Ein Bürogespräch

Donnerstag.
Ich auf dem grünen Stuhl.
Er übereck.
Ich war lange nicht mehr hier.
Aber wir haben Sonntag zusammen Dienst. Und müssen noch ein paar Dinge klären.

Zuerst einmal geht es aber kurz um die Intensivstation. „Ich komme mir halt vor wie ein absoluter Idiot. Und ich glaube mein neuer Oberarzt stimmt mir da zu.“ „Mondkind, er hält jeden außer sich selbst für einen Idioten. Das ist Dir doch sicher schon aufgefallen…“ „Ja“, entgegne ich. „Und das verbannt mein Selbstwertgefühl echt in den Keller. Ich traue mir gar nichts mehr zu. Ich habe mir schon überlegt: Ich habe mich wirklich auf jeder Station bemüht, einen guten Eindruck zu hinterlassen und schnell integriert zu werden, aber ich habe da keine Lust mehr drauf. Und ich glaube auch nicht, dass es dort viel bringen wird. Vielleicht reicht es ja auch einfach mal, jeden Morgen auf der Arbeit zu erscheinen und seinen Job so mittelmäßig zu machen.“ „Das wäre eine gute Übung für Dich…“ „Ich fühle mich ja auch immer für die Komplikationen meiner Patienten verantwortlich – und da die Patienten der ITS nur aus Komplikationen bestehen, ist das irgendwie auch nicht ganz günstig, daran muss ich auch arbeiten.“ Sonst gehe ich ein auf dieser Station. Sehr bald schon.

Und später: „Was macht eigentlich die Therapie Mondkind?“ „Frau Therapeutin ist immer noch krank“, erkläre ich. „Und der Neue?“, fragt er. „Wir telefonieren ab und zu… - mal sehen, was das gibt...“ „Was ist das Problem?“, fragt er. „Naja…“, beginne ich und habe Tränen in den Augen. „Es ist kompliziert…“ „Was ist kompliziert Mondkind?“, fragt er. „Wahrscheinlich finden Sie das jetzt voll daneben“, erkläre ich. Schweige eine Weile. „Je mehr wir uns kennen lernen, desto mehr spüre ich mein Herz. Nach all der Zeit. Es ist ein Flattern in mir. Wenn ich ihn am Telefon habe. Wenn ich an ihn denke. Und das ist alles noch im Rahmen – wir kennen uns auch nicht gut genug, aber es ist da.“ „Und?“, fragt er. „Naja – ich spüre dieses Hüpfen meines Herzens nicht ohne Schuldgefühle. Gegenüber [dem verstorbenen Freund] – als er noch gelebt hat, durfte mich nicht mal ein Kollege nach Hause fahren, ohne dass ich mich stundenlang dafür rechtfertigen musste. Gefühlt betrüge ich ihn gerade, denn ich liebe ihn immer noch. Aber er ist tot und ich werde mich in seinen Armen nie wieder spüren. Und es ist natürlich überhaupt nicht angemessen in der Situation. Es ist eine vertikale Beziehung, in der ich – mal objektiv betrachtet – überhaupt nichts zu melden habe. Das läuft nicht so wie früher. Ich kann mir nicht überlegen, dass ich jetzt gerade Lust zum Reden hätte und ihn anrufen.“ 


 

Ich schweige wieder eine Weile. „Das wird nur Probleme machen“, sage ich irgendwann. Die Trauer um den Freund verschiebt sich, seitdem ich mein Herz spüre. Weg von diesem unaufhörlichen Drehen um das Thema Schuld, hin zu den Emotionen. Das sind die Momente, die ich vermisse und die mir das Herz so sehr zerreissen. Die Treffen auf den Bahnhöfen, die Umarmungen, wenn wir uns ewig nicht gesehen haben, die stundenlangen abendlichen Telefonate. Das Hüpfen meines Herzens, das ich bei ihm auch hatte. Die Situation mit Herrn Therapeuten macht mir klar, wie sehr mir das fehlt.
Und dann… - es kann nicht funktionieren, so wie es jetzt ist. Wir haben den Boden dafür nicht. Und das tut weh. So schön, wie es dazwischen auch ist. Und das tut mir leid. Auch für ihn. Weil das ja auch ein Problem für ihn wird, allein, dass es von mir aus so ist.
Es ist so ein Gefühlschaos und ich weiß nicht, wohin damit.“

Er sieht mich an. „Mondkind – Du hast so viel Scheiße in den letzten zwei Jahren erlebt. Nimm alles mit, was Du kriegen kannst – auch wenn die Umstände echt nicht optimal sind. Vielleicht wird es ja etwas. Am Ende sind wir alle Menschen, die manchmal in ihre Gefühle fallen. Es ist schön, Dich zwischendurch mal Lächeln zu sehen. Zu spüren, dass es nicht nur schwer ist, auch wenn ich verstehe, dass Du das Gefühl hast, dass Du das gerade gar nicht brauchen kannst.“

Am Ende klären wir die Fragen um den Dienst. Ich habe so Angst davor. Ein schlechter Dienst und wir reden wieder wochenlang nicht miteinander. So ist das mit ihm. Aber er ist ohnehin bald eine Weile nicht da, habe ich gesehen. Da werden wir auch nichts voneinander hören. Vertikale Beziehung halt. Auch mit ihm.

Erstmal starten wir in den Freitag. Eine Patientin ist sehr kritische bei mir, dann ist heute Abend noch Fahrschule. Und dann ist erstmal Samstag. Raum für mich. Den brauche ich dringend.

Mondkind

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