Psychosomatik #12 Veränderungen
Die positiven Nachrichten vorweg – der Corona – Test war negativ.
Impfung und Booster scheinen mich ein bisschen gerettet zu haben. Kein Corona
zu haben, heißt vorläufig bleiben zu dürfen. Wie lange auch immer. Auf jeden
Fall noch zwei Wochen, ob es eine Verlängerung gibt, wird zwar schon
entschieden sein, aber ich weiß von der Entscheidung noch nichts. Da muss ich
morgen mal nachfragen.
Ansonsten ist meine Zimmernachbarin heute abgereist. Und so wie es
aussieht, bleibt das Zimmer erstmal leer. Ruhe für mich. Endlich. Auch wenn wir
viele gute Gespräche hatten, aber was ich immer noch am allermeisten brauche,
ist Zeit und Ruhe. Und gerade ihre letzte Woche war sehr schwer und
ich habe so viel meiner Energie zum Tränen trocknen verbraucht.
Der letzte Freitag, das Gespräch mit der leitenden Psychologin und dem
ehemaligen Herrn Therapeuten, hat noch etwas angestoßen. Die leitende
Psychologin wollte etwas von Zukunft wissen, was ich ihr geschwind präsentieren
konnte. „Mir fehlt da ein bisschen die Gegenwart“, sagte Herr Therapeut dazu.
Und da hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen. Die fehlt mir auch.
Gestern sollten wir dann malen, wie wir uns die Zukunft vorstellen.
Kein Problem, an Ideen hat es nie gemangelt. Nur leider stirbt die Zukunft über
die Gegenwart.
Ich habe hier zwar die Geschichte mit dem Freund erzählen können, aber
nie meinen eigenen Teil der Geschichte. Der sich bis heute durch die Zeit
zieht. Ich habe nie sagen können, dass der Freund und ich offensichtlich beide
das Ende unseres Daseins geplant haben und – als es konkret wurde – darüber
geschwiegen haben. Ich konnte nie sagen, dass mein Plan hochgegangen ist, weil
er gestorben ist. Dass es seitdem ein Weiterleben zwischen den Welten ist.
Ratlosigkeit. Was soll das jetzt? Was macht man jetzt? Ich bin immer noch der
Meinung, dass ich im Dienst eher Menschen umbringen als retten werde.
Am Montag musste ich nochmal bei der leitenden Psychologin vorbei,
nachdem das am Freitag ja fast eskaliert ist. „Ich habe ja schon die Geschichte
mit dem Freund erzählt. Aber… - da gibt es noch einen zweiten Teil. Und den
habe ich noch nicht erzählt. Ich glaube aber, das wäre wichtig und ich würde
ihn gern erzählen können.“ Sie wiegt ihren Kopf hin und her. „Würde es Ihnen
helfen, wenn ich Ihnen noch einen Termin bei mir gebe…?“ Puh… - nicht, dass ich
die Frau jetzt gut kenne. Aber bei ihr läuft am Ende eh alles zusammen. Ob sie
es nun aus zweiter Hand vom Bezugstherapeuten hat oder aus erster Hand von mir,
ist eigentlich egal. Also haben wir jetzt für morgen einen Termin. Ich habe es
alles schon nochmal aufgeschrieben – falls ich ihr das morgen nicht erzählen
kann, kann ich ihr einen Zettelstapel übergeben.
Unterdessen geht hier die Therapie weiter. Letztens in der Gruppe. Der
Therapeut und die Co - therapeutin waren beide da. Die wollten dann erstmal
wissen, wie es uns so geht und was wir von dem Therapeutenwechsel halten. Ich
habe dann zum Thema Therapeutenwechsel gesagt, dass ich mir eigentlich gedacht
habe, dass mich das nicht stören soll, dass ich aber doch merke, dass es für
mich sehr schwer ist. Gerade im Einzel ist es mir aufgefallen. Das war die
ganze Zeit so das Gefühl, dass ich da eine Klemme im Kopf habe. Eigentlich ist
da so viel in mir das raus muss und gefühlt explodiere ich innerlich, aber es
geht nicht. Und ich muss mich bemühen, nochmal zu vertrauen, was nicht einfach
ist, weil diese vertikalen Beziehungen einen unglaublichen Vertrauensvorschuss
einfordern und ich mich – nach allem was ich mir zum Freund anhören musste – schwer
tue, den zu geben. Aber ich gebe mir Mühe. Die haben sich dann auch echt beide
bemüht noch ein bisschen auf mich einzureden und haben mir einen Zettel
geschrieben, dass ich ihnen vertrauen kann – sollten da mal Zweifel außerhalb
der Therapie aufkommen.
Naja, wenigstens habe ich mich überhaupt getraut, das anzusprechen. Es ist
irgendwie alles extrem schwer auszuhalten aktuell. Auf diesem Raum zum Reden zu
warten und zu hoffen, dass der nochmal kommt. So intensiv wie bei dem alten
Therapeuten wird es nicht denke ich, das ist schon klar. Aber ein bisschen
zumindest. Die Co - Therapeutin meinte, man sehe mein Bemühen...
Ansonsten finde ich Gruppentherapie sehr anstrengend. Natürlich
berühren die Themen anderer mich auch irgendwie, aber es ist nicht wie ein
passendes Puzzleteil, sowie das gern gesehen wird. So nach dem Motto: Alle
profitieren von der Therapie, weil es einer in seinem individuellen Kontext
anspricht. Eigentlich ist Gruppentherapie für mich ein Warten. Warten darauf,
bis man sich mal traut oder beschließt, dass es an der Zeit ist, sich auch mal
Raum zu nehmen. Um dann wiederrum sein Anliegen in die Gruppe zu schmeißen,
wozu die anderen wenig sagen können und was vielleicht dann zählt, ist die
Meinung des Therapeuten dazu und, dass man es im Einzel, das sich auch nur auf
20 Minuten regulär beläuft, nochmal aufnehmen kann, ohne die ganze Story zu
erzählen, was wiederrum zu viel Zeit braucht. Es wird keine Nachmittage beim
Therapeuten mehr geben, das muss ich jetzt irgendwie anders lösen.
Am Nachmittag sehe ich den ehemaligen Herrn Therapeuten auf dem Gang. Es ist ein komischer Stich in meinem Herz und kurz tut es weh. Und irgendwie könnte ich mich manchmal selbst an die Wand klatschen bei so viel Dummheit. Ich hätte ihn nie so nah an mich heran lassen sollen. Es war von Anfang an klar, dass das eine vertikale Beziehung auf Zeit ist. Die zwar nicht schon nach vier Wochen hätte zu Ende sein sollen, aber nach sechs Wochen. Oder spätestens acht. Ich glaube sein „Ich mag Sie“, hat mich endgültig Vertrauen fassen lassen. So kurz vor dem Ende. Es hat mein Herz berührt. Hat quasi seine eigene Theorie bestätigt. Vielleicht löst die Zuneigung zu anderen Menschen – auf welcher Ebene auch immer – ein bisschen die Starre im Herzen.
Mondkind
Kommentare
Kommentar veröffentlichen