Ein paar Worte des Herrn Kliniktherapeuten
Nein, eigentlich wollte ich heute Abend nicht schreiben.
Aber… - der Lauf der Dinge…
Ach… - und bevor ich es vergesse: Ich habe mir am Wochenende einen
lang gehegten Wunsch erfüllt: Herbstspaziergang.
Nicht, ohne dass es zeitgleich weh getan hat. Wo verdammt nochmal bist
Du? Wir wollten dieses Jahr die Bäume doch zusammen bunt werden sehen….
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Der Kurpark im Herbstkleid |
Sonntag. Dienst. War so semi.
Zwei Patienten mit schwerer Lungenentzündung und Sättigungsabfällen.
Mit viel Inhalation und sonstigen medikamentösen Atemhilfen habe ich sie über
den Tag gebracht, aber die Sättigung ist immer wieder gefährlich in den Keller
gegangen. Bitte nicht intubationspflichtig werden. Bitte nicht sterben. Waren so meine Gedanken dazu.
Dann hat sich noch ein Patient mit einer Halbseitenschwäche
verschlechtert – da musste ich die gesamte Diagnostik nochmal aufrollen, bis am
Ende zusammen mit dem Oberarzt beschlossen wurde: Progressive Stroke und sowohl
gegen Lyse, als auch gegen Thrombektomie gibt es gerade Kontraindikationen –
also ins Bett legen und warten. Ich hasse das. So machtlos in der Medizin zu
sein.
Der Morgen ging ruhig los. Und um 14 Uhr habe ich noch drei Patienten aus der Notaufnahme bekommen. Also dann nochmal Anamnese machen, Diagnostik mit Ultraschall und Nervenwasserunteruschung, Medikamente anordnen. Und dann war bei einer Patientin noch die Zellzahl im Nervenwasser erhöht. Zum Glück war der Oberarzt halb sechs auch noch da.
Erst nach 19 Uhr das Licht im Büro gelöscht. Aufs Handy geschaut und einen Anruf einer privaten Nummer gesehen. Nicht gewusst, von wem die ist. Ganz leise Hoffnung: Vielleicht war es Herr Therapeut. Also Handy mal vorsichtshalber auf laut gestellt und in der Jackentasche versenkt.
Herr Kliniktherapeut.
Null vorbereitet. So absolut Null. Mit einem Hirn, das noch nicht richtig zu Hause angekommen ist.
Ein zähes Gespräch. Wie so oft. Weil die Zusammenfassung auch
ernüchternd ist. Eine Bekannte telefoniert mittlerweile die Therapeuten durch –
so viele sind es nicht und zwei stehen noch aus – aber bislang sind es nur
Absagen. Die Psychosomatik kann nicht helfen. Ich versuche zu arbeiten, am Rand
der Belastbarkeitsgrenze und wie lange das noch geht… - wer soll das wissen.
Ich versuche nicht zu fallen – denn wohin soll ich fallen, wenn die Netze sich
auflösen?
Herr Therapeut kann keine guten Nachrichten vermitteln. Meine ganz
stille Hoffnung war, dass wir uns nochmal berappeln und das zumindest so weiter
laufen kann, wie es vorher war. Gelegentlich Mails, noch gelegentlicher ein
Telefonat. Geht nicht mehr, sagt er. Dazu hat er selbst zu viel zu tun. Die
Machtlosigkeit gegenüber der professionellen Helfernetzwerke. Was er für mich
getan hat, hätte er nie tun müssen – das weiß ich und ich bin dankbar, dass es
überhaupt so lange ging. Und dennoch ist das jetzt aktuell natürlich ungünstig.
Er lässt mich ein bisschen vor mich hin sinnieren. Ist dieses offene
Ohr, das ich so dringend brauche. Ein Jahr Trauer sagt er, ist normal. Na wenn
mein Umfeld das auch mal wüsste.
Er versucht zu retten, was zu retten ist. Selbsthilfegruppen und die
Telefonseelsorge wären ja auch mal noch Optionen, sagt er.
