Fragezeichen...

Büro
Ich. Grüner Stuhl. Knie angezogen. Fuß auf der Sitzfläche. Ich gehe die einst vorhandenen und nun weitestgehend verlorenen Hilfsmöglichkeiten laut durch. „Die Situation war glaube ich noch nie in meinem Leben so schwierig und die Möglichkeiten professioneller Hilfe so beschränkt. Es ist einfach beschissen.“

Er übereck. Schwarzer Bürostuhl. Hände hinter dem Kopf verschränkt. „Das hast Du gut zusammen gefasst.“

Wir versuchen zu entlasten, wo wir können. Er und ich. Ein seltsames Team. Mit vielen geschriebenen, verletzenden Worten zwischen uns. Aber gerade der einzige Mensch, die einzige Chance, die ich habe. Viel mehr Nähe als gedacht. Viel mehr Tragen als erhofft.
Obwohl ich die Worte immer noch mit viel Bedacht wähle. Jedes Wort von Kritik sofort aufnehme. Mich noch mehr rechtfertige als früher. Achtsamer bin. Weniger jammere. Mehr kämpfe. Mir weniger raus nehme. Noch weniger.

Ich glaube, weder der Chef, noch mein Oberarzt hätten gedacht, dass ich von der Psychsomatik einfach nur mit einem Zettel mit Adressen entlassen werde, den einem auch jede Krankenkasse aushändigen kann. „Hast Du die schon durchtelefoniert Mondkind?“, fragt der Oberarzt. „Nein…“, gebe ich zurück. „Ich habe auch ein bisschen Angst davor ehrlich gesagt. Denn im Prinzip… - weiß ich ja, was dabei raus kommt. Vielleicht lässt sich ja sogar jemand auf ein Erstgespräch ein und dann darf ich die ganze Story wieder ausgraben, aber die Wartezeiten nach einem Erstgespräch sind auch immens. Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll…“ „Nein Mondkind, Du kannst kein halbes Jahr mehr auf eine Therapie warten. Telefonier die Liste durch und dann gehst Du mit dem Ergebnis davon zum Chef“, entgegnet mein Gegenüber. Ich schaue ihn skeptisch an. „Mondkind er hat da seine Verbindungen. Und wenn er sieht, dass Du das versucht hast, dann hilft er Dir gern. Wir schaffen das nicht mit diesem System. Aber der Chef schafft das.“

Es geht um meinen weiteren Verbleib in der Neuro. Gerade erst an diesem Morgen war ich von einer Kollegin angesprochen worden. Dass es mir scheinbar nicht so gut geht. Dass man das schon merken würde. An manchen Tagen mehr. An anderen weniger. „Mondkind das ist ein Job, bei dem Du leistungsfähig sein musst und Dich konzentrieren musst. Und es ist einfach sehr anstrengend. Wir haben alle unsere Partner, bei denen wir uns abends mal auskotzen können und die uns dann auch mal zuhören und uns auffangen. Aber Du hast das nicht. Du musst Dir überlegen, ob Du langfristig auf dieser Station bleiben kannst. Wenn das so weiter geht, ist der nächste Zusammenbruch fast vorprogrammiert… Du musst einfach besser auf Dich achten. Leute nach einem Herzinfarkt können auch nicht täglich Schweinsbraten essen. Man kann mit einer Depression gut leben. Ich habe einen Kumpel der hat Depressionen und ist Oberarzt. Aber man muss einfach mehr auf sich achten und jetzt in der Akutphase sich nicht überfordern.“

Der Neuro – Oberdoc kommt mit einer Idee um die Ecke, die ich so nicht erwartet hätte: „Mondkind, ich würde vorschlagen, Dich kurzfristig zunächst zurück in meine Abteilung zu holen. Hier sind die Strukturen besser und ich kann natürlich auch leichter da sein für Dich… Mittelfristig kannst Du auch auf der Kurzliegerstation arbeiten, das ist auch eine Normalstation, die aber auch mit mehr Struktur geführt wird.“

Eigentlich habe ich mich ja nicht umsonst wieder für die Station entschieden, von der ich vor der Katastrophe kam. Zum Einen sind die Patienten da weniger lebensgefährlich erkrankt (es sei denn man hat so eine Patientin wie gestern, die eigentlich mit Rückenschmerzen kam, aber nebenbei auch eine pharmakoresistente Epilepsie hat, dann im Speisesaal anfängt zu krampfen, das Notfallteam alarmiert wird und man dann – statt sich um seine 10 anderen Patienten zu kümmern – den ganzen Nachmittag mit Notfalluntersuchungen verbringt). Auf der Stroke Unit müssen immer schnelle Entscheidungen an die Front. Zum Anderen heißt Stroke Unit auch wieder Spätdienste und Notaufnahme. Und dann wollte ich ja eigentlich etwas Abstand zur potentiellen Bezugsperson halten, aber das ist mit dem Fast – Wegfall eines tragfähigen und in Akutsituation vorhandenen Helfersystems ja sowieso hinfällig. Aber es ist natürlich sehr fragil und wenn mal irgendwann wieder so eine extreme Verurteilung kommt, kann ich auch nicht behaupten, von nichts gewusst zu haben.

Ganz kurz geht es am Ende auch nochmal kurz um das Thema Klinik. Nur, weil der Psychsomatik - chef das erwähnt hatte und der Neuro – Oberdoc wissen wollte, welche Kliniken er empfohlen hat. „Aber Mondkind – Klinik…?“, fragt mein Gegenüber und zieht die Augenbrauen hoch. „Das ist ärgerlich, dass der Klinikaufenthalt keine Verbesserung gebracht hat aber… - wir sollten das jetzt ambulant hinkriegen…“ Naja… - und wer war maßgeblich dafür verantwortlich, dass ich in der Klinik grundsätzlich alles in Frage gestellt habe… ? Aber das sage ich jetzt nicht laut.

 


Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie es weiter gehen soll. Ich versuche einfach zu funktionieren, weil ich auch weiß, dass ich kein Netz mehr habe, das auffängt. Klinik geht nicht nur deswegen nicht, weil das alles so schief gelaufen ist und ich kein Vertrauen mehr in diese Institution habe, sondern auch, weil ich langsam begriffen habe, dass es den meisten Leuten dort persönlich relativ egal ist. Es geht um Liegezeiten und Kohle und rechtliche Verantwortung, aber das was ich suche, werde ich mit Sicherheit nicht in einer Klinik finden, sondern nur im persönlichen Rahmen. Und dafür darf ich dieses Leben hier gerade nicht verlieren. Meinen Job, meine Unabhängigkeit, meine Wohnung, die Kollegen, die immerhin auch ein soziales Netz sind (und die potentielle Bezugsperson).
Vielleicht muss ich jetzt mal über meinen eigenen Schatten springen. Hier nicht weiterhin die Heldin spielen, die sich auf einer Station, die eigentlich für Fortgeschrittene ist, irgendwie über Wasser hält und dadurch kämpft, weil jeder dachte, dass die Mondkind alles schafft und ich so gern die Anforderungen erfüllen wollte. Vielleicht geht es jetzt darum irgendwie dafür zu sorgen, dass ich überhaupt weiter arbeiten kann und von meinem Arbeitgeber aus auch darf. Und nebenbei irgendwie das Erlebte zu verarbeiten. Ich kann nichts für dieses völlig insuffiziente Psychotherapiesystem. Aber statt daran zu zerbrechen, weil ich einfach genau jetzt Hilfe brauche und nicht irgendwann ins sechs Monaten oder noch mehr, muss ich vielleicht wirklich Hilfe annehmen von Menschen, die mehr Macht haben, mich da schnell irgendwo unter zu bringen.
Das ist alles immer noch besser, als wenn wieder nichts mehr geht. Damit habe ich weder mir noch meinem Team geholfen. Und sicher werde ich irgendwann wieder einen Kopf für die Arbeit haben.
Ich muss mich jetzt auch nicht nach Maßstäben richten, die Leute meinen aufstellen zu dürfen, die nie in meiner Situation waren. Ich gebe mein Bestes und mehr muss und kann ich nicht tun.  

Es irritiert mich jedenfalls sehr, dass die Kollegen die Situation fast fragiler sehen, als ich selbst. Das ist beinahe noch nie im Leben  passiert. Ich hoffe, ich verkenne die Situation nicht komplett.

Ich ruhe mich noch ein bisschen aus. Morgen habe ich Dienst. Und nächste Woche… mal schauen, wie es weiter geht.

Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen