Briefchen...

Hey Du,

Manchmal sind es diese kleinen Augenblicke, die mich überfallen. Immer und immer wieder. Die bunten Bäume, deren Anblick wir doch dieses Jahr teilen wollten. Die Stille meines Handys.

Erinnerungen. Wenn mir abends Jemand entgegen kommt, der den Schal genauso lässig um den Hals trägt, wie Du das immer getan hast.
Das sah verdammt gut aus. Habe ich Dir das jemals gesagt? Dass ich bei Treffen im Herbst und Winter immer gehofft habe, dass Du den Schal dabei hast… ?

Ich weiß es nicht mehr. Wohin mit all dem Schmerz. Wo Menschen sind, die noch mittragen können. Die Menschen wollen immer wissen, was sie tun sollen. „Nichts“, ist die Antwort. Einfach nur da sein. Zuhören.
Und an manchen Abenden sitze ich hier mit der Kerze die neben Deinem Bild brennt und frage mich, ob es jemals wieder etwas wie Normalität geben wird.

Und weißt Du… - das mag super egoistisch klingen, aber manchmal frage ich mich, ob es für mich nochmal eine Partnerschaft geben kann. Ich kann mich an die Endlosdiskussion erinnern. Wie das denn sein könne, dass mich der Kollege nach Hause fährt. Ohne, dass ich mir etwas dabei denke. Wenn Winter ist, es dunkel ist und schneit wie verrückt. Du hast schon aufgepasst, mit wem ich mich treffe. Manchmal war das schon anstrengend. Aber Du wolltest eben niemanden, der auch einen Anspruch auf mich erhebt.
Und ich weiß, Du würdest selbst von Deinem Platz zwischen den Wolken mit mir schimpfen, wenn ich wieder mit Jemandem unterwegs wäre. Ich habe Dir ja versprochen, dass Du mein Partner wirst, wenn ich je bereit dafür bin. Und ich meinte das schon ernst. Werde ich jetzt je Jemanden haben könnnen?

Vielleicht rufe ich morgen einfach mal die potentielle Bezugsperson an. Frage, ob ich vorbei kommen darf. Wenn ich mich traue...  Und hoffe mal, dass mir nicht der Kopf wegen zu viel Jammerns zurecht gerückt wird. Das ertrage ich nicht. Ich brauche einfach Jemanden, der ein bisschen aushält mit mir.
Jetzt.
Hier.
Am besten sofort.
Das sind die Situationen, vor denen ich immer am meisten Angst habe. Wenn ich es einfach nicht mehr tragen kann.
Wie soll ich so arbeiten? Ich habe doch keinen Kopf dafür…

Und kann mir bitte nochmal irgendwer erklären, dass das Herz nicht auseinander brechen kann, an dem Schmerz. Der doch auch die einzige Brücke zu Dir ist. 

 



Wieso? Wieso jetzt? Wieso, wo ich doch ein paar Wochen später eine Assistenzärztin gewesen wäre, die jeden Dienst hätte machen können? Wieso jetzt, wo wir doch beschlossen hatten, dass Du zu mir ziehst? Wieso fällt dieses verdammte Leben wieder komplett zu Scherben, kurz bevor es hätte normal werden können? Und wieso musste das komplette Helfersystem gleich mit zerfallen? Vom Kliniktherapeuten habe ich nach der Verlegung auf die Geschlossene kein Statement mehr gehört. Das hat nicht nur mein Vertrauen in die Psychiatrie erschüttert, sondern ihn gleich mit weg genommen.

Du fehlst hier. Und Du weißt nicht, wie oft meine Augen auf der letzten Sprachnachricht hängen bleiben. Die nie durchgestellt wurde. Und wie oft ich mir vorstelle, wie Du um Dein Leben gekämpft hast, während ich in der Notaufnahme ein paar Soldaten, die an dem Sonntag alle irgendetwas Neurologisches hatten (oder zumindest meinten das zu haben) versorgt habe. Ahnungslos, was da gerade passiert. Ahnungslos, dass das Leben sich gerade so sehr ändert, ohne dass ich etwas davon mitkriege.

„Suicide passes the pain into someone else“
Das habe ich mal gelesen. Und es verschiebt nicht nur den Schmerz. Es verzehnfacht ihn. Mindestens. Gefühlt. Ich kann keine Worte mehr finden für all das. Wenn mir bewusst wird, dass „tot“ heißt, dass ich Dich für den Rest meines Lebens nicht mehr bei mir habe. Nie wieder. Dass Erinnerungen alles sind, das bleibt. Und, dass auch die verblassen werden. Immer noch so viel Angst. Vor diesem Satz. „Ich hatte da mal einen Freund. Vor langer Zeit…“

Ganz viel Liebe
Mondkind

 

Bildquelle: Pixabay

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