Psychosomatik #14 Gesehen werden?
Es ist schwierig. Sehr schwierig.
Dieser Therapeutenwechsel hat Türen die offen waren, geschlossen. Hat
mir Ohren, die ich hatte weggenommen. Einen sicheren Ort im Nichts aufgelöst.
Ich habe mich echt bemüht das auf mich zukommen zu lassen, mich darauf
einzulassen. Und doch merkt man schnell, wer einen Draht zu dem Thema hat und
wer nicht. Und mein neuer Therapeut hat den nicht.
Ich versuche, aus diesem Klinikaufenthalt trotzdem noch etwas mitzunehmen. Und bewundere die Menschen um mich herum, die stabil genug sind, um die Dinge mit mehr Gelassenheit zu sehen. Während ich das Gefühl habe, ich müsste hier schon noch ein bisschen etwas erreichen, damit ich wieder fliegen kann.
Heute. Das Telefon auf dem Zimmer klingelt. Der Herr Therapeut.
„Frau Mondkind – es ist mir nur wichtig Ihnen kurz zu sagen, dass wir
Sie sehen. Wir merken, dass Sie Ihre Fühler in alle Richtungen ausstrecken und
Hilfe suchen. Wir haben uns im Team schon ausgetauscht und versuchen für Sie
und mit Ihnen eine Lösung zu finden. Am Montag – das kann ich Ihnen schonmal
sagen – bekommen Sie auf jeden Fall noch einen Termin bei der leitenden
Psychologin.“
Ich bedanke mich. Lege den Telefonhörer wieder auf. Das kann jetzt
irgendwie alles und nichts heißen. Das kann heißen: Wir sehen Sie wirklich und
wir sind daran interessiert, dass es besser wird. Oder: Frau Mondkind, jetzt
halten Sie hier mal die Finger still. Und übrigens – am Montag wird man Sie
auch einnorden. Wenn das dann nicht klappt, werden wir Sie im Zweifel auch
schnell los.
Und bis Montag in diesem Zustand ist im Übrigen auch sehr, sehr lang.
Zur Vorgeschichte.
Das letzte Einzel. 20 Minuten. „Die Zeit ist um“, sagt Herr Therapeut
nach seinem Monolog. Er ist wie eine Mauer. Laut ihm hat die Vergangenheit nichts
mit der Gegenwart oder Zukunft zu tun. „Frau Mondkind, diese Aussage fasse ich
jetzt schon fast als Beleidigung auf, dann dürfte ich jetzt nämlich definitiv
nicht hier sitzen.“ Seine Vorgeschichte interessiert mich eigentlich wenig.
Laut ihm ist das alles eine Frage von Entscheidung. Aber der Suizid meines
Freundes hat mich verändert. Er hat Themen an die Oberfläche gebracht, die ich
ein Mal für mich klären muss, um dann vielleicht auch weiter in Richtung
Zukunft zu gehen. Und er hat eine unendliche Trauer zurück gelassen, die
eigentlich nur offene Ohren braucht – mehr kann man nicht machen. Aber erklären
kann ich es ihm nicht. Auch die Sache mit dem Job und den Diensten spielt für
ihn keine Rolle, wo ich doch am Freitag so froh war, dass es auf dem Tisch
liegt. Denn egal was ich sage: „Frau Mondkind, das ist alles eine Sache von
Entscheidung.“ Mit dem Spiel haben wir zwei Einzelstunden verbracht. Und länger
als 20 Minuten pro Woche gibt es bei ihm wirklich nicht. No way. Und
Einzeltherapie von mehreren Stunden (okay, ich habe meinen alten Therapeuten
schon sehr überstrapaziert) die Woche auf effektiv nichts, ist schon hart.
Lässt den Druck im Hintergrund immens steigen. Deshalb hat er nochmal einen
Zettel von mir bekommen, auf dem ich meine Sicht der Dinge dargelegt habe sowie
die Themen, die ich gern noch anreißen würde. Um den Therapieprozess in eine
für mich hilfreichere Richtung zu lenken, was er daraus macht, ist seine Sache;
ich bin halt auch nur Patientin. Das habe ich auch dazu geschrieben.
Nach dem Gespräch bei der Cotherapeutin letzten Freitag, das wirklich überraschend gut war, habe ich sie auch nochmal um einen Termin gebeten – das hatte sie mir auch angeboten - ihr habe ich also diesbezüglich auch einen Zettel in den Briefkasten geschmissen. Und dann hat ja die leitende Psychologin letzte Woche noch ein paar Seiten Papier bekommen, nachdem die 15 Minuten bei ihr auch nicht gereicht haben, um zu erklären, was der Tod meines Freundes eigentlich mit meiner eigenen Geschichte zu tun hat.
Und dann habe ich heute auch eine neue Zimmernachbarin bekommen und ich wusste ja nicht, wann die kommt. Als sie in Begleitung der Pflege rein kam, saß ich gerade weinend an meinem Schreibtisch und habe einen Brief geschrieben – vielleicht haben die direkt beim Therapeuten angerufen; wer weiß das schon.
Ich gebe zu – das ist schon alles viel. Und natürlich bin ich auch
schon zu der Idee gekommen: Wenn jeder das so machen würde wie ich, würden die
Therapeuten überhaupt nicht mehr fertig werden. Allerdings – seit dem
Therapeutenwechsel laufen die Gruppen auch anders. Das ist entweder Psychoedukation
oder Besprechung von allgemein in einer Depression auftauchenden Themen. Da kann
ich auch recht wenig für mich mitnehmen. Und wenn ich aus den Einzeltherapien
eben auch nichts mitnehmen kann, dann wird der Druck dahinter immer höher. Der
alte Therapeut wusste das; ich glaube, deshalb hat er mir so viel von seinem
Ohr geschenkt. Ich hatte halt auch bisher wenig Ohren in der Geschichte. Ab und
an das der potentiellen Bezugsperson. Ich finde das immer so berührend, wenn
Menschen erzählen, dass sie in der Situation von Freunden oder der Familie
unterstützt wurden – das habe ich eben nicht erlebt. Ich war alleine damit.
Ich habe den alten Therapeuten heute gesehen, wir haben uns auf dem
Flur begrüßt und fast war ich dabei ihn zu fragen, ob ich nicht nochmal vorbei
schauen darf. Aber ich konnte mich bremsen. Wenn das bei der leitenden
Psychologin landet, ist sicher Feierabend – und er erzählt ihr leider alles,
teilweise im Wortlaut. Er hat es mir angeboten nochmal zu kommen, von seiner
Seite aus wäre es okay. Aber solange ich nicht weiß, wie sehr die mir hier
wirklich helfen können und wollen, lasse ich das besser. Ich werde ihm aber
bevor ich gehe noch einen Brief schreiben und mich einfach nochmal bei ihm
bedanken. Wäre ich nicht am Anfang bei ihm gelandet weiß ich gar nicht, ob ich
das bis hierher in der Klinik durchgehalten hätte. Mit so wenig Raum wäre ich
vermutlich nicht hingekommen. Und selbst wenn das hier alles nichts mehr wird,
bin ich ihm sehr dankbar für seine Impulse, die mich in der Verarbeitung glaube
ich wirklich ein Stück nach vorne bringen.
Erstmal heißt es jetzt Warten. Der Klinikaufenthalt ist zu großen
Teilen Warten geworden. Erst auf das Einzel bei der leitenden Psychologin
letzte Woche, dann auf das Einzel bei dem Bezugstherapeuten diese Woche und
jetzt darauf, was die da auskaspern.
Ich finde es ganz schwierig, dass die letzten Tage eigentlich nur aus
Aushalten bestehen. Irgendwie bin ich der Meinung, dass ich gerade an einem Ort
bin, wo es doch mal nicht nur ums Aushalten gehen sollte, aber es ist wohl
gerade so.
Morgen habe ich meine erste Transferveranstaltung, was mir bewusst macht, dass das Ende des Aufenthaltes jetzt doch langsam in Sichtweite rückt. Ich bin gespannt, wie ich hier in zwei Wochen gehe.
Mondkind
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