Gedanken zum Mental health day, Diensten und der Psychosomatik

10. September. Mental health day. Wollte ich nur mal anmerken.
Eigentlich möchte ich dazu heute gar nicht viel sagen. Ich denke, es wird mittlerweile recht viel Aufklärungsarbeit im Bereich seelische Gesundheit betrieben – so richtig anzukommen scheint das aber nicht. Es ist immer noch ein Tabu – Thema, ein Makel, den man da als Betroffener mit sich herum schleppt und über den bitte nur hinter verschlossenen Türen geredet werden sollte. Und das wird auch – so festgefahren wie die Gesellschaft ist – noch lange so bleiben. Das sieht man ja schon jetzt an der Psychosomatik: Im Prinzip verbaue ich mir da am Mittwoch die Chance, dort jemals arbeiten zu können. Und muss dadurch in meinem Psychiatrie – Jahr ewig weite Fahrtwege auf mich nehmen. Es ist aber in dem völlig überlasteten System das Einzige, das jetzt zeitnah klappen wird und langsam brennt hier die Hütte; das merke ich auch. Andersherum: Wenn Kollegen bei uns auf der Neuro neurologische Symptome haben, die notfallmäßig abgeklärt werden müssen, stellen wir denjenigen ja auch nicht vor die Wahl entweder ewig weit in die nächste Klinik zu fahren, oder bei uns nicht mehr arbeiten zu können. Wir sind alle nur Menschen und jeder kann krank werden. Und wir sind nun mal nicht in der Position in einer Großstadt zu sein und mehrere psychiatrische oder neurologische Anlaufstellen auf einen Haufen zu haben.

Es stellt sich aber auch die Frage: Wieso bleibt diese „Psycho – Ecke“ trotz immenser Fortschritte in den letzten Jahren an Aufklärungsarbeit sowohl von Psychiatern und Ärzten, als auch von Betroffenen, ein Tabuthema?
Meiner ganz unqualifizierten Meinung nach hängt das mit der Angst von vielen Menschen zusammen, die man vielleicht auch noch thematisieren müsste. Ich glaube, selbst körperliche Erkrankungen machen weniger Angst, als die Vorstellung die Kontrolle über die Gefühle und Gedanken zu verlieren. Kein Mensch auf dieser Welt ist vor zwischenmenschlichen Katastrophen gefeit und jeder von uns weiß um die Dinge in sich, die wirklich wehtun. Man schaut da nicht so hin – muss man auch nicht – aber in manchen Situationen geraten die Dinge außer Kontrolle. Ich hätte es mir eine Woche vor der letzten Aufnahme in die Psychiatrie im Leben nicht erträumt, dass ich in wenigen Tagen in der geschlossenen Psychiatrie festhänge. Ich konnte in den ersten Tagen dort nicht mehr rational denken. Und hatte das Gefühl, dass das Leben jetzt endgültig vor die Wand fährt. Und das ist ein schlimmes Gefühl, das kann ich nicht schön reden.

Und das ist – so denke ich - der Punkt, der so viele Menschen dazu bringt der Meinung zu sein, dass psychischen Probleme sich in Nischen abzuspielen haben. Es ist die Angst davor sich damit auseinander zu setzen oder es vielleicht auch im Umkreis zu erleben, dass jeder Mensch zeitweilig die Kontrolle verlieren kann, zeitweilig seine Autonomie, seine Selbstbestimmtheit, das Vertrauen in sich selbst und andere verlieren kann, von Schmerz durchgeschüttelt sein kann, der von außen einfach nicht sichtbar ist. 


 

Zurück zu mir.
Die Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Ob eine weitere Kollegin endgültig ausfällt entscheidet sich erst Ende der nächsten Woche, aber diesen Sonntag muss ich erstmal ihren Dienst übernehmen. Und wenn sie wirklich ausfällt, werde ich dann jedes Wochenende arbeiten müssen. Überhaupt bleiben dann - einschließlich mir - nur noch zwei Kollegen übrig, die aktuell die Wochenenddienste machen können und die andere Kollegin überlegt sich auch schon, ob sie nicht kündigt.
Jetzt hätte ich echt diese Dienstbefreiung gebraucht. Dieser Visitendienst wird immer so abgetan, als sei das überhaupt nichts – wird freitags, wenn alle Dienste fürs Wochenende vorgelesen werden nicht mal erwähnt – aber man sitzt da eben auch seine mindestens acht Stunden, muss allen organisatorischen Kram der Woche samstags regeln (so man denn da frei hat… ), da bleibt keine Zeit mehr für sich selbst. Wir sind so unterbesetzt, dass noch niemand von uns dadurch einen Ausgleichstag frei bekommen hat.
Und auch wenn ich die Arbeit aktuell irgendwie schaffe – aber gut geht es mir damit schon lange nicht mehr. Die Sache mit dem Tod des Freundes frisst im Hintergrund so viel Energie und all die Fragen und Statements dazu, stauen sich seit über einem Monat in meinem Kopf. So oft überfällt mich das abends einfach. Ich liege hier eigentlich mittlerweile abends regelhaft mit meinen Kopfhörern auf dem Boden und gebe all den Gefühlen, all den Fragen und auch der Sorge, dass ich das so einfach nicht packen werde – wie eingangs erwähnt - hinter verschlossenen Türen, Raum. Entlastung bringt das kaum noch. Weil es nicht das ist, was ich brauche. Ich brauche offene Ohren, Menschen, die mich emotional dort abholen, wo ich gerade bin und nicht, wo meine Maske ist. Manchmal einfach nur eine Umarmung, ein paar tröstende Worte, ein „es ist okay und ich bleibe so lange bei Dir, bis Du ruhig ins Bett gehen kannst.“

