Psychosomatik #11 Gedanken zum Montag
Es ist so still hier, wie es selten in meinem Leben war.
Tag für Tag. Woche für Woche.
Überleben. Existieren. Aktuell zumindest in einem geschützten Rahmen.
Jeden Tag wird mir ein bisschen mehr klar, wie viel ich gehen lassen musste. Und wie sehr ich versucht habe, das zu verdrängen. Dass all die Menschen die mal da waren, nicht mehr Teil meines Lebens sind. Dass so generell und überhaupt niemand mehr nach mir fragt.
Es ist schon erstaunlich, dass man – um auf die Frage „Wie geht es Dir
eigentlich?“, Termine in vertikalen Beziehungen braucht. Dass man nicht einfach
mal so jemanden anrufen kann, weil einem danach ist. Also… - könnte ich
vielleicht sogar. Aber dann zu erklären: „Naja ich bin in der Psychosomatik,
aber es geht mir eigentlich gut“, das ist irgendwie nicht zielführend.
Ich vermisse es so sehr irgendwo im Café zu sitzen, oder bei einer
Freundin, die ich mal hatte auf dem Küchenfußboden und über alles Mögliche zu
sinnieren.
Und manchmal wünsche ich mir, ich hätte dieses Zipfelchen Leben nie
gehabt. Dann würde es vielleicht heute nicht so weh tun.
„Ich mag Sie“. Ein Satz des neuen, jetzt schon alten, Herrn Therapeuten. Auch der wurde in einer vertikalen Beziehung gesprochen und dennoch hat er mich tief berührt. Sollte vielleicht Hoffnung machen, dass so etwas auch im echten Leben möglich sein kann. Immerhin war ich bei ihm nur ich selbst. Und dennoch laufen einem die horizontalen Begegnungen nur selten einfach so über den Weg. So etwas wie mit dem Freund – das war großes, großes Glück.
Ich frage mich, was ich eines Tages mache, wenn ich nicht nur rational verstehe, sondern auch emotional einsehe, dass die letzte stehende Verbindung – die zur potentiellen Bezugsperson – eigentlich längst verloren ist. Das war schon mit dem ehemaligen Herrn Kliniktherapeuten besprochen, hier habe ich es kaum thematisiert. Es sind weiterhin vernichtende Mails, in denen er mir – vielleicht nicht mehr ganz so direkt – unterstellt, mir mindestens die Hälfte auszudenken. Und dennoch ist es so schwer, ihm nicht zu schreiben, wenn der Kopf explodiert und ich das Bedürfnis habe einer Person von meinem Tag zu erzählen.
Es ist schon komisch. Ab heute darf ich nicht mehr rauf zum Herrn Therapeuten laufen, der sein Zimmer genau über unserem hat. Vertikale Beziehung halt, die aufgrund der äußeren Gegebenheiten einfach wegfallen kann. Das weiß man. Immer. Und dennoch wusste ich am Anfang nicht, dass er uns zwischendurch verlässt und habe viel da rein investiert. Und heute tut es weh, dass es so ist.
Ich habe die Geschichte mit dem Freund hier noch nicht zu Ende erzählt. Dass ich heute vielleicht nur noch lebe, weil er mir mit diesem unumkehrbaren Schritt weniger als einen Monat zuvor gekommen ist, weiß hier Keiner. Das würde mich mutmaßlich zu einem höchstgradig gestörten Menschen degradieren. Und doch würde ich gerne die Geschichte zu Ende erzählen. Aber nur bei Menschen, bei denen ich zumindest hoffe, dass sie nicht sofort in die Verurteilung einsteigen. Ob das hier noch passieren kann, weiß ich nicht.
Ich habe Angst. Angst vor dem Weg zurück in den Alltag. Das hier war
nochmal eine Rettung in der letzten Minute. Aber es wird wieder kommen. Die
langen Tage auf der Arbeit verbunden mit vielen Ängsten. Die Dienstnächte, in
denen ich das Gefühl habe, das Herz müsste mir aus der Brust springen, weil es
so schnell und heftig schlägt vor Angst. Dieses „Mondkind ignorier es, versuch
einen klaren Kopf zu bewahren, überlege, was der Notaufnahme – Oberarzt jetzt
machen würde und dann mach es einfach. Augen zu und durch. Mehr, als dass Du
Dein eigenes Leben geben musst, weil Du das eines anderen versehentlich
genommen hast, kann auch nicht passieren.“ Und nach diesen Tagen, werden die
langen, einsamen Stunden in der Wohnung zurückkommen. Es wird weiterhin die
Ambition geben, irgendwann mal diese Wohnung zu Ende einzurichten und ich
vermute, es wird mit der hochgradigen Erschöpfung und einer linken
Handwerkerhand, bis bislang nicht mal ein Loch in irgendeine Wand gebohrt hat,
nicht möglich sein. Es wird die Idee geben, sich ein Auto anzuschaffen, aber
dann wird mir wieder einfallen, dass es keine besonders tolle Idee ist, als
ahnungslose Mondkind in ein Autohaus zu laufen und ein Auto kaufen zu wollen.
Mal abgesehen davon, dass ich keine Ahnung habe, was ich wo anmelden muss und
welche Versicherungen es braucht.
Und die Sehnsucht wird bleiben. Nach diesen Pirouetten durch das alte
Leben. Ich könnte weinen, wenn ich an die Mondkind von früher denke, die hier
und da mal der Bahn hinterher gerannt ist auf dem Weg in die Stadt zum Cafe –
Date. Die abends häufig noch ewig telefoniert hat, mit dem Freund. Die die nächtlichen
Kuchenbackaktionen mit der Freundin gemacht hat. Es war ein kurzes, verrücktes „Teenager
– Leben“, das ich nie gehabt habe. Wahrscheinlich war es auch nicht wirklich
verrückt. Aber es war alles, was ich je hatte.
So, heute wird es spannend. Gleich muss ich erstmal zu leitenden Psychologin und mit ihr über die Verlängerung und meinen Gemütszustand reden. Dann ist Gruppentherapie mit dem neuen Team. Heute Nachmittag habe ich mein erstes 20 – Minuten – Einzel. Und über allem ist noch eine Patientin aus unserer Corona – positiv. Jetzt mussten wir alle einen PCR – Test machen und dürfen jetzt bis heute Abend auf das Ergebnis warten. Wenn der positiv zurückkommt, bekomme ich sowieso ganz andere Probleme.
Mondkind
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