Was mir in der Trauer hilft
In einem Gespräch. Über das, was mir geholfen hat. In der Klinik. In der Trauerarbeit. Plötzlich sprudelte es einfach so aus mir heraus. Und dann musste ich es festhalten.
„Ich weiß auch nicht, ob es richtig ist, aber ich glaube ich habe gelernt,
dass die Parallelität von Trauer und Leben möglich ist. Ich akzeptiere die
Lücke in meinem Herzen, ich akzeptiere diesen Schmerz verbunden mit
gleichzeitiger Nähe, der mich von Zeit zu Zeit überfällt. Ich hätte es mir nie
so gewünscht, aber dieses fehlende Teil in meinem Herz ist der Preis für das,
was wir hatten. Und das ist okay. Und ich möchte überhaupt nicht, dass es
anders ist. Es ist meine persönliche Entscheidung, dass die Vergangenheit in
meiner Gegenwart eine Rolle spielen darf – auch wenn [der zweite Therapeut in
der Klinik] das anders sieht - und vielleicht ist die Lektion die ich von ihm gelernt habe diejenige, dass ich mich bewusst entscheide seine Sichtweise nicht zu teilen - mit allen Konsequenzen. Ich bin nicht bereit, meinen Freund aus meinem
Leben zu streichen, nur weil er nicht mehr lebt. Vielleicht bin ich dazu
irgendwann bereit, von mir aus – nicht weil es für richtig befunden wird. Aber
nicht jetzt. Und das muss auch keine endgültige Entscheidung sein, ich darf das
in einem Jahr auch anders sehen und eher die Sichtweise [vom zweiten
Kliniktherapeuten] vertreten. Ich darf das jeden Tag neu entscheiden und muss
mir aber bewusst sein, dass ich
diejenige bin, die es entscheidet; das ändert viel. Und das heißt auch nicht,
dass ich mir keine Hilfe mehr in der Trauer suchen darf. Denn das
grundsätzliche Ereignis bleibt immer noch kacke. Trauern ist auch ein Pendeln
hat mir jemand in der Klinik gesagt und ich darf und werde auch noch oft daran
verzweifeln. Ich muss mir nur auch selbst eingestehen, dass das okay ist und
mich nicht jedes Mal dafür verurteilen, dass es doch so nicht sein dürfte oder
mich verurteilen lassen.“
Wir schweigen eine Weile. „Wobei ich manche Dinge schon loslassen
musste“, gebe ich zu bedenken. „Ich dachte immer ich möchte unbedingt die Menschen
behalten, die die Mondkind von vorher kannten, damit ich vielleicht irgendwann
wieder so werden kann, wie ich war. Das Ding ist nur: Ich werde nicht mehr, wie
ich war. Und von dieser Erwartungshaltung musste ich mich lösen und die anderen
auch und wer das nicht konnte, den musste ich gehen lassen. Was auch schwer
war. Und ist. Und was ich immer gesagt habe, was ich brauche, was die wenigsten
Menschen nachvollziehen konnten und können: Menschen die einfach nur zuhören.
Das hat keinen Sinn, die Trauer mit Trost zu ersticken. Mit Relativierungen,
vermeintlich gut gemeinten Ratschlägen, Vergleichen oder Geschichten darüber,
wem es gerade noch schlechter geht. Und da war [der erste Kliniktherapeut]
einfach spitze drin. Am Anfang fand ich das ganz schlimm, dass ich bei ihm so
viel geweint habe und er mich einfach gelassen und eine Packung Taschentücher
hingestellt hat, wenn ich mich nicht beruhigen konnte und mein Körper gebebt
hat. Das ist mir auch noch nie so passiert, außer bei ihm. Ich fand das
Zeitverschwendung, ich hatte Angst, dass er mich verurteilt, dass er mich ganz
schnell aufgeben wird, dass die mich rausschmeißen, weil sie mich nicht für
therapiefähig halten, oder whatever. Und dann hat er so ganz fein dosiert seine
Kommentare eingeschmissen, die echt auf den Punkt waren und die – obwohl es
manchmal nur ein Satz war – viel gelenkt haben. Bei ihm hatte ich wirklich das
Gefühl, gehört und gesehen zu werden. Ich habe jetzt subjektiv das Gefühl, dass
ich die Geschichte nicht mehr alleine tragen muss, obwohl ich das objektiv betrachtet
auch vorher nicht musste. Sie hängt – subjektiv gesehen - auf zwei Schultern,
zwischen ihm und mir und es wäre aktuell eine Katastrophe ihn zu verlieren. Das
hat mir geholfen. Glaube ich. Das war das, was ich immer wollte und von dem ich
gespürt habe, dass ich genau das brauche. Und irgendwann brauche ich den
Therapeuten sicher auch nicht mehr.“
Die ersten Frühlingsausläufer im Park... 🌱 |
Am Nachmittag gehe ich nochmal zu den whatsApp – Konversationen, die
mein Freund und ich haben. Nebst ein paar Fotos eben das Einzige, das ich von
ihm habe. Mir fällt auf, dass das Bild vor dem Namen mittlerweile gelöscht ist.