Ein riesiges Thema ist im Moment die Einsamkeit. Im Prinzip bin ich ja doppelt einsam. Zum Einen habe ich den Menschen verloren, der ein bisschen real greifbarer Familienersatz, engster Vertrauter, bester Freund und meine zweite Hälfte in einem war. Meine längste Freundschaft, der Mensch, der mich am besten kannte und mit ihm geht auch irgendwie viel Vergangenheit verloren. Viele Dinge, die nur wir beide wussten, die nur noch ich trage und wenn ich nicht mehr bin, dann zerfällt so Vieles zu Staub. Kein Mensch hätte mehr fehlen können, als er. Keiner.
Zum Anderen… - wollen die Menschen darüber eben nicht mehr viel hören. Und alle Gespräche, die ich mit anderen Menschen führe, sind oberflächlich. Weil sie nicht das abbilden, was mich bewegt, was ich fühle, denke, was mich beschäftigt, wo ich gerade gedanklich bin.

Ich bin ehrlich gespannt auf dieses Gespräch in der Psychosomatik am Mittwoch und auch schon ziemlich nervös. (Und ich kann danach nicht mal sofort schreiben, weil ich erstmal wieder auf die Station muss, um meine Arbeit fertig zu machen; das nervt mich jetzt schon). Ich hasse es, die Geschichte von vorne zu erzählen – obwohl es auf der anderen Seite eine große Chance ist und noch dazu einem Menschen gegenüber, der schon eine Menge Erfahrung hat und ein vielleicht wirklich hilfreiches Konzept erstellen kann.
Ich lese immer mal in den Psychiatrie – Einträgen herum und wenn ich benennen müsste, welches Gespräch das Tragendste war, dann würde ich das Aufeinandertreffen mit dem vertretenen Stationsarzt an jenem Freitag rund zwei Wochen vor meiner Entlassung wählen. In dem ich viel von dem Freund und über den Freund erzählen durfte, von Erfahrungen, die wir gemacht haben, von Dingen die wir erlebt haben. Und manchmal, da sind es die winzig kleinen Dinge, auf die die Mondkind – Antennen anspringen. „Wir helfen Ihnen dadurch. Sie brauchen aber einfach noch ein bisschen Zeit.“ Ganz, ganz starkes Statement. Ich habe schon damals geahnt, dass das eher eine Vision von uns beiden war und nicht eine Realität, die man mit dem Team dort umsetzen konnte, aber wenn ich eine Sekunde die Augen geschlossen habe, hat mir das aus zwei Gründen die Tränen in die Augen getrieben: Zum Einen, weil es sich in der Sekunde wirklich sicher angefühlt hat, weil ich mich verstanden, angenommen und gesehen gefühlt habe und es so ein Glück ist, solche Menschen treffen zu dürfen. Auf der anderen Seite weiß ich aber auch, dass dieses Gehörtwerden immer ein so nervenaufreibender und kräftezehrender Kampf ist und dass die Momente, die so sehr tragen und die ich mir so sehr wünsche, eben immer nur ganz kurz bleiben und genau deshalb immer genauso weh tun, wie sie auch wärmend sind.
Wenn das die allgemeine Haltung dort gewesen wäre, hätte selbst eine Mondkind fallen und Halt finden können, sich wieder zusammen setzen und eines Tages mit etwas Optimismus die Flügel aufspannen können. Denn die wenigen guten Momente beweisen: Das Leben kann verdammt viel Glück bereithalten. Und die zu vermehren zu können - dadurch, dass man dem Schmerz einen Ort in sich gibt, an dem die Situationen ruhen und ausruhen können, immer da bleiben werden, aber sich nicht mehr jeden Tag zu melden brauchen, weil ich weiß, wo die Dinge sind, wo ich immer hinschauen kann und werde – das war das Ziel.

Jedenfalls… - wenn ich mir dieses Gespräch mit dem vertretenden Stationsarzt nochmal ins Gedächtnis rufe… - er kannte die Mondkind von früher nicht, wie der Rest des Teams. Er kannte nur die „neue“ Mondkind. Mit all dem, das wenige Wochen zuvor passiert war, das so vieles erschüttert hatte, was dazu führt, dass ich Vieles heute anders wahrnehme und bewerte – und er hat mich so viel mehr gesehen, als Viele andere dort.
Das lässt hoffen in Bezug auf Mittwoch. Ich weiß nur noch nicht, was die richtige Strategie ist. Einfach mal hingehen, abwarten was er für Fragen stellt und so ehrlich und spontan wie möglich antworten (was mit der Nervosität sicher schwer wird), oder schon mal vorher Gedanken machen, wie ich die Schwerpunkte setzen möchte und wie ich was gewichte… (Tipps sind willkommen, auf welchen Kanälen auch immer).

So… - ich muss mich beeilen. Wohnung auf Vordermann bringen, Wäsche aufhängen, mich schonmal an den Vortrag setzen und zumindest mal anfangen – Lithiumintoxikation soll das Thema sein. Das hatte ich mir übrigens schon vor der Klinik überlegt… Und wenn noch ein paar Sekunden übrig bleiben, kann ich mal mein Buch weiter lesen, in dem so viele wertvolle Tipps zum Thema Trauer stehen.

Habt ein schönes Wochenende!

Mondkind

Kommentare

  1. Woran liegt es, dass ihr aktuell so unterbesetzt seid? Und müsste der Chef da nicht mit Honorarkräften o.Ä. aushelfen, sodass auch der Arbeitszeitschutz gewährleistet ist?! Das frage ich mich so, so häufig bei deinen Einträgen - denn es wird nicht deiner individuellen Schnelligkeit geschuldet sein, dass du beinahe jeden Tag bis abends auf Station bist. Die Arbeitsbelastung hat systematische Gründe, die du auf deinen Schultern zu stemmen versuchst. Und dass die andere Kollegin ebenfalls über Kündigung nachdenkt - keine Überraschung angesichts der desaströsen Zustände, die ihr da ertragen müsst. Ich vermute, dass du niemand bist, der „Dienst nach Vorschrift“ macht und um 16:30 Uhr den Stift fallen lässt, aber ich würde es mir inzwischen fast schon ein bisschen wünschen. Du musst dein Leben für den Job nicht aufgeben. Schon gar nicht in Zeiten wie diesen, in denen es dir eh bereits mehr als bescheiden geht.

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    1. Guten Morgen,
      Danke erstmal für die Nachricht ;)

      Mh... - Schwangerschaften, Krankheit und Corona... - da kann, wenn es blöd läuft, schon einiges zusammen kommen was Ausfälle anbelangt.
      Letzte Woche hat einer unserer Oberärzte dann mal Patienten abbgestellt, eben weil wir zu wenig Leute waren zum Arbeiten waren, aber das nützt auch im Endeffekt nicht viel; die werden dann nächste Woche aufkreuzen.

      Nein, Dienst nach Vorschrift ist nicht so meins. Das stresst mich auch zu sehr und man kann viele Dinge auf dieser Station auch einfach nicht beeinflussen. Mal sind die Patienten den ganzen Tag unterwegs und eigentlich erst nach dem Abendessen im Zimmer, damit ich die Aufnahme machen kann, manchmal kreuzen die Oberärzte - wenn überhaupt - erst 17 Uhr auf.
      Ich mache eigentlich aktuell fast überhaupt keine Termine mehr unter der Woche, weil ich einfach nie sagen kann, ob ich es schaffe. (Der nächste Mittwoch ist eine absolute Ausnahme, aber das stresst mich jetzt auch schon gehörig...).
      Aber "Dienst nach Vorschrift" macht eigentlich keiner bei uns. Freitag saß ich mit einer Kollegin zusammen bis in den Abend da.

      Ich muss jetzt mal schauen, wie es weiter geht. So geht es langfristig jedenfalls nicht - das merke ich auch - eben weil ich mit dem Kopf oft auch woanders bin und die Zeit einfach brauche. Das ist für Andere aber sehr schwer nachvollziehbar. Die denken noch, die tun mir einen Gefallen, wenn sie mir mit der Arbeit ein bisschen Ablenkung generieren - was sicher in einem gewissen Rahmen nicht falsch ist, aber eben nicht so.

      Liebe Grüße
      Mondkind

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