Psychosomatik #8 Sozialer Reset

01. September 2020
„Im Verlauf der nächsten Minuten haben wir dann ein bisschen die Ursachen für den aktuellen Zustand heraus gearbeitet. Für den sich am Ende ein Satz heraus kristallisierte.
„Ich glaube nicht, dass es tatsächlich keine Möglichkeiten mehr gibt. Ich sehe die schon. Aber ich habe keine Lust und keine Kraft mehr mich darum zu kümmern das anders zu machen.“ (Das bringt mich nicht weiter – das ist mir klar. Ist aber sehr ehrlich. Ich kann einfach nicht mehr. Gerade eben nicht).
„Das ist ein Statement. Das erklärt, warum wir gerade in dem Zustand sind, in dem wir sind“, entgegnete Herr Therapeut.“ 

Meine eigenen Worte. Vor langer Zeit.


 

Interessant. Da war ich schon mal. Und stehe da heute wieder.
Ich weiß, dass ich das hier kann. Ich habe es schon mal geschafft. Habe mich ganz alleine auf den Weg von zu Hause weg gemacht und hatte einfach Niemanden. Ich sehe die Möglichkeiten. Ich weiß, dass ich weniger arbeiten gehen sollte, mir mehr Zeit für mich nehmen sollte um erstmal herauszufinden, wer ich bin und was ich möchte. Oder vielleicht die Zeit auch nutzen kann, um mich beruflich ein bisschen umzuorientieren. Ideen habe ich schon. Ich weiß, dass ich vielleicht ein bisschen Leben in der Wohnung brauche. Dass ich endlich mobil werden sollte, dann kann ich auch am Wochenende einfach mal ins Umland fahren und muss die Wohnung nicht mehr sehen. Und Mobilität wäre auch nicht schlecht, um sich um eine nahtlose therapeutische Anbindung zu bemühen, wenn meine jetzige Therapeutin in Rente geht. Ich sehe mittlerweile auch ein, dass das wichtig ist.

Und dennoch – wieso soll ich das machen, wenn der wichtigste Mensch in diesem Szenario für  immer fehlen wird? Wenn wir die Chancen, die wir hatten in der Vergangenheit verspielt haben? Wenn ich deswegen weiter leben darf und er nicht? Wenn wir uns beide so sehr gequält haben und heute in verschiedenen Welten stehen? Letzens hat man mir unterstellt, dass ich von ihm abhängig gewesen sei, aber das ist ja auch irgendwie Schmarrn. Es war die horizontalste, ehrlichste, wertvollste Beziehung, die ich je hatte und wenn man sich so auf einen Menschen einlässt, wäre es vielleicht fast fatal, wenn man ihn einfach so ziehen lassen könnte.

Ich wusste es damals nicht und ich weiß es heute auch nicht – wann dieser Zustand aufhört. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht den ganzen Autonomie – Kram manchmal nicht. Der Mensch ist ein soziales Wesen, warum muss ich überall beweisen, dass ich es ganz alleine schaffen kann?
Ist das so verwerflich, wenn ich mir wünsche, dass ich abends am liebsten mit ihm – aber sonst auch zumindest mal mit irgendwem anders reden kann, der mich ein bisschen kennt und versteht? Kommentar der potentiellen Bezugsperson dazu: „Tut mir ja leid. Aber an dem Nichts kommst Du jetzt mal kurzfristig nicht vorbei.“ Dankeschön.

Und heute Nacht sind mir wieder all die Menschen in den Sinn gekommen, die ich ziehen lassen musste. Neben dem Freund. Weil man das mit mir wahrscheinlich auch irgendwie nicht aushalten kann. Ich habe an den ehemaligen Herrn Kliniktherapeuten gedacht, an sein Büro, in dem er heute auch nicht mehr sitzt. Ich habe mich immer gefragt, was er mit den ganzen Stühlen in diesem kleinen Büro will. Wir saßen uns so oft gegenüber, rechts im Raum. zwischen uns ein kleiner Holztisch. Neben mir an der Wand ein gerahmtes Bild von einem Lebensbaum, den er selbst gemalt hatte und der irgendwie sehr schön und inspirierend war; ich habe mich aber nie getraut zu fragen, ob ich ein Foto davon machen darf. An der Wand gegenüber, links von mir, war das Whiteboard, an dem manchmal in der Therapie irgendwelche Bilder entstanden sind.  Er war ein Mensch, dem ich wirklich mein Leben anvertraut hätte. Oder… - das auch getan habe. Er hat mich irgendwie durch Deutschland gelotst, nachdem der Freund gestorben ist und wahrscheinlich war ich so verplant, dass er mich sonst wohin hätte schicken können und ich ihm gefolgt wäre. Aber diese Ebene von tiefem Vertrauen – so sehr es auch das Herz berührt – die bezahlt man immer. Heute ist es nur noch eine Erinnerung an einen Menschen, die neben einem wärmenden Gefühl auch ganz viel Schmerz bereithält.
Ähnlich ist es bei der ehemaligen ambulanten Therapeutin. Ihr hatte ich sogar noch geschrieben, wo ich aktuell bin, weil wir eigentlich zwischen Weihnachten und Neujahr nochmal reden wollten. Nur, damit sie sich nicht sorgt. Naja, die Idee war wohl eher nicht cool. Seitdem hat sie nicht geschrieben und wahrscheinlich hat sie es jetzt auch aufgegeben, nachdem ich jetzt schon das vierte Mal in der Klinik sitze.
Manche Freunde von früher. Bei denen ich gerne nochmal gewusst hätte, wie es denen geht. Aber nach dem Vorfall kamen wir auf keinen gemeinsamen Nenner mehr.

Manchmal fühlt es sich an wie ein Reset. Alle Uhren auf Null, was den sozialen Bereich angeht.
Und im Moment strecke ich nicht mal meine Fühler aus. Es ist mir einfach zu anstrengend, hier mit irgendwem aus der Klinik etwas zu machen. Es ist schon schlimm genug, dass ich den Herrn Therapeuten hier gerade wirklich als Stütze wahrnehme und er ja auch Ende nächster Woche geht – ob das mit ihm wirklich ambulant klappt, steht ja noch in den Sternen. Vielleicht ist das auch gut so. Ehe das wieder eskaliert. Und sich das Gefühl ohne mal den Verstand zu fragen an einen Menschen hängt, an den ich das nicht tun sollte.

Und dann kommt man ganz schnell bei der Sinnfrage raus. Und von dort ist es nicht mehr weit, bis es richtig abwärts geht. Ich versuche mal, das über das Wochenende noch in mir zu halten und am Montag… - vielleicht sozial verträglich zu kommunizieren.

Es hat geschneit heute Nacht. Vielleicht schaffe ich das, nachher eine kleine Runde durch den Schnee zu drehen.

Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen