nicht mal angegeben, sondern hatte sie von zu Hause mitgebracht und in ihrem Nachtschrank verwahrt.

Und das macht die Missstände deutlich. Wie kann es sein, dass sich Menschen im Krankenhaus und gegenüber Ärzten nicht trauen zu erzählen, dass sie psychisch erkrankt sind? Und das, wo ein Krankenhausaufenthalt für die meisten psychisch Erkrankten ein absoluter Alptraum ist. Die meisten sind sensibler, machen sich mehr Sorgen, dekompensieren schneller, wenn sie ihr gewohntes Umfeld nicht haben. Ich vermute, bei mir wäre es genauso.
Ich finde, man kann auch nicht unbedingt immer erwarten, dass die Patienten von selbst auf einen zukommen. Was ist also für uns Ärzte so schwer daran, das Thema mal kurz anzusprechen? Zu fragen, wie es den Patienten gerade psychisch geht und ob sie Unterstützung brauchen?
Und natürlich geht es da nicht nur um die Vorerkrankten. So ein Schlaganfall darf einen mal aus der Bahn werfen. Wenn man erlebt hat, dass der Körper einem plötzlich nicht mehr gehorcht, darf man das dramatisch finden und darüber reden dürfen. Und wenn es nur so ist, dass man die Sorgen einmal  in Worte gefasst hat. Ein Krankenhaus ist keine Autowerkstatt, wo einfach nur der kaputte Körper repariert wird.

Ich weiß nicht, wie viele Erkrankte sich mit solchen Projekten auseinander setzen und dementsprechend mit der grünen Schleife etwas anfangen können. Aber ich möchte morgen einfach symbolisieren, für meine Patienten da und ansprechbar zu sein.

Ich habe auch immer noch ein bisschen die Vision, dass man auch im Team aufeinander Rücksicht nehmen könnte. Ist das so schwierig, mal den neuen Mitarbeiter zu fragen, ob er zurecht kommt? Und gerade, wenn man in den ersten Wochen viele dramatische Patienten hatte, ob man das verarbeiten kann? Wir sind doch mehr als Mechaniker. Die etwas analysieren und das Problem anschließend beheben. Wir arbeiten doch mit Menschen. Wir sind es, die bei essentiellen Schicksalsschlägen dabei sind. Oder sie verkünden müssen.
Ich möchte auch ein bisschen symbolisieren, dass wir untereinander die Menschlichkeit nicht vergessen dürfen. Ich glaube, nur so kann ein starkes Team zusammen wachsen. 

Schleife liegt bereit für morgen 😀


***
Ansonsten bin ich unfassbar müde.
„Was macht Deine Mortalitäts – Statistik?“, fragte der Oberarzt heute Morgen als letzte Frage der Frühbesprechung. Sehr lustig. Aktiv verloren habe ich noch keinen diese Woche. Über eine Patientin freue ich mich sogar sehr. Sie konnte sich nicht bewegen und nicht sprechen, als sie zu mir kam, aber sie macht sich gut. Mit Hilfe kann sie sich mittlerweile sogar vom Bett auf einen Stuhl umsetzen und wenn sie sich konzentriert und ruhig ist, kommen sogar schon wieder verwaschene, kurze Sätze aus ihrem Mund.
Indirekt werde ich aber einen Patienten verlieren. Den verlege ich morgen in die Onkologie, aber so wie das Gehirn aussieht, ist das eine palliative Situation. So ein unfassbar lieber (und weiser) Mensch, dem ich eröffnen musste, dass die Onkologen jetzt erstmal eine Tumorsuche durchführen müssen und sich dann in einer Tumorkonferenz entscheiden wird, wie es weiter geht.

Unser Oberarzt ist diese Woche im Urlaub. Vertretung hat ein anderer Oberarzt, der letztes Jahr, als ich dort PJ gemacht habe, auf derselben Station noch Assistent war. Er lässt schon ziemlich den Oberarzt raus hängen und macht mir unterschwellig immer klar, dass ich eigentlich überhaupt nichts kann, aber zumindest sagt er in seinen Visiten klar, was er will. Damit kann man dann zumindest arbeiten – das ist schon okay. Freitag haben wir noch unsere Chefarztvisite… - mal sehen. Ich hoffe bis dahin tut sich an der Verteilung meiner Patienten nicht mehr so viel – gerade habe ich sie einigermaßen im Griff.

Wie es mit den Diensten weiter geht – da bin ich auch mal sehr gespannt. In der großen Frühbesprechung am Dienstag hat der Chef nochmal heraus gekehrt, dass bei mir eine Ausnahme gemacht wird und ich nicht zuerst zweiten Dienst mache, sondern mit zwei anderen Kollegen (die im Übrigen schon mindestens dort arbeiten, seitdem ich PJ mache – also rund ein Jahr), direkt in den ersten Dienst starte. Ich weiß auch nicht, wieso die der Auffassung sind, dass da ein Meister vom Himmel gefallen ist. Mehr, als dass mich das ehrt, stresst es mich irgendwie.

Ansonsten habe ich es diese Woche geschafft, mein Helfersystem etwas zu aktivieren. Langsam gehe ich hier auch echt am Stock, denn war nachrechnet weiß, dass es ungefähr letzten Montag zusammen geklappt ist und das sind ja nun schon ein paar Tage. Mal schauen, ob es in den nächsten Tagen, vor dem Wochenende, die erste Unterstützung gibt.
Auch sonst gibt es eventuell neue Hilfsmöglichkeiten vor Ort – das erzähle ich Euch aber erst genauer, wenn es sich als tatsächlich umsetzbar heraus stellt.

So… - ich bin heute mal etwas früher zu Hause. Das habe ich auch bitter nötig – nicht zuletzt weil ich weiß, dass es morgen definitiv nicht vor 20 Uhr wird, obwohl ich heute schon mal alles vorgearbeitet habe, was möglich ist.
Samstag ist bei uns übrigens schon wieder Fortbildung. Ich hoffe, ich werde da nicht noch hin zitiert. Das Thema ist nicht uninteressant, aber irgendwann muss ich auch mal einkaufen und bedingt dadurch, dass jegliches soziale Miteinander in Krisenzeiten immer besonders schwierig ist, möchte ich Samstag auch mal echt niemanden sehen, nachdem die ganze Woche für mich gerade extrem anstrengend und kräftezehrend ist.

Mondkind


Quelle:
https://www.seelischegesundheit.net/themen/gruene-schleife

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