Von Erinnerungen, Intensiv - Erfolgen und Dankbarkeit
Derselbe Ort.
Dieselbe Bank
Zwei Jahre später.
Es war das letzte vernünftige Telefonat mit meinem Freund, an das ich
mich erinnern kann. Als ich damals dort lag in den ersten warmen Frühlingstagen und ihm ein Foto davon geschickt habe in der Hoffnung, dass ich ihm meine Welt in der ich gerade bin, ein bisschen besser zeigen kann.
Es müssen die letzten Tage Unbeschwertheit gewesen sein. Bis es mit
ihm rückwärts und bergab ging. Wochen. Monate.
Und irgendwie hatte ich nicht ein Mal einen Zweifel, dass wir das
hinkriegen. Bis zum Ende. Bis seine Mutter mich informiert hat.
Ich wünschte ich manchmal, ich könnte die Mondkind von Damals an die Hand nehmen, sie kurz in das Leben von heute entführen, nur fünf Minuten dort sein lassen und ihr dann einfach nur sagen „Tu was“, ehe ich sie zurück schicke.
Zwei Jahre Danach.
Heute. Frühbesprechung. Ich rassele die Patienten von Samstag runter.
Ich bin immer noch so müde, dass mir manchmal die Worte nicht einfallen und die
Oberärztin mir auf die Sprünge hilft. Daran erkennt man eine übermüdete
Mondkind – Wortfindungsstörungen… „Und da
die Dienstärztin von Samstagnacht krank war, habe ich die Samstagnacht auch
noch gemacht“, erkläre ich und erzähle weiter von der Samstagnacht, ehe der
Kollege vom Sonntag weiter redet. Ein „Danke Mondkind“ wäre ja schon irgendwie
nett gewesen. Aber jeder tut so, als wäre das jetzt das Selbstverständlichste
der Welt gewesen.
Auf der Intensivstation gibt es heute viel zu tun. Ich schaffe mit
zittrigen Händen meinen ersten Wechsel einer Trachealkanüle ohne, dass
irgendwer eingreifen muss. Wenig später lege ich meine erste Arterie in
Seldinger – Technik und diesmal treffe ich beim ersten Versuch die Arterie.
Kleine Schritte in ein - hoffentlich - irgendwann unabhängiges Intensivleben. Aber der Weg ist noch weit.
Nach der Arbeit gehe ich noch um die Burgmauer. Bleibe eine Weile auf
dieser Bank liegen. Spüre mein Herz, den Frühling und das Leben in mir während
ich mich frage, was ich getan hätte, wenn ich gewusst hätte, was passieren
würde.
Und ich spüre Dankbarkeit. Ich habe gestern Abend noch ein Ohr
bekommen. Als ich schon im Schlafanzug und quasi auf dem Weg ins Bett war. Ich
habe das selten erlebt, so viel reden zu können, ohne verurteilt zu werden. Es
ist so schön die Worte wählen zu dürfen ohne dabei darüber nachdenken zu
müssen, dem Gegenüber gleichzeitig die Angriffsfläche weg zu nehmen. Es ist
wärmend mal ehrliche Anteilnahme und passende Rückfragen zu erhalten. Es fühlt
sich an, als würde eine Mondkind nach so langer Zeit ganz vorsichtig und ein
bisschen zitternd ihre Hand ausstrecken, immer noch nicht ganz im Vertrauen,
dass das richtig ist. Und doch spüre ich, dass das Gegenüber sie genauso
vorsichtig nimmt und festhält ohne mir die Möglichkeit zu nehmen, mich wieder
zurück zu ziehen.
Es berührt mich so sehr, dass Tränen mal da sein dürfen, dass die
Zerbrechlichkeit und Zerbrochenheit nicht als Schwäche, sondern als angemessen
und fast ein bisschen wertvoll betrachtet wird. Es ist so befreiend, einem
anderen Menschen gegenüber mal wieder ich selbst sein zu können.
Fassadenmondkind mal kurz beseitige legen zu können.
Und irgendwie wird es ein bisschen leichter in all der Schwere, wenn
ich darüber nachdenke, dass ich eigentlich genug gespürt haben sollte um vertrauen
zu können, mit diesem Thema jetzt nicht mehr alleine zu bleiben. Und wenn ich
das so zwischendurch mal glauben kann, dann wird es ein