Ein Tag - drei Stationen

 

Morgens viertel nach 7.
Ich sitze im Arztzimmer, schaue die Befunde durch, die über Nacht in meinem Fach gelandet sind und ergänze die Briefe, in denen die Diagnostikergebnisse nachträglich eingetrudelt sind. 
Um viertel vor acht gehen wir zur Blutabnahme. Heute ist Tag der schlechten Venen; ich muss bei jedem Zugang zwei Mal stechen.
In der Frühbesprechung dann das große Drama. Wir sind unterbesetzt – was für eine Neuheit. Immer mehr Kollegen fallen aus und in der Haut des Chefs möchte ich wirklich nicht stecken. Es wird schon angekündigt, dass vielleicht ein Assistent von meiner Station auf der Stroke Unit aushelfen muss, aber dazu wird ein Kollege auserkoren und ich bin erstmal beruhigt.
Wieder auf der Station, verteilen wir die Neuaufnahmen auf die Assistenten. Im Anschluss visitiere ich kurz eine Patientin, die heute gehen kann – auch um ihr zu sagen, für wann sie ihren Mann bestellen kann, der sie abholen möchte. Als ich gerade dabei bin, einen anderen Brief fertig zu schreiben, klingelt mein Telefon. „Mein“ Oberarzt, potentielle Bezugsperson. „Mondkind, kannst Du uns für die nächsten Tage auf der SU aushelfen…?“ Naja… - wenn der Chef das beschlossen hat; was kann ich sagen? Augenblicklich fällt mir auch ein: Mist – Dienstag bedeutet Chefarztvisite und ich kenne keinen Patienten der Station. Ich übergebe meine Patienten dem Oberarzt, packe meine Sachen und rase rüber. Währenddessen denke ich darüber nach, was das jetzt wohl über mich aussagt, dass sie mich ausgewählt haben. Heißt das: „Die passt jetzt gerade am Besten auf die Stroke Unit“, oder heißt das „Ist auf der peripheren Station ehestens verzichtbar…?“
Kurz vor Beginn der Chefarztvisite komme ich auf der SU an. Patienten möchte man mir jetzt nicht mehr geben vor der Chefvisite – so lieb sind sie dort. Für einen Fehltritt eines Assistenten sind während dieser Veranstaltung keine Kapazitäten. Es liegt die allgemeine Dienstagsanspannung vor der Chefarztvisite in der Luft; selbst der Oberarzt ist unentspannt. Ich habe es jeden Dienstag gehasst, diese Stunden vor dieser wichtigsten Visite der Woche; danach ging der Dienstag auch gelöster weiter – es sei denn wir hatten versagt.
Heute gibt es allerdings eine geplante Aufnahme auf der Stroke Unit – der soll ich mich annehmen. Nach der Chefarztvisite. Dort soll ich erstmal Tippse spielen. Ich fühle mich etwas in Famulaturzeiten zurück versetzt, aber für die Visite ist es die dankbarste Aufgabe.
Die Visite selbst läuft tatsächlich recht gut. Und heute komme ich zu etwas, das ich die letzten Monate nicht mehr geschafft habe – mit den Kollegen Mittag essen gehen. Währenddessen ist einer meiner Patienten von der peripheren Station im transösophagealen Herzultraschall und hat dort eine kurzzeitige Herzrhythmusstörung – deshalb soll er danach überwacht werden und landet dann – wieder bei mir, aber eben auf einer anderen Station. Er schaut mich ein bisschen an, wie die Kuh wenn es donnert, als ich ins Zimmer komme und merkt an, dass ich ja wohl überall auf dem Campus herum schwirre. Ein kardiologisches Konsil braucht er noch, um das ich mich kümmere.
Gerade als ich meine geplante Aufnahme machen möchte, erklärt mir die Pflege, dass die Patientin aus Kapazitätsgründen gerade auf die Kurzliegerstation verlegt wird. Also komme ich auch noch auf die dritte Station an diesem Tag. Die hochbetagte Dame kommt zur Demenzabklärung. Es dauert eine Weile, bis ich die Anamnese, die körperliche Untersuchung, zwei Demenztests, eine Nervenwasseruntersuchung durchgeführt und alles dokumentiert habe.
Um kurz vor 18 Uhr treffe ich nochmal meinen Oberarzt. „Mondkind, hast Du von 3 Uhr bis jetzt die Aufnahme gemacht…?“, fragt er vorwurfsvoll. Ich erkläre ihm, was ich mit der Dame alles gemacht habe (und dass die quasi schon fast wieder entlassfähig ist) und dass die Nervenwasseruntersuchung bei einem völlig schiefen und verknöcherten Rücken zwei Anläufe und viel Geduld gebraucht hat. Dann sei es noch im Rahmen, sagt er. Hach irgendwie… 

 

Heimweg...