Ich bin einfach nur dankbar über diese vertraute Stimme am Ohr. Von
einem Menschen, den ich über ein Jahr lang als Begleitung in meinem Leben haben durfte. Von
dem ich ein bisschen weiß, wie er tickt. Was ich sagen kann. Der wahnsinnig viel aufgefangen hat. Eingesprungen ist, als hier nichts mehr ging, ohne dass ich darum bitten musste. Der mir vielleicht das Leben gerettet hat. Und wenn ich kurz
die Augen schließe, mir vorstelle 400 Kilometer weit weg in einem Therapieraum
zu sitzen… - dann wird es doch kurz ein bisschen warm ums Herz. Dann kann ich
kurz diese Hoffnung spüren, dass man mir helfen kann, diese grundlegende
Überzeugung vom Anfang der Zeit dort in diesem Sommer, dass ich gerade sicher
bin, dass ich aufgefangen werde, dass ich gesehen und gehört werde. Dann wird
dieser Schmerz mal kurzzeitig übertüncht.
Und so wie das immer ist mit diesen kurzzeitigen, guten Momenten, die es so selten in meinem Leben gibt - so schön wie sie auch sind, so gerne wie ich mich auch daran erinnere, folgt auf das Gefühl der Wärme gleich ein Schmerz der beinahe das Herz zerreißt, wenn die Diskrepanz zwischen diesen Momenten und der Realität deutlich wird.
Ganz kurz reden wir nochmal über das Ende der Klinikzeit. Ich möchte
es auch nicht ausarten lassen; passiert ist es ohnehin, wie es eben am Ende war.
Ich frage nicht mehr, was die sich dabei gedacht haben, oder auch nicht. Er
sagt, sie haben getan, was sie tun konnten und mussten. Das kann man sehen, wie
man will. Ich erkläre, dass mich die Machtlosigkeit meinerseits in der
Psychiatrie in hochgradige Skepsis dieser Einrichtung gegenüber versetzt hat.
Und dann stellen wir irgendwie fest, dass das wohl auch an mir liegen
muss. Es hat sicher nicht jeder kein Verständnis für meine Situation aktuell.
Irgendwie interpretiere ich das nur so. Und das war vielleicht auch in der
Klinik so. Wir haben einfach nicht zueinander gefunden, dieses Mal. Sagt er.
Dieses Mal… - sehr lustig. Als ob es ein nächstes Mal gäbe.
Er sagt, ich soll mich nochmal melden, wenn ich nochmal Kontakt mit einer Form von Helfersystem hatte. Er gibt sich wahnsinnig viel Mühe. Das weiß ich. Und schaufelt wahrscheinlich irgendwoher Zeit, die er überhaupt nicht hat. Und dennoch… - nimmt mir das gerade den letzten indirekt vorhandenen Therapeuten weg, den ich hatte. Schnelle Lösungen gibt es hier nicht. Durchhalten ist immer noch das Gebot der Stunde. Wenn es wenigstens einen Endpunkt gäbe. Aber so sehr ich den auch suche… - den gibt es nicht.
Nächste Woche werden es vier Monate. Das erste Mal, dass ich an einem Monatstag wirklich arbeiten muss. Immer mehr Normalität in einer Welt, die einfach überhaupt nicht mehr normal ist. Vier Monate dieser Wahnsinn. Vier Monate vermissen, warten auf die Nachricht, dass das hier vielleicht doch nicht die Realität ist. Vier Monate Fragen ohne Antworten. Vier Monate der Wunsch, einfach mal in den Arm genommen zu werden, festgehalten zu werden. Vier Monate, innerhalb derer jeder Tag der vergeht, der den neuen Alltag spiegelt, der unser letztes gemeinsames Erleben in noch weitere Ferne rückt, es nur noch schwerer macht.
So… ich husche ins Bett. Morgen warten wahnsinnig viele Aufnahmen, mindestens
drei Lumbalpunktionen, ein paar Doppler und – zu allem Überfluss – noch eine
Fortbildung auf mich. Halleluja. Ich will nicht wissen, wann ich morgen zu
Hause sein werde.
Die Mondkind von heute ist jetzt jedenfalls erstmal dankbar ins Bett.
Und die Mondkind von morgen… - da denke ich jetzt noch nicht dran…
Mondkind
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