Nachtgedanken zu Dir
Wenn der Wind
Die Blätter
Vom Baum weht,
ist es so,
als würden
wir uns
ein letztes Mal
winken
adieu
(Kuestenkindpoesie)
Es sieht aus, wie eine bedeutungslose Kerze im Rahmen einer Herbstdekoration.
Dass sie eine ganz andere Bedeutung in dieser Wohnung hat und dass sie
jeden Tag zumindest ein Mal kurz brennen sollte, damit Du hier gewesen bist,
muss ja keiner wissen.
Nacht.
Gedanken.
Wie war das noch mit dem „zu viel Schlafen“… ? Zwischen 2 und 9 Uhr
ist jedenfalls für den Job nicht so toll.
Und dann denkt man.
Über so Vieles. Was man eigentlich kaum denken möchte. Weil das so
Vieles in Frage stellt. So Vieles.
Weißt Du, ich habe immer gedacht, wir sind irgendwie eine Einheit. Und
wenn ich schreibe, dass wir beide unsere Existenz auf unseren beiden Schultern
stets geteilt haben, dann hört sich das heute fast falsch an. Ich habe das
damals so empfunden, aber was sagt das aus, wenn einer von uns beiden sich da
einfach raus nimmt? Was sagt das darüber, wie gut man sich wirklich kannte? Wie
viel von unserem Leben wir wirklich geteilt haben? Es war alles andere als
perfekt, dieses Leben – für uns beide - aber wie kann ich heute davon reden, dass
wir so viel geteilt haben, wenn der wichtigste – weil bedeutsamste Schritt – an
mir vorbei, ohne mein Wissen und ohne mein Einverständnis passiert ist?
Und nun ist es ja so, dass ein nachträgliches Infragestellen der
Beziehung niemand mehr gerade rücken kann. Eher ist es noch so, dass ich höre „Mondkind,
ich habe ihn in Deinen Erzählungen selten vernommen – so schlimm kann das doch
jetzt nicht sein…“
Und weißt Du… - wie ist das eigentlich mit dem Versagen? Damit meine
ich nicht unbedingt berufsmäßig (wobei man natürlich unterschwellig schon
merkt, dass es denen gar nicht passt, dass ich nach einem Jahr im Job immer noch
keinen „ersten Dienst“ machen kann). Ich meine eher so… - zwischenmenschlich?
In der Klinik hieß es immer, dass es Depressiven gar nicht so schwer fällt
Menschen kennen zu lernen, wohl aber, diese Beziehungen aufrecht zu erhalten.
Und irgendwie… - wer sagt, dass man viele Freunde braucht? Einer wie Du es
warst, reichte doch. „Freunde sind die Familie, die man sich aussucht“, habe
ich mal gelesen. Und dass es davon eigentlich nur einen richtig Guten gab – und
das warst Du – das war nicht schlimm. Einen Mensch, bei dem ich ich selbst sein
kann mit all den wundervollen und verrückten, aber auch all den melancholischen
Seiten und all den Ängsten; das reichte aus. Vollkommen.
Aber letzten Endes… - war ich auch nicht fähig, diese Beziehung
aufrecht zu erhalten. Ich konnte am Ende kein Grund für Dich sein, dieses Leben
zu leben. Und habe mir in Deiner Welt vielleicht eine Wichtigkeit beigemessen,
die ich eventuell nie hatte. Auch das wird man nie mehr klären können.
Und im Endeffekt… - obwohl ich immer gesagt habe, dass das mit den
Freuden kein Problem mehr ist, ist es doch wieder ein Versagen in einer Reihe
von zwischenmenschlichen Versagen. Da hatte das Außen mal wieder Recht.
Und das stellt dann wieder die Frage: Wie viel kann eine Mondkind
eigentlich geben? Es war schon immer mal die Diskussion, dass eine Mondkind
eigentlich nur anstrengend ist. Dass eine Mondkind eher den Eindruck erweckt,
sich um sie kümmern zu müssen. Dass Menschen wegen mir in Beziehungen bleiben,
das schien es außerhalb von Dir beinahe nie zu geben. Die Bestätigung hat sich
immer wieder darin gezeigt, dass ich zwar einige vertikale Beziehungen in
meinem Leben hatte – sei das nun mit Vorgesetzten, Therapeuten, Lehrern oder
sonst wem – jedenfalls in Gefügen, in denen klar geregelt ist, wer das Sagen
hat, aber die wenigsten horizontalen Beziehungen lange gehalten haben. Letztes
Jahr gab es da auch noch mal einen Versuch, der dann recht jäh im März diesen
Jahres geendet ist und auch sonst gibt es natürlich noch losen Kontakt zu
einigen Kommilitonen, aber ob ich nun da bin oder nicht, spielt da eher eine
nebensächliche Rolle.
Und klar – was kann eine Mondkind geben? Eine Mondkind, deren Leben
eigentlich jahrelang nur ein einziges Chaos war? Ich habe es trotz der Umstände
irgendwie geschafft das Studium fertig zu bekommen und in den Job zu starten,
was alle Energie verbraucht hat – da waren nicht viele Kapazitäten, um nach
links und rechts zu schauen.
Und lange Rede, kurzer Sinn: Umso erstaunter war ich, dass Du mich als
inspirierende Persönlichkeit bezeichnet hast und ich wusste nie, was ich dazu
sagen soll, wenn Du mir gesagt hast, dass ich der wichtigste Mensch in Deinem
Leben bin. Das passte nicht in all das, was ich sonst erlebt habe, das passte
nicht zu mir, die – was Zwischenmenschliches anging, die Unfähigkeit in Person
ist - und ich glaube, ich habe das selten großartig kommentiert. Heute steht
auch das natürlich in einem anderen Licht. Und mit Dir ist die einzige
horizontale Beziehung, die es noch gab und die doch auch in der Zukunft noch so
viel tragen sollte, verschwunden.
Dass ich der Meinung war, dass ich in die Ferne gehen muss, um erstmal
das Familienproblem zu lösen und zumindest ein Krankenhaus zu haben, in dem ich
das Gefühl habe, dass ich da dieses Haifischbecken der Medizin aushalten kann, kann
man so natürlich auch anders beurteilen und verurteilen und darin die
Bestätigung finden, die viele Menschen um mich herum – zu ihrem eigenen Schutz,
wie es mir scheint – jetzt suchen. So nach dem Motto: „ sie ist ja weg gezogen,
da kann ihr das nichts bedeutet haben.“
Drei Monate… - mehr Zeit gibt mir nicht mal der Seelsorger. Ich habe
unterschlagen, dass ich Freitag kurz bei ihm war und wir – oder eher ich – im Endeffekt
beschlossen habe, dass ich davon jetzt auch erstmal eine Pause brauche. Damit
nehme ich mir eigentlich das letzte Zipfelchen Helfernetzwerk weg, das es noch
gegeben hat, aber das geht nicht mehr mit ihm.
Wenn ich sage, dass ich nicht weiß, wie ich den Samstag über die Bühne
bringen soll und da noch ein paar Strategien benötige und er mir eine Stunde
lang sämtliche Insuffizienzen klar macht – gerade im zwischenmenschlichen Bereich
- und mich so in die Ecke drängt, dass ich am Ende nichts mehr sagen kann, dann
ist das nicht hilfreich.
Eine traurige Mondkind… - damit kann irgendwie keiner umgehen. Und es
ist wirklich nicht so, als würde ich das großartig ausleben. Es ist ja nun
sowieso so, dass glaube ich generell gern vermittelt wird, dass Traurigkeit nur
in Nischen zu leben hat. Vorzugsweise in Nischen, in denen der betreffende
Mensch allein ist. Das war schon in der Klinik auf einer ganz tiefen Ebene die
Kommunikation, auch wenn man immer wieder betont hat, dass es anders sei, als
ich das wahrnehme. Aber die Mondkind’schen Antennen sind fein und spüren alles.
Auch das, was nicht gesagt wird.
Jedenfalls… - ich weiß nicht, ob das zu viel verlangt ist, aber so
schwer ist es doch nicht. Ich erwarte keine philosophischen Abhandlungen zu
meiner Situation. Alles was ich mir wünschen würde wäre, dass mal Jemand sagt: „Mondkind,
ich sehe Dich.“ Und mich wortlos einmal in den Arm nimmt. Einfach nur ein paar
Minuten festhält. Dafür sorgt, dass ich körperlich nicht auseinander fallen
kann, wenn die Trauer das Innenleben in Trümmer legt.
Vermutlich können das nur die meisten Menschen kaum ertragen. Oder
fühlen sich gezwungen, irgendetwas Schlaues zu sagen. Aber man kann einfach
nichts sagen. Das weiß ich auch. Die Fragen werden bleiben. Immer.
Manchmal glaube ich, die Geschichte mit den Depressionen war erst der
Anfang. Der Testlauf. In diesem Leben, das es bis vor knapp drei Monaten war.
Um einmal selbstwirksam zu fühlen, was man erreichen kann, obwohl da so viele
Steine sind, die andere nicht mal sehen. Auch dann nicht, wenn man darauf
hingewiesen hat, dass sie da sind.
Der Testlauf für das, was jetzt kommt. Für einen Weg, den ich
vermutlich weitestgehend alleine gehen werde. Und die meisten Menschen auch
nicht nur einfach „nicht mehr da sind“, sondern das tatsächlich nicht
verstehen. Für einen Weg, von dem ich nicht weiß, wo er endet. Bin ich schon
längst verrückt geworden? Werde ich das noch? Kann ich das überleben?
Kann man mit so einem Gefühlswirrwarr in Bezug auf die längste,
tiefgehendste, stabilste und wichtigste horizontale Beziehung die es gab – und was
vermutlich die nächsten Jahre über so bleiben wird – wirklich leben?
Ich weiß es nicht…
So, das Wort zum Sonntag. Ich glaube, ich werde gleicht erstmal eine
Runde spazieren gehen. Wobei auch die seltsam still geworden sind. Ohne Dich am
Ohr.
Mal schauen, ob es das für heute war. Mit der Gedankenkotze. Kleine
Blogexplosion am Rande… (Wir unterschlagen mal, dass ich eigentlich endlich mal
meinen Vortrag ausarbeiten müsste, den ich bald halten sollte. Aber vielleicht
killt ja Corona wieder die Frühbesprechungen. Und damit die Kurzfortbildungen.
Muss ja auch positive Seiten haben. Der Corona – Wahnsinn…)
Mondkind
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