Zwischendurch… - ein paar zwischenmenschliche Schmankerl.
Ich finde das immer wieder sehr erstaunlich, dass die Pflege auf der SU mich immer so lieb begrüßt, mich fragt, wo ich denn so lang gewesen sei, anmerkt, dass man mich vermisst habe und gleich die Frage hinterher schiebt, ob ich denn länger da bleiben werde. Selbst von einer Mitarbeiterin der Physiotherapie wurde ich das heute gefragt – da bin ich vielleicht zwischenmenschlich doch nicht völlig inkompetent.
Auch die Kollegin vom Doppler habe ich heute nach sehr langer Zeit mal wieder getroffen. „Ach Hallo Mondkind“, hat sie mir von der Ferne zugerufen. „Wie geht es Dir denn mittlerweile?“, hat sie gefragt, nachdem ich auf sie zugelaufen war. „Ich habe oft an Dich gedacht…“ Wow, das berührt mich wirklich. Ich habe mich bedankt, erklärt, dass es einigermaßen geht, aber ich schon noch sehr an dem zu knacken habe, das passiert ist und es sicher noch eine Weile dauert, bis zur Normalität. Das hat sie verstanden und das tut einfach mal so gut zwischendurch. Kein rechtfertigen, kein Erklären.
Auch über die Wochenenddienste reden wir, wenn ich gerade schon mal da bin. Und… - okay, das ist kein zwischenmenschliches Schmankerl. Es ist klar, dass niemand, der ersten Dienst macht die Visitendienste macht und auch niemand, der zweiten Dienst macht. Also bleiben nur die eine Kollegin und ich. Bis Mitte November werde ich mit sehr viel Glück ein Wochenende frei haben und hoffentlich wird es sich einrichten lassen – bei einem Wochenende ist das noch fraglich – dass ich zumindest immer sonntags Dienst mache, damit ich samstags den Einkauf schaffe. Hallo 6 – Tagewoche. Hat ja nicht lange gedauert, bis zum alten Wahnsinn.
Ich habe allerdings letztens die Oberärzin, die die Kurzfortbildungen koordiniert im Treppenhaus getroffen. Sie hat mich gefragt, ob ich mir denn schon eine Fortbildung zutraue, oder ob wir das noch etwas schieben wollen. Ich habe erstmal gesagt, dass ich mir das überlege, weil ich mich auch nicht bevorteilen möchte. Aber… - wenn man ehrlich ist: Eigentlich bin ich aufgrund der ganzen Geschehnisse noch lange nicht so weit, dass ich mit so einer hohen Arbeitsbelastung gut zurecht komme. Gestern bin ich auch etwas früher nach Hause gegangen, weil ich einfach nicht mehr konnte und nicht wusste, dass ich mich heute nicht darum kümmern kann (und es nun auch nicht musste). Ich lag um 20 Uhr im Bett, weil all die Gedankenschleifen im Hintergrund immer noch zu viel Energie ziehen. Heute wird das auch nicht anders sein.
Vielleicht darf man es sich dann auch an Stellen, an denen das möglich ist und angeboten wird, ein bisschen leichter machen.

Und während ich so nach Hause gehe, die letzten Zipfel der Sonne sehe und mich frage, was Du wohl gerade siehst, wird das Herz auch wieder schwer. Es sind diese „crazy days“, die so spontan und chaotisch sind, die so sehr müde machen, weil ich nicht der Fan von Abweichungen von gewohnten Strukturen bin, von denen ich gern erzählen würde. Heute habe ich es nämlich zumindest nach außen hin mit guter Laune, Humor und Kollegialität geschafft. Und im Moment geht es nicht mehr.

„Es war ein anderer Sommer
Es war ein anderes Jahr
Kopfüber, seltsam, nichts wie es war“

Das singt Silbermond und meint damit die Corona – Krise. Und so oft denke ich an das, was Du mir mal gesagt hast: „Mondkind, ich habe Angst, dass diese Welt nie wieder so wird, wie sie früher, vor Corona, war…“ Heute zerreißt mir dieser Satz das Herz. Weil es ein bisschen ist, als hättest Du geahnt, was kommt. Wusstest Du es…?

Morgen wird es spannend. Morgen ist der Psychosomatik – Termin. Ich bin gespannt, was ich berichten werde. Ich glaube, der hat mich die letzten Tage vorwärts gezogen. Die Kraft nicht völlig verlieren lassen. Die Hoffnung, dass denen etwas einfällt, wie man mich dadurch begleiten kann.

 Mondkind

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