Psychosomatik #7 Von Stille und Nichts

„Und für mich würde es erstmal reichen, wenn Sie diesen kleinen Teil und den ganzen Schmerz der damit verbunden ist, annehmen. Und nicht davor weglaufen, weil es zu sehr weh tut – was Sie ja jetzt auch lange gemacht haben. Und über die Annahme führt irgendwann der Weg in die Zukunft.“
Worte des Herrn Therapeuten in Bezug auf den Freund.

„Aktuell willst und kannst Du ihn noch nicht hergeben, weigerst Dich, bekämpfst alles, was ihn Dir entfernt als Bedrohung. Weil was wäre die Alternative? Du wärst einfach alleine, Stille um Dich rum. Das große „Nichts“. Sein Andenken hilft Dir zu überleben seither.“
Nicht das erste Mal, dass das kam. Aber das erste Mal, dass ich das wirklich begreife.

Wenn ich wirklich den Gedanken zulasse, dass es das jetzt war und die „alten Zeiten“, dieser Zipfel Leben den ich hatte wirklich nicht zurück kommt, dann bleibt das wirklich das Nichts.
Dann bin ich da, wo ich 2015 mal angefangen habe. Kurz nachdem ich zu Hause ausgezogen bin.

Ich habe über diese Zeit mal gesagt, dass ich es kein zweites Mal schaffen würde, das zu erleben. So furchtbar alleine mit dem Leben, mit mir, so plan- und perspektivlos. Irgendwie nicht so richtig eine Idee, für die es sich zu kämpfen lohnt. Aber wenn man es mal nüchtern betrachtet… - es ist genau so.
Der kleine Schwenk Leben, den ich zwischendurch gab, der ist Geschichte. Und da nützen mit auch Erinnerungen nichts. So ein „Sei froh, dass Du das gehabt hast.“ Ja toll und soll das ernsthaft reichen für die nächsten 70 Jahre?
Und dann ist man ganz schnell bei der Sinnfrage.

Und vielleicht könnte man fragen, ob man sich nochmal etwas aufbauen kann. Wenn der Freund die Messlatte ist, schwierig. Ich glaube ganz fest, dass ich so einen Menschen nie wieder finden werde. Eine Beziehung, die so horizontal, auf Augenhöhe, so ehrlich ist.
Und außerdem bräuchte man dafür eine Menge Vertrauen und das habe ich nicht mehr. Und sehr viel Kraft. Und die fehlt mir einfach. Am Ende habe ich fast meine Visiten nicht mehr geschafft, weil ich nicht mehr reden konnte. Es reicht vielleicht bald wieder zum Funktionieren. Aber ich will hier immer noch nichts hören und sehen von Mitpatienten und schon mal gar nicht mich an Ausflügen am Wochenende beteiligen.

Das hat irgendwie alles keinen Sinn mehr. Ich habe so viel investiert und am Ende hat es einfach nicht gereicht. Am Ende würde er vielleicht noch leben, hätten wir uns nie kennen gelernt. Vielleicht hätte jemand anders ihm geben können, was gebraucht hätte. Keine Ahnung.
Ich fühle mich irgendwie so fremd. Und wenn ich mich im Spiegel anschaue, dann weiß ich nicht, was das für ein Mensch ist.

Ausblick über die Stadt von einer nahe gelegenen Burg

Die Gruppentherapie macht mich indes häufig aggressiv, was ich so von mir nicht kenne. Da reden wir eine Stunde über Themen – das ist unglaublich. Ich muss mich immer wieder erinnern, dass das die 100 % der Menschen sind, die in der Gruppe sitzen und es mir nicht zusteht, darüber zu urteilen, wie groß oder klein dieses Problem ist. Aber ich bemerke auch, dass ich an vielen Punkten im Leben nach dem Tod des Freundes erstaunlich schmerzlos geworden bin. Ich spüre, dass die Themen vielleicht auch für mich früher Gewicht gehabt hätten – heute haben sie das irgendwie nicht mehr. Irgendwie scheint es so zu sein, dass nach einem Schicksalsschlag der eine solche Kraft hat, sich Vieles irgendwie relativiert.

Heute hatte ich schon ein zweites Mal einen Termin beim Oberarzt wegen der Medikamente. Er kam dann eine halbe Stunde zu spät und meinte mir erklären zu müssen, dass das depressives Verhalten sei, sich nicht nach ihm zu erkundigen. Ich meine, dass auch ein Oberarzt sich an Termine halten kann. Laut habe ich es nicht gesagt; ich habe es mir nur gedacht und beschlossen mich nicht darüber zu ärgern, auch wenn es mich das Mittagessen gekostet hat. Ich bin im Zweifel auch nicht abhängig von dem Typen – von Medizin habe ich mehr Ahnung als von Psychologie. Ich kann nicht meine eigene Psychologin sein, aber ein bisschen Jonglieren mit Medikamenten kriege ich wohl auch noch hin. Abgesehen davon scheint er immer noch keine Ahnung zu haben, warum ich hier bin, aber das ist ja glücklicherweise doch die Ausnahme hier und in einer Psychosomatik haben die Ärzte nicht das tragende Gewicht.

Der Therapieplan für die nächste Woche dokumentiert, dass ich mein nächstes Einzel am Montag habe. Einerseits erleichtert es mich, weil ich noch nicht weiß, wie ich es mit diesem Hirn über das Wochenende schaffen soll – da macht es vielleicht die Aussicht Montag einen Termin zu haben leichter. Allerdings wird das dann das letzte reguläre Einzel bei dem Therapeuten.
Was mich schon ein bisschen mehr irritiert, ist eine kurze Visite bei der leitenden Psychologin am Montag. Bisher habe ich sie nur einmal kurz nach der Aufnahme gesehen. Ich habe nicht um den Termin gebeten; ich weiß auch nicht, was die von mir wollen. Ich habe schon fieberhaft darüber nachgedacht, ob ich gegen eine Regel verstoßen habe, aber mir ist noch nichts eingefallen. Ich habe auch versucht gut mitzuarbeiten – klar, ein bisschen langsam bin ich schon und in den Kreativtherapien bin ich auch nicht diejenige, die sich am Lautesten einbringt. Ich habe auch schon überlegt, ob die wohl das Thema Verlängerung ansprechen wollen, wo ich auch wieder nicht weiß, was ich machen soll. Das muss ich eigentlich erstmal mit dem Chef besprechen. Und üblich ist es darüber hinaus auch nicht, dass man das direkt mit der leitenden Psychologin bespricht, normalerweise läuft das über den Bezugstherapeuten.
Keine Ahnung. Ich hoffe, ich habe mir hier nicht unwissentlich etwas zu Schulden kommen lassen.

Am Wochenende wird es zum Glück erstmal etwas ruhiger; es gibt nur je eine halbe Stunde Therapie. Ich bin immer noch so erschöpft, dass ich die Zeit einfach brauche. 

Mondkind

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