Macht das System das irgendwann? Das Handy soll keiner mehr angefasst haben
seitdem, laut seiner Mutter. Vielleicht ist jetzt hier und heute der richtige
Zeitpunkt. Ich lade die ganze Konversation nochmal auf einer Plattform hoch, dieses Programm das aus den whatsApp – Verläufen ein Buch macht.
Eigentlich wollte ich das ja alles nochmal durchlesen und die Rechtschreib –
Fehler raus machen, aber das schaffe ich einfach nicht. Dann bleibt es eben
so. Und vielleicht wäre eine
Verfälschung – und wenn auch nur für den Lesefluss – auch unauthentisch.
Nochmal quer lesen. Und hören. „Ich hab ein bisschen Verspätung heute…
soorrryyy…“ Das muss bei einem Treffen gewesen sein. Und kurz später er als
Sprachnachricht: „Korrekt [Mondkind]. Die haben wohl Personalmangel bei der
Bahn; da können wir uns doch bewerben.“ In einem Tonfall, den ich nur von ihm
kenne. Einfache Organisationen von Treffen in der Studienstadt, was damals eher
ein whatsApp – Verlauf als Mittel zum Zweck war und heute so unendlich wertvoll
ist. „Die Bahn kommt erst in 15 Minuten, ich schick Dir ein Beweisfoto, keine
Ahnung, was da los ist.“ Und dann ein Foto der orangen Schrift auf schwarzem
Hintergrund. Dazwischen immer mal ein „Ich liebe Dich“ – habe ich das je so
richtig wahrgenommen? (Ich wünschte, ich wäre damals so weit gewesen wie heute.
Hätte das nicht als so verboten betrachtet. Und geglaubt, dass alle anderen das
auch tun. So nach dem Motto: Muss erstmal ihr Studium auf die Reihe kriegen,
ehe sie mit Beziehung anfängt…)
Ich finde es so erstaunlich, dass das zwar nicht alles von meinem
Leben war, vielleicht sogar das Wenigste, aber es scheint, als wäre es
zumindest in diesen Zeiten eine andere Mondkind gewesen. Manchmal, selten, habe
ich die Szenen vor meinem geistigen Auge und diese Naivität die ich damals
hatte, tut heute fast weh.
Mit ihm war es komisch. Anders. Ich habe meistens Angst in zwischenmenschlichen Beziehungen. Dass ich mich irgendwie doof verhalte, dass jeder mitbekommt, dass ich sozial absolut inkompetent bin, oder so etwas. Bei ihm war das nicht so. Nie. Das war vom ersten Augenblick an so, als hätten wir uns quasi schon unser ganzes Leben gekannt. Da war eine Vertrautheit, wie ich sie nirgendwo anders je erlebt habe.
Und während ich geistig irgendwo in der Studienstadt abhänge, solange
weine bis ich davon Kopfschmerzen kriege und nebenbei die Seiten durchklicke,
wird es draußen dunkel. Irgendwann gehe ich dann mal duschen, bleibe danach in
meinem Bademantel noch eine Weile auf dem Boden sitzen, zünde seine Kerze neben
mir an und irgendwann geht es.
Es ist wirklich anders, nach der Klinik. Nicht mehr so dauerpräsent.
Weg von der Metaebene. Mehr zum Gefühl. Aber wenn es dann da ist, dann ist es
heftig. Und auch gleichzeitig irgendwie schön. Nochmal diese Nähe zu spüren.
Diese Mondkind von damals nochmal zu spüren. Das bisschen Leben, das ich damals
hatte.
Mondkind
P.S: Morgen ist mal ein Blogpost über die erste Woche ITS geplant; ich hoffe, ich schaffe das...
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