Termin in der Psychsomatik

 

Frühbesprechung. Wieder im Neubau. In dem Raum, in dem ich die ersten Monate meiner Neuro – Karriere jeden Früh saß.
Der Chef überlegt kurz, ob ich nicht noch bis Ende der Woche auf der Stroke Unit bleiben soll. Ich weiß, dass die Kollegen von meiner jetzigen Station fluchen werden. Denen fehlt da wirklich eine Arbeitskraft, aber ich bin so erschöpft, dass mich schon das eng geführte Konzept der Stroke Unit extrem anstrengt. „Die Mondkind bleibt bis Freitag. Das ist auch zu stressig, sie alle zwei Tage auf eine andere Station zu stecken."
Danke Chef…

SU – Visite. Ist heute wieder wesentlich entspannter als gestern, auch wenn die Patienten von einem Kollegen nochmals umverteilt werden, nachdem ich mich schon mit den mir zugeteilten Patienten etwa auseinander gesetzt hatte.

„Mondkind…“, ruft es plötzlich von hinten. Der Notaufnahme – Oberarzt. „Mondkind, ich schätze Dich sehr…“ Der Satz klang in meinen Ohren während der gesamten Klinikzeit. Das hat er mal gesagt, als er mir eröffnet hat, mich in den ersten Dienst stecken zu wollen und ich hatte so sehr Angst, ihn maßlos enttäuscht zu haben mit der Klinikaktion.
„Mondkind, ich habe Dich in den Dienstplan für November eingetragen. Du machst erstmal zwei Wochenend – Dienste. Aber wenn Dir das zu viel wird, sagst Du Bescheid. Dann machst Du nur einen Dienst oder gar Keinen. Und mit dem ersten Dienst warten wir jetzt erstmal. Es ist nicht so, dass Du das fachlich nicht kannst – aber Du sollst jetzt erstmal nachts schlafen…"
Wow… - also er wäre der Allerletzte, von dem ich so etwas erwartet hätte. Ich bin so gerührt, dass ich mich bemühen muss nicht zu weinen und bedanke mich bei ihm. (Ich glaube er weiß nicht, dass wir Sonntag - durch den Ausfall der Kollegin - zusammen Dienst haben... )
Und dann fallen wirklich Tonnen von meinen Schultern, als ich ins nächste Patientenzimmer rase. Ich dachte ehrlich, jetzt hätte ich mir seine Sympathie verspielt und als Oberarzt mag ich ihn eigentlich echt – fachlich kann man viel von ihm lernen.

 

„Mondkind, ich glaube Du hast gleich einen Termin“, erinnert mich „mein“ Oberarzt am Nachmittag. Um 16 Uhr schnappe ich meinen Kram und düse erstmal den Berg hinab in Richtung Psychosomatik. Ich sollte mich an der Rezeption melden und von der Chefarztsekretärin abgeholt werden. Die Dame an der Rezeption weiß erstmal von nichts und fragt ihre Kollegin. „Doch, da gab es eine Mail…“, erklärt die Kollegin. Ach Du Schande…

Foto vom Sommer. Blick vom Kurpark aus auf die Psychosomatik.
Jetzt weiß ich, wie sie von innen ausschaut...

Kurze Zeit später holt mich seine Sekretärin ab. Platziert mich noch kurz im Wartebereich. Und dann darf ich die heiligen Hallen des Psychosomatik – Chefs betreten. Ich kenne ihn zumindest ein kleines bisschen – vor Jahren hatte ich mal ein Seminar im Rahmen eines Praktikums bei ihm.
Er leitet ein, dass mein Chef ihn angerufen habe und gefragt habe, ob ich mich da mal vorstellen dürfte. Es würde da wohl um Depressionen gehen. Wir reden kurz darüber, ehe ich verhindern muss, dass das Gespräch auf die falsche Schiene abdriftet. Und wie unfassbar schwer das einfach immer noch ist zu sagen, dass man da einen sehr, sehr guten Freund hatte, der gestorben ist. Und irgendwann fünf Minuten später mal hinterher zu schieben, wie das passiert ist.
Das Statement am Ende zu der Situation – und eigentlich fand ich das recht gut – war: „Sie haben es scheinbar irgendwie über den Berg geschafft und das ist auch lobenswert und mutig sich nach so kurzer Zeit an der Normalität zu versuchen, aber so richtig gut ist es nicht geworden.“ Er meinte, dass mir das einfach viel zu unvorbereitet und zu früh passiert ist, dass mir der Mensch, mit dem ich mir die nähere Zukunft gemeinsam vorgestellt habe – auch wenn man mal raus lässt, auf welcher Ebene wir miteinander eine Beziehung geführt haben, das sei nicht so wesentlich, wenn es einen gemeinsamen Zukunftsplan gab – weggestorben ist. Und dann auch noch so dramatisch. Und ich müsse von mir im Moment auch nicht erwarten „normal“ zu sein. Das ist schön, wenn es klappt – und vielleicht versuche ich das im Moment sogar ein bisschen zu sehr, weil ich glaube irgendwem irgendetwas nach meiner langen Abwesenheit schuldig zu sein. Und es sei genauso okay, wenn das nicht klappt (Und er meinte, dieses Gefühl des unbedingt funktionieren müssens sei der Depression geschuldet – das fand ich interessant. Das ist doch Motivation, das ist doch nicht depressiv).
Wie es jetzt weiter geht… - naja. Er hat gesagt, was immer ich auch tue, aber ich kann es eben nicht in der Psychosomatik machen, weil das Konfliktpotential da zu groß ist. Zum Einen ist das unschön für mich, weil es eben viele Verbindungen zwischen Neuro und Psychosomatik gibt (und ich hoffe, dass dieses eine Gespräch somit nicht meine Psychosomatik – Karriere gekillt hat), zum anderen haben die Behandler da aber auch ein Problem – gerade wenn es noch mal einbreche – und das könne passieren - und man mich stationär aufnehmen müsse, hätten die Behandler auch Druck, dem Chef, den man dort ja auch gut kenne und schätze, die Assistentin wegzunehmen – und dann würde man mich eventuell nicht so behandeln, wie das der Situation angemessen ist, um mich schnell zurück in das Arbeitsleben zu bringen. Das verstehe ich gut.
Bearbeiten müsse man diese Beziehung – und insbesondere das Ende von dieser Beziehung - aber in jedem Fall (und auch das sei absolut nichts Ungewöhnliches nach so einer Situation). Wenn der Job mich stabilisiert (und ich glaube das tut er), kann man das ambulant machen, wenn man dann aber merke, dass das nicht ausreicht oder die Beschäftigung damit noch mehr Energie frisst, (weil es dann schon um spezielle Fragen gehe, zum Beispiel: Was habe ich konkret falsch gemacht in dieser Beziehung – sicher weniger als ich denke, aber auch nicht nichts), dann müsse man das stationär tun. (Ich habe schon gesagt, dass das jetzt das Letzte wäre, das ich wollen würde; ich bin froh, dass man mich so gut wieder aufgenommen hat in der Neuro).
Insgesamt findet er es ein bisschen grenzwertig, was ich hier so treibe…

Er hat mir dann noch ein paar Adressen von Therapeuten mitgegeben, bei denen ich jetzt anrufen soll (und ich hoffe, dass die dann Termine zumindest pro forma außerhalb der Arbeitszeiten haben) und meinte, wenn es ganz schlimm wird, könne ich ihn persönlich schon auch nochmal anrufen. (Da wäre aber erstmal zu überlegen, wie wichtig mir jetzt meine Psychosomatik – Karriere ist…).

So insgesamt war ich aber sehr beeindruckt, wie ruhig und professionell er dieses Gespräch geführt hat und mir meine Unsicherheit hinsichtlich des Themas dadurch sehr genommen hat – als sei das das Selbstverständlichste der Welt mit einem Psychosomatik – Chef über die prekäre persönliche Situation zu sprechen, in der man da gerade hängt und mit der man doch auch viel Schiffbruch erlitten hat in den letzten Wochen und Monaten.

Zusammenfassend – es hat mich nicht viel weiter gebracht. Aber es war gut ernst genommen, gesehen und gehört zu werden und zu bemerken, dass meine Reaktion auf die Situation im Moment an den Umständen gemessen „normal“ ist, aber dass dieses „normal“ nicht heißt, dass ich „normal“ funktionieren muss.

 

Mondkind

 

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