18 Monate

 Hey mein lieber Freund,
na, bist Du gut ins neue Jahr gekommen?

Anderthalb Jahre ist dieser Morgen her, dass ich auf dem Sofa saß und meine Welt stehen geblieben ist. Nachdem Deine schon stand.

Aktuell hänge ich mal wieder in der Klinik herum. Eine Psychosomatik diesmal. Ganz in der Nähe meines Heimatortes. Ich frag mich manchmal, wie Dir diese Form von Therapie hier gefallen hätte. Ob es Dir hätte helfen können?
Ich weiß nicht, ob Du so sehr für ein Gruppenkonzept zu haben gewesen wärest. Das bin ich ehrlich gesagt irgendwie auch nicht so ganz. Aber es ist eben hier so. Und ich versuche das Beste draus zu machen. Auch wenn ich es noch nicht geschafft habe, die Geschichte mit uns beiden in die Gruppe zu tragen.

Und dennoch würde ich Dir gerne sagen: Ich brauche Dich. Jetzt. Hier. Zum Reden. Genau der Mensch, mit dem ich während Klinikaufenthalten alle Themen hoch und runter diskutieren konnte, der fehlt jetzt. Unsere Post – Therapie – Cafe – Dates.

Ich muss ehrlich gestehen – ich hätte nicht gedacht, dass mich das nochmal so umhauen wird. „Suizid des Freundes“ stand letzte Woche schwarz auf weiß auf meinem Zettel mit den Therapiezielen. Und irgendwie hat sich das angefühlt, als hätte man ein Messer in mein Herz gerammt; als seinen die Buchstaben aus dem Zettel gesprungen und hätten mir direkt ins Gesicht geschlagen, bis ich ohnmächtig umgefallen wäre.
Das Problem ist, das Leben und Du – Ihr seid nicht mehr miteinander vereinbar. Und irgendwie ist es ganz schwierig für mich, weil ich nicht weiß, wo ich hin treten soll. Welcher Boden micht trägt. Wenn ich nur ein Bein hebe, um es in Richtung Zukunft zu bewegen ist es, als würde mich etwas am Kragen zurück ziehen. Ich möchte nicht von Dir weg. Und gleichzeitig ist das Dasein auf dieser Erde mehr als die Beschäftigung mit dem Tod.

Was soll ich machen? Wie bekomme ich uns beide in die Zukunft?

Du, darf ich Dich etwas fragen: Findest Du das ungerecht, dass ich mein Leben weiter leben darf, während Deins stehen bleiben musste? Würdest Du wollen, dass ich glücklich werde? Würdest Du wollen, dass aus Deinem Tod noch irgendetwas wächst? Dass ich versuche, irgendetwas daraus zu machen?
Wusstest Du kurz vor Deinem Sterben noch, was Du da tust? Konntest Du denken an die Menschen, die Dir nahe stehen, an das Leben an sich? Hast Du irgendetwas darüber geglaubt, wie ich damit würde umgehen können? Hast Du vielleicht sogar gedacht, dass Du mir nicht wichtig bist und ich das schon überleben würde?

Ich hatte letztens ein Gespräch mit einer Mitpatientin, die mir erklärt hat, dass die glaubt, dass manche Menschen quasi als Engel und Beschützer auf die Erde geschickt werden, um uns eine Zeit lang zu begleiten. Und wenn ihre Aufgabe erfüllt ist, dann gehen sie wieder.
Ich habe darüber nachgedacht, dass ich das ohne Dich nicht geschafft hätte. Als wir uns kennen gelernt hatte, war ich in diesem Psychiatrie  - System gefangen und komplett verloren. An Deiner Seite habe ich die Stadt in der ich gelebt habe kennen gelernt, ich habe Träume gesponnen und habe mich von Dir ermutigen lassen, die umzusetzen. Ich habe mir Deinen Rat einholen können, wenn ich ihn brauchte, ich habe Deine haltende Hand gespürt, ich hatte den verlässlichsten Begleiter, den ich je kennen lernen durfte an meiner Seite. Du warst die Antwort auf die Frage des Seelsorgers, woher ich die ganze Kraft auch in den tiefsten Tälern genommen habe.

Bist Du gegangen, weil die Aufgabe erfüllt war? Weil ich alleine und selbstständig auf zwei Beinen stehen kann? Weil Du von da oben auf mich herunter schaust, ab und an mal vor Dich hin lächelst und schaust, wie ich mich hier schlage? Wiegst Du vielleicht manchmal besorgt den Kopf hin und her, wenn Du siehst, dass ich es mir schwer mache?
Ich weiß es nicht. Ich würde gerne an irgendetwas glauben können. Aber mein Konzept für das Leben nach dem Tod ist noch ziemlich inkongruent. 


 

Aber was ich Dir sagen möchte, ist Danke. Danke, dass sich unsere Wege gekreuzt haben, dass sie ein Stück lang nebeneinander her gelaufen sind, dass ich so viele praktische und zwischenmenschliche Dinge von Dir lernen durfte. Gerade letztens habe ich zumindest mal meiner Zimmernachbarin erzählt, wie wir uns kennen gelernt haben. „Das ist so etwas Magisches. Guck mal, Menschen melden sich auf irgendwelchen Plattformen an, weil sie nicht in der Lage sind, Mensche anzusprechen, die ihn ihnen irgendetwas bewegen. Dein Freund hat das getan. Dass es das noch gibt. Das solltest Du Dir im Herzen bewahren.“
Werde ich.

Du fehlst hier. Unendlich doll. Ich kann es immer noch fühlen, wie es damals war. Da hatte ich dann nachmittags zumindest mal den Herrn Kliniktherapeuten in der Leitung. Heute…
Und naja… - wir bleiben auch von Therapeutenwechseln nicht verschont. Ende nächster Woche geht unser Therapeut. Und während die Gruppe das heute sehr aufgewühlt hat und auch mich natürlich bewegt, sehe ich es aktuell auch etwas gelassen. Er hätte es schon von Anfang an kommunizieren können, das stimmt. Das weiß er ja nicht erst seit heute. Aber ich habe das im Generellen und auch im Rahmen von stationären Aufenthalten so oft durch – es sind die Strukturen und es ist wohl schon okay.

Und dennoch hätten wir genügend zum Reden für ein Post – Therapie – Cafe – Date. Kannst Du Dich eigentlich noch an das letzte Treffen im Uno erinnern? Wir wussten, dass es eines der Letzten sein würde, weil ich nur auf Stippvisite in der Stadt war und Du dann ja auch umziehen wolltest. Aber dass es so endgültig ist, das haben wir nicht gedacht. Ich wünschte, ich könnte heute nach diesem Tag dort mit Dir sitzen. Oder, weil die Studienstadt ja sehr weit weg von hier ist und das unrealistisch ist – ich wünschte, ich hätte Dich heute Abend am Telefon.

Ich liebe Dich.
Mondkind

 

Bildquelle: Pixabay

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