Ein Kurpark - Gespräch

Ich sitze auf der Bank und warte. Im Halbdunklen. Die potentielle Bezugsperson und ich treffen sich heute mal im Kurpark, weil er in der Nähe etwas erledigen musste. Wir wollen nochmal kurz eine Runde drehen und reden. Mir fällt auf, wie bunt die Bäume sind. Und, dass es allerhöchste Zeit für Fotos wird…

Schnipsel.

„Mondkind, Du machst doch fast jedes Wochenende Dienst. Du kannst doch mal einen Tag zwischendurch oder einen halben Tag frei nehmen für die Therapeuten – Geschichte.“
„Kann ich nicht. Eine Kollegin hat uns letztens zurecht gewiesen, dass wir nur ganze Wochen frei nehmen dürfen…“ „Aber Mondkind, wenn man nach dem Dienst nach Hause geht, dann geht das doch auch…“ „Okay, das ist ein Argument, das ich noch nicht ausprobiert habe bei ihr…“

Es geht lange darum, dass ich mich jetzt einfach bewegen muss. „Wissen Sie… - im Moment bin ich froh, wenn ich irgendwie funktioniere. Ich kann mich darum einfach nicht kümmern aktuell…“ Lässt er natürlich nicht gelten. Und tritt ein bisschen. Was auch okay ist und vielleicht brauche ich das jetzt einfach. Ich habe noch eine Bekannte aus Klinikzeiten, die sich schon angeboten hat, für mich zu telefonieren. Vielleicht muss ich hier nicht die Heldin spielen. Vielleicht darf ich Hilfe auch einfach mal annehmen.

Wir gehen ein Stück weiter. Es geht nochmal um die Angst vor Erstgesprächen. „Ich hatte lange keine Angst mehr davor, von mir selbst zu erzählen. Ich konnte das erzählen, als sei das gar nicht ich. Als sei das eine Geschichte. Ich konnte so viel Distanz zwischen dem was ich erzählt habe und mir selbst aufbauen, dass ich das irgendwann all die Male immer wieder von vorne erzählen konnte, ohne dass es mich zu sehr berührt hat. Aber jetzt… - jetzt ist das anders. Mit den Entwicklungen der letzten vier Monate. Weil mich jeder aus dem Konzept bringen kann. Immer ist die erste Frage, was wir denn für eine Beziehung zueinander haben und immer meint man davon ableiten zu können, wie viel Trauer mir zusteht, wie Schuld ich an all dem bin. Es sind bald vier Monate. Steht mir diese Schwere noch zu… ? Ich weiß es nicht. Und solange wie ich selbst nicht weiß, was wir da hatten, wenn ich mir selbst die Traurigkeit nicht eingestehen kann und mich selbst für hochgradig schuldig halte, solange kann alles, was die Menschen sagen, nur falsch sein. Ich will nicht immer und immer wieder verletzt werden.“
Das versteht er. Sagt, dass es trotzdem sein muss. Dass kein guter Therapeut sagen wird, dass ich Schuld daran bin. Dass das auch eigentlich überhaupt nicht wichtig ist, was die Leute sagen. „Doch…“, entgegne ich ganz leise. „Ich habe in der Klinik einfach unfassbar darunter gelitten, dass mir das von einem Großteil der Menschen dort so abgesprochen wurde.“

 


Und irgendwann… - irgendwann kommt ein sehr erstaunliches Statement. Es sei den meisten Menschen wohl nicht klar gewesen, was der Freund und ich da miteinander hatten. Und mir… - mir war das vielleicht auch nicht klar. Wie sehr wir uns gegenseitig getragen haben, wir sehr wir – dadurch, dass wir uns hatten ignorieren konnten, wie sehr auch viel in unseren jeweiligen Ursprungsfamilien in Scherben lag.
„Ich glaube, das konnte man damals einfach nicht sehen. Ich habe es ja auch nicht gesehen in den Mails, die ich geschrieben habe…“ Entschuldigen wird er sich nicht. Aber das ist mal ne halbe Entschuldigung.

„Es ist komisch…“, sage ich. „Mit einem Mal so viel zu verlieren. So viel Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig. All das, was wir erlebt haben, lebt nur noch in mir weiter. Und eine Zukunft, die wir uns beide so sehr gewünscht haben, kann es gemeinsam nicht mehr geben…“
Fast stehen mir wieder die Tränen in den Augen. Über diese Erkenntnis. Die auch so eine ist, die mir jeden Tag so oft den Boden unter den Füßen nimmt. Aber gerade ist es einfach nur gut, dass er neben mir läuft. Ein bisschen Frieden und Wärme, die er mir herüber reicht, die ich gerade aufsauge und in meinem Herzen speichere.

„Ich glaube…“, setze ich noch mal an, „ich habe mir noch nie so sehr wie jetzt Normalität gewünscht. Einfach ein normales Assistenzarztleben. Nicht spektakulär. Einfach nur… -  keine Sonderrolle. Wegen Inkompetenz, Schicksalsschlag oder was auch immer…“
Er lacht. „Mondkind, Du warst noch nie so weit von Normalität entfernt…“ „Ich glaube es auch…“, entgegne ich leise.

Zukunft. Ganz schwierig. Kann ich gerade nur geführt. Darüber nachdenken, wie es weiter gehen soll. Wie mehr als Überleben gehen soll. Es geht nochmal um einen Stationswechsel. „Mondkind, wir Oberärzte haben schon darüber nachgedacht, ob nicht erstmal die Reha das Richtige für Dich wäre…“ „Nein“, entgegne ich. „In die Reha möchte ich nicht. Das wäre zu viel persönliches Versagen. Vielleicht würde das tatsächlich abgesehen von mir niemand so streng sehen, aber für mich wäre es das. Ich bin mit der Akutneuro hier groß geworden. Ich habe nicht einen Praktikumstag in der Reha verbracht. Ich möchte bleiben dürfen und nicht auch noch das Umfeld verlieren, das mich als Ärztin hat wachsen lassen. Ich möchte nicht so lange gekämpft haben, um am Ende doch an dem zu scheitern, das ich erreichen wollte.“ Er regt nochmal an, ob es dann nicht wenigstens ein Stationswechsel sein sollte. „Naja… - das Epilepsieprojekt interessiert mich schon. Aber dafür müsste ich eben auch der Arbeitsbelastung auf der peripheren Station standhalten und es ist wirklich nur Chaos. Oberarzt und Chef schmeißen sich gegenseitig alles über den Haufen…“ „Ja, ich weiß Mondkind“, antwortet er. „Aber Epilepsie wollen wir auch auf der Kurzliegerstation machen. Vielleicht sogar dahin verlegen….“ „Na dann ist das etwas anderes…“, sage ich. „Wissen Sie… - ich weiß einfach nicht, ob das jetzt eine gute Idee ist zu glauben versagt zu haben, wenn ich es auf meiner Station nicht schaffe. Weil wenn ich ehrlich bin, geht es glaube ich nicht mehr als ein paar Wochen gut. Vielleicht ist jetzt der falsche Zeitpunkt um zu meinen, die perfekte Assistenzärztin sein zu müssen und die nur sein zu können, wenn ich beweise, dass ich mich auf dieser peripheren Station durchschlagen kann…“ „Das sehe ich auch so Mondkind. Du hast gerade viel mit den letzten Wochen zu tun und da therapeutisch einzusteigen ist jetzt ganz, ganz wichtig. Gesundheit steht jetzt wirklich mal an erster Stelle. Geh morgen zum Chef und frage ihn nach einem Termin…“
Ich nicke ganz langsam. Ist das jetzt ne Entscheidung… ?

Morgen früh kann ich auf jeden Fall erstmal viel eher los ziehen. Mir fehlen noch mindestens fünf normale EEGs, sechs Stunden eines Video – EEGs, es ist noch nicht ein Brief für morgen vorbereitet und einige andere organisatorische Dinge sind auch noch zu tun.

Aber das war wichtig heute.

 

Mondkind

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