Über das Fehlen

Es ist nicht okay.
Ist es einfach nicht.

Heimweg.
Es ist viel passiert auf der Intensiv. Ich habe die fragliche Ehre, meinen ersten ALS – Patienten zu betreuen. Und wahrscheinlich werde ich nach meinem Samstag - Dienst den Sonntag mit der Ausarbeitung eines Vortrages verbringen. Wer nicht 24/7 arbeitet, hat immer noch Kapazitäten, so die Devise an dieser Klinik. Dabei hatte ich doch Sonntag etwas vor. Aber ein Privatleben wird ja überbewertet – woran mein Freund und ich ja auch gescheitert sind.

Älteres Bild, aber ungefähr das war der Sonnenstand heute...

Die schräg stehende Sonne, kurz bevor sie unter geht, trifft auf glänzende Augen.
Die ersten warmen Tage. Es ist ohne Jacke warm genug.

Es war ein Aufstehen nach dem langen Winter. Ein Suchen nach langen Wochenenden. Wo kann man noch einen Tag dran hängen? Um zu Reisen, zwischen den Welten. In das Leben des anderen.
Und selbst heute noch streift dieser Gedanke mein Gehirn. Nach all der Zeit.
Aber ich muss nicht mehr reisen, zwischen den Welten; es hat keinen Sinn mehr. Das Einzige, das ich finden werde sind Erinnerungen auf den Straßen. Aber ohne ihn scheint es nicht mehr dieselbe Stadt zu sein.

Vor zwei Jahren. Haben wir an Ideen gebastelt uns zeitnah zu sehen. Konnte man ein Schlupfloch zwischen den Corona – Bestimmungen finden? Wo doch am Anfang gar nicht klar war, was erlaubt und verboten ist. Wo es – zumindest hier im Bundesland – schon die Frage war, ob man sich alleine auf eine Bank setzen darf. „Checker [der Name meines Freundes] kombiniert so: …“ finde ich in den alten whatsApp – Verläufen und es rührt mich zu Tränen.

Ich vermisse ihn. Und ich vermisse mich. Die ich damals war. Ich vermisse das Wir, das wir hatten. Das Tanzen zwischen den schweren Momenten. Denn es war nie leicht, aber leichter, weil es den anderen gab.

Die schräg stehende Sonne, die ersten Ausläufer des Frühlings, nehmen die Luft zum Atmen.
Ich habe mal geschrieben, dass es okay ist, dass in meinem Herzen eine Lücke ist. Und manchmal ist diese Lücke gefühlt mein ganzes Herz. Manchmal glaube ich, ich kämpfe so sehr für ein Leben „Danach“, für ein Leben ohne ihn, das trotzdem irgendwann glänzen kann, aber es gibt Momente in denen ich nicht überzeugt bin, dass es das eines Tages für mich geben wird. Es gibt Momente, in denen glaube ich, dass es eine Frage der Zeit ist, wie lange ich diesen Schmerz noch aushalten kann, bis ich mit ihm zusammen unter gehe. Manchmal glaube ich, ich schaffe es einfach nicht alleine und wenn man es mal realistisch betrachtet, bin ich immer noch alleine.

Ich vermisse. Die Teemomente. Die es manchmal gab.
Die Augenblicke, in denen mir Menschen eingeräumt haben, in diesen Momenten ich selbst zu sein.
Ich vermisse gesehen zu werden mit diesem Schmerz, ihn in die Mitte zwischen zwei Schultern stellen zu können und ihn dort ohne ein Wort reden zu müssen, für einen Moment stehen lassen zu können. Ich vermisse es mit dieser Zerbrechlichkeit irgendwo sicher zu sein.

„Es sind nie die schweren Momente, in denen das Fehlen groß wird. Sondern die kleinen, wundervollen Augenblicke, die man nicht mehr teilen kann.“
Diesen Satz, den ich so wunderschön und passend finde, hat mir der zweite Therapeut in der Klinik um die Ohren gehauen. Es hat ein paar Sekunden gedauert, bis ich damals, im ersten Gespräch mit ihm realisiert habe, dass er es ernst meint diese Sichtweise absolut nicht nachvollziehen zu können.
Aber es ist so. Es ist, als würde ich im Frühling das Sterben fühlen. Und so schön, wie ich es mir auch versuche zu machen mit den ersten Spaziergängen um die Burgmauer und Blümchen auf dem Tisch – das Fehlen bleibt.

Ich finde keine Worte mehr dafür. Die sich passend anfühlen. Die all das was an Gefühl da ist, adäquat wieder geben. Diese Zerrissenheit. Den Schmerz. Die Sehnsucht, damit nicht allein zu bleiben. Ich weiß, dass es zur Trauer dazu gehört. Aber ich weiß auch, dass ich nicht zu irgendwem hingehen kann, ihn bitten kann, mich in den Arm zu nehmen und mich zu halten, bis die Tränen fürs Erste leer sind.
Ich weiß, dass mir nicht mehr bleibt, als die langen Nächte, die eine unendliche Erschöpfung und ein tägliches Verfluchen des Weckers nach sich ziehen. Als die Musik in diesen Nächten, die die Erinnerungen unterfüttert. Als das Geschreibsel in der Hoffnung, dass es etwas hilft, die Worte mit der Welt zu teilen.

Was siehst Du jetzt? Ich hoffe, nicht die ewige Dunkelheit.

Eine unendlich müde Mondkind

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