Psychosomatik #13 Erleichterung

Samstagmorgen.
Der Wecker schmeißt mich um kurz vor acht aus dem Schlaf.
Es fühlt sich an, als wären Tonnen von Last von meinen Schultern gefallen.
Endlich.
Es hat viel zu lange gedauert.

Eigentlich war es schon für den Donnerstag geplant, der leitenden Psychologin meinen Teil in der Geschichte um den Tod des Freundes zu erklären. Aber so wie das immer ist, haben Leute in der Position grundsätzlich einen erheblichen Zeitmangel. So auch sie. Deshalb hat das alles etwas frustrierend geendet. Ich konnte ihr das einfach nicht verständlich machen. Auch, wenn ich vorher gut geübt habe, was ich sagen wollte (der ehemalige Herr Kliniktherapeut fand es mal ziemlich amüsant, als ich ihm erklärt hatte, dass ich vorher stundenlang das Zimmer auf und ab laufe und übe, was ich sagen möchte, damit es auch unter Stress geht) und den Text zusätzlich noch handschriftlich mitgebracht habe für den Fall, dass es doch nicht klappt.

Freitag.
Therapiegruppe. Mein Plan war es zumindest einen Bruchteil von dem, was mich bewegt anzusprechen – dann eben in der Gruppe. Nur leider macht man die Rechnung eben manchmal ohne die Therapeuten. Denn die wollten raus gehen. Und damit das zumindest ein bisschen therapeutisch bleibt, haben wir eine kleine Vertrauensübung gemacht, aber Raum zum Reden gab es nicht.
In der Nachbesprechung der Aktion muss es dann wohl doch offensichtlich gewesen sein, dass es mir nicht so gut geht. (Die anderen behaupten immer, das würde man sehr an meinen Augen sehen, ich sehe da nichts). „Mondkind, möchtest Du noch etwas sagen?“, hat eine Mitpatientin gefragt und ich konnte ihr gar nicht genug innerlich (und später persönlich) danken für diesen Einwurf, weil es mir so schlecht ging, dass die Schwelle zu „ich schaffe es, mir selbstständig Hilfe zu holen“ mal wieder überschritten war. „Ich fühle mich wie ein Dampfkochtopf (nennt man die Dinger so?) kurz vor dem Explodieren“, habe ich erklärt. „Brauchen Sie etwas?“, kam als Rückfrage von den Therapeuten. „Ich glaube ein offenes Ohr wäre ganz gut.“ „Von wem von uns Beiden?“, war die Frage. „Es ist mir eigentlich egal“, habe ich entgegnet. War es mir wirklich. Ich kenne die beide eigentlich nicht gut. Einer ist der neue Therapeut, bei dem das erste Einzel sehr schweigsam war und die Andere ist die Co - therapeutin, bei der ich bisher noch nie ein Einzel hatte und die in der Gruppe auch erst in der letzten Woche mehr präsent war. „Dann spielen wir beiden jetzt Schnick – Schnack – Schnuck, wer von uns beiden das macht“, meinte die Cotherapeutin. „Entweder so. Oder wer mehr Zeit hat“, habe ich dazu gesagt. 

Morgendlicher Parkspaziergang

Also gab es dann ein spontanes Einzel bei der Co - therapeutin am frühen Nachmittag. (Ich habe ja schon ein sehr schlechtes Gewissen, die hier so zu beanspruchen…) Zwar hatte ich der leitenden Psychologin auch noch die Zettel rein geschmissen – da habe ich auf sechs Seiten nochmal aufgeschrieben gehabt, was passiert ist - aber wer weiß, ob sie das überhaupt liest. Und wenn wir nächste Woche darauf kommen, dass das zu viel für ihren engen Zeitplan war…? Ich weiß nicht, ob es berechtigt war, aber ich brauchte irgendeine Resonanz für die Geschichte. Vor dem Wochenende.

Mal wieder ein neues Büro. „Was gibt es Frau Mondkind?“, fragt sie noch während wir uns setzen. Stille. Ich setze mehrfach zum Reden an und bekomme das mal wieder nicht hin. Ich merke, wie sie schon langsam ungeduldig wird. Dieser Zeitdruck hier ist wirklich immens. „Das war vielleicht gestern nicht die allerklügste Idee, dieses Fass aufzumachen“, sage ich. „Welches Fass?“, fragt sie. „Naja, ich war gestern bei [der leitenden Psychologin]“, entgegne ich. „Und naja. Also die Geschichte mit dem Freund ist ja schon erzählt. Aber da gibt es noch meinen Teil der Geschichte. Und der war noch nicht erzählt. Und jetzt haben wir den Deckel angehoben und irgendetwas explodiert da in mir, denn irgendwie wird mir langsam klar, dass nicht viel bleibt“, erkläre ich. Sie wendet sich dem PC zu und scrollt im System. „Erzählen Sie weiter Frau Mondkind, ich kam noch nicht zum lesen, ich schaue mal nebenbei, aber ich bin ganz bei Ihnen.“ „Naja, der Freund war nicht der einzige Mensch, der in jenem Sommer erwogen hatte, von dieser Welt zu gehen“, leite ich ein. „Sie wollten zusammen?“, fragt sie. „Nein, das war unabhängig voneinander“, erkläre ich. „Das Problem ist, dass die Gründe dafür ja noch nicht verschwunden sind mit der Tatsache, dass er gestorben ist, auch wenn das erstmal alles gesprengt hat. Und irgendwie dachten hier wahrscheinlich bisher alle ich kriege zumindest meinen Job auf die Reihe, aber wenn man es genau betrachtet…“ Und dann erkläre ich ihr kurz das Problem mit den Diensten. „Verstehe ich Sie jetzt richtig: Sie haben das Gefühl, wenn ein Patient von Ihnen stirbt, haben Sie keine Lebensberechtigung mehr?“ „Ich weiß, dass ist voll dämlich…“, sage ich. „Nein Frau Mondkind, ich will nur Ihr System verstehen.“  „Und was ist, wenn Sie den Job nicht mehr machen?“, fragt sie. „Naja, das ist so unfassbar viel Versagen, das kann ich auch nicht tragen. Und ich mache es ja auch grundsätzlich gerne. Nur diese Situationen. Und die sind nicht vorhersehbar.“ „Also verstehe ich richtig – Sie wollen zurück in den Job?“, fragt sie. „Ja“, entgegne ich.

„Also ich fasse zusammen: Sie können das nicht mit sich vereinbaren, den Job nicht mehr zu machen, haben aber in jedem Dienst – oder eben dann immer wenn wer stirbt – das Problem, dass sie glauben, dass sie dann auch nicht mehr weiter leben können.“ „Ja… - kann man so sagen.“ „Okay, dann haben wir hier eine Patt – Situation.“ Und nach einer Pause. „Wie haben Sie das bis hierher gemacht?“, fragt sie. „Naja… - ich habe gehofft, dass es irgendwie geht. Bis zum letzten Dienst war nicht klar, ob ich hier in der Klinik noch ankomme. Der letzte bestandene Dienst war tatsächlich eine unglaubliche Erleichterung. Weil ich dann wusste, dass ich hier wohl ankomme und zumindest mal die nächsten Wochen sicher leben darf. Und naja, ich hatte wohl ein bisschen Glück in den Diensten. Zumindest was die Todesfälle angeht.“

„Sind Sie eigentlich wütend, dass er sie mit dem ganzen Mist hier alleine gelassen hat?“, fragt sie. „Mh… - wütend eher wenig“, entgegne ich. „Darf ich etwas Gemeines fragen?“, fragt sie. Ich nicke. „Sind Sie ein bisschen neidisch auf ihn?“, fragt sie. Ich überlege kurz. „Manchmal schon“, entgegne ich. „Mh“, sagt sie und notiert etwas auf ihrem Klemmbrett.

„Ich überlege gerade“, sagt sie. „Ich weiß noch nicht, was bei Ihnen dahinter steckt, das können wir hier auch so schnell nicht klären. Es ist die Frage, ob Sie so eine generelle Sehnsucht haben ihm folgen zu dürfen und die Verantwortung dafür gewissermaßen Ihren Patienten zuschieben. Unbewusst.“

„Überleben Sie hier?“, fragt sie. „Naja, das haben wir mit [dem alten Therapeuten] schon hoch und runter dekliniert. Ich habe einen Vertrag unterschrieben, ich weiß, dass das Team hier eine Verantwortung für mich hat, ich weiß, was das für eine Drama für Personal und Mitpatienten ist, wenn hier etwas passiert – also ja.“ „Und was ist, wenn wir Sie entlassen?“, fragt sie. Ich schweige eine Weile. In der Psychiatrie war das die Frage, auf der ich dann abgebogen bin auf das, was man in der Situation sagen sollte, wenn man keine Schwierigkeiten möchte. Oder man hat die Frage eben nicht so klar beantwortet und ist auf der geschlossenen Station gelandet – ich befürchte so kam mein Umweg vor der letzten Entlassung zu Stande. „Wovor haben Sie Angst?“, fragt sie. „Naja…“, sage ich und weiter komme ich nicht. „Ich bin nicht [der alte Therapeut]“, sagt sie. „Ich habe das Wort Psychiatrie in unserem Gespräch noch nicht in den Mund genommen, oder?“, fragt sie. Und dann: „Also nochmal – wenn wir Sie entlassen, was ist dann? Überleben Sie das?“ „Es ist halt die Frage. Das hängt von der Arbeit ab. Wenn es da keine Dramen gibt, ja. Wenn doch… - also eigentlich kann ich Ihnen nicht sagen, was in einem Monat ist. Ob ich da noch hier bin. Ich hätte gern eine relative Sicherheit für den Frühling. Klar, passieren kann immer etwas, aber so, dass ich nicht gehen muss, weil ich glaube, das tun zu müssen.“ „Ich stelle mir das sehr anstrengend vor, so zu leben“, sagt sie. „Ist es auch“, sage ich.

„Frau Mondkind, ich bin froh, dass Sie das jetzt erzählt haben. Haben Sie das schon irgendwo mal so deutlich gesagt?“, fragt sie. „Nein“, sage ich, „in all den Jahren nicht. Ich hatte immer das Gefühl ich kann es nicht sagen, weil es mich sofort auf die geschlossene Psychiatrie katapultiert, aber das löst das Problem halt so gar nicht.“ „Jetzt wissen wir, woran wir mit Ihnen arbeiten können. Und ja, es ist ein schwieriges Thema, da haben Sie Recht und die Zeit dafür ist auch begrenzt, aber was hätten Sie jetzt gemacht, wenn wir Sie so entlassen würden?“, fragt mein Gegenüber. „Tja, das war das Problem beim letzten Psychiatrie – Aufenthalt.“ „Ich telefoniere jetzt nochmal mit [ihrem Bezugstherapeuten] und erzähle ihm das – er muss das wissen. Sie bleiben heute Nachmittag mal auf dem Zimmer, falls er noch etwas von Ihnen will. Ruhen Sie sich aus, Sie sehen müde aus. Das war jetzt wirklich ein wichtiger Schritt, ich bin wirklich froh, dass wir jetzt mit Ihnen daran arbeiten können.“

„Wie geht es Ihnen jetzt?“, fragt sie. „Naja… - ich bin schon erleichtert, dass es jetzt mal raus ist“, entgegne ich. Ich hoffe nur, ich schaufele mir nicht gerade mein eigenes Grab, denke ich mir.

Und heute – einen Tag später – wird mir klar, wie unglaublich dankbar ich dieser Frau bin. Für diese enge therapeutische Führung, dafür, dass sie so schnell kombiniert und die richtigen Fragen gestellt hat. Dafür, dass sie so lange auf der Frage gehangen hat, bis sie eine Antwort hatte, die ehrlich war. Vielleicht hatte man diese Fragen in der Psychiatrie auch im Hinterkopf, aber wir haben nie darüber geredet, was nach der Entlassung ist und ich dachte auch immer, ich kann es nicht sagen, weil das vielleicht wie eine Art Erpressung wirken kann. Ich will mich ja in der Klinik nicht häuslich einrichten, ich mag hier auch nicht ewig bleiben, aber ich brauche irgendeinen Lösungsansatz für dieses Problem. Es ist das erste Mal, dass man sagt: Es ist okay, es darf jetzt erstmal so sein, auch wenn es natürlich nicht so bleiben soll.
Und es ist auch schön, dass ich nicht dafür verurteilt werde, dass die scheinbar letzte stehende Säule, der Job, der ja auch so mindestens meine halbe Identität ist, scheinbar auch nicht so toll klappt.

Montag ist das nächste Einzel. Ich bin mal gespannt. 

Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen