Enden, Anfänge und Wege

Es ist nicht okay.

Ist es einfach nicht.  

Es ist nicht so, dass ich keine Worte mehr habe.

Es ist nur so, dass ich diese Worte nirgendwo mehr unter bringen kann.

 Abends. Kreisen. Wer kann noch halten? Mittragen? Dasein, wenn ich das mit mir selbst nicht mehr aushalte?
Und was sollen die Menschen machen? Wenn Reden ohnehin nur noch wenig hilft?

So viele Enden. So wenige Anfänge.
Selbst wenn ich jetzt mal Urlaub hätte… - ich hätte absolut keinen Grund mehr, in die Studienstadt zu fahren. Der Freund – Punkt Nummer 1 auf meinem Zettel – ist nicht mehr da. Und die therapeutische Anbindung in der Studienstadt… ? Ich schaue immer noch jeden Tag als erstes in die Mails – die Mondkind ist da immer sehr hartnäckig wenn es darum geht auf etwas zu warten – aber ob das noch Sinn hat?
Die neuen – oder alten – Stützen tragen nicht richtig. Die potentielle Bezugsperson, bei der ich die Worte mit sehr viel Bedacht wählen muss, um nicht zu angreifbar zu sein. Gleichzeitig ist er der Einzige, der im Moment überhaupt da ist. Letzte Woche zwei Mails bekommen hat, von mir, ohne großartig zu meckern, nur ein kleines bisschen. Und der dann angemerkt hat, dass es gerade wohl schwierig wird. Das Fass läuft bald über, Herr Oberarzt. Die Perspektive mit der Psychosomatik, die erstmal eine werden muss. Nochmal neu anfangen, nochmal die Geschichte erzählen, nochmal mit der Mondkind von heute, die nicht mehr die Mondkind von damals ist. Vielleicht eine Chance. Das wird ein interessanter Blogpost

 Wege.
Er hören so viele alte Wege auf; als hätte der Tod des Freundes nicht nur sich selbst, sondern auch so viel darum herum verschluckt. Ein paar dieser wertvollen Menschen, die an meiner Seite waren, denen ich bedingungslos vertraut habe und die ich nun entweder weg stoße, oder die mit all dem, das die Mondkind jetzt zusätzlich im Gepäck hat, nicht mehr mit mir gehen wollen.
Neue Wege, von denen es merkwürdig ist, sie allein zu betreten. Allein zu schauen, wohin sie führen. Nicht mehr berichten zu können, nicht mehr sich beraten zu können. 

 


Auf der Arbeit rase ich über die Flure. Versuche, ein bisschen was von der Mondkind zu fühlen, die unmittelbar nach dem Wiedereinstieg in den Job so präsent war. Die doch auch glücklich war, wieder ein sinnvoller Teil der Gesellschaft zu sein, die endlich mal wieder Anerkennung bekommen hat, nachdem sie sich wochenlang die Meinungen anderer zu ihrem Leben anhören durfte, die meistens wenig gut waren. Von der Mondkind, die die guten Momente des Tages konservieren wollte, die winzigen Momente von Glück fühlen wollte, sich auf die besinnen wollte.

Heute wäre so ein Glücksmoment gewesen. Lumbalpunktion. Die mir gestern die Nacht geraubt hat. Die Patientin ist zu uns gekommen, weil in einem anderen Krankenhaus vier Ärzte stechen mussten und das sei ja unerhört. Aber nun ja… - ab einem gewissen Grad von Adipositas fühlt man eben keine Wirbel mehr. Ich wollte sie gleich unter Durchleuchtung punktieren, aber das wollte mein Oberarzt nicht. Also dann eben ein Versuch. Zusammen mit einem Pfleger. Schon als ich den Introducer setze, brüllt sie die Station zusammen. Und der ist zu kurz, um zwischen den Wirbelkörpern zu landen. Ich habe nur einen Versuch, das ist mir klar. Und das mit einer Quincke – Nadel, von der ich absolut keine Ahnung habe, wo ich die gerade entlang schiebe. Nachdem ich immer wieder auf dem Wirbelkörper gelandet bin, treffe ich doch mal irgendetwas, was Wirbelkanal sein könnte. Und dann läuft mir doch tatsächlich das heiß ersehnte Nervenwasser entgegen.

Und auch wenn das viel Glück war – aber der Stolz kommt kaum noch bei mir an. Zu präsent ist die Müdigkeit und das Wissen, dass die nicht weniger werden wird.
Die personelle Situation wird immer schwieriger, innerhalb von einer Woche sind zwei weitere Kollegen, die Wochenenddienste machen könnten raus gefallen, sodass ich vermute, dass meine Oktober – Schonfrist doch noch schnell verloren gehen wird. Es kann einfach keiner mehr diese Vistendienste machen. Und obwohl man nicht so viel Verantwortung, wie der erste Dienst hat – aber wir bekommen einfach aktuell keinen Ausgleich dafür – und das wird irgendwie nicht wahrgenommen. Praktisch heißt das eine Sieben – Tage Woche, wobei ich fünf Tage davon ja mindestens 12 Stunden in diesem Laden hocke. Und so sehr, wie ich mich auch versuche für den Job zu begeistern, aber das packe ich im Moment neben dem emotionalen Chaos eigentlich nicht.

Und dann brennt hier abends die Kerze auf meinem Tisch neben Deinem Bild. Und manchmal… manchmal frage ich mich, warum wir uns das jetzt selbst so schwer gemacht haben.
Ich habe immer gedacht, irgendwie muss ich die Hürden noch nehmen, bis ich eine „echte neurologische Assistenzärztin“ bin und jeden Dienst, den man mir gibt, übernehmen kann, ohne vorher vor Angst zu sterben. Dann hätte ich wieder Kapazitäten für mein Privatleben. Es war so anstrengend, die beiden Jahre mit dem Examen, das erste Jahr im Job. Und dann, so kurz vorher, kurz bevor Normalität hätte einkehren können ist etwas passiert, dass diese Normalität sehr, sehr weit nach hinten schiebt. Diesen beschwerlichen Weg noch so sehr verlängert.
Ob ich das schaffen werde… ? Ich kämpfe um jeden Meter. Das habe ich immer getan. Es ist so oft schwerer, als leichter geworden. Aber leichter… - das wäre auch kein Mondkind – Leben.

 Mondkind

 

 

Bildquelle: Pixabay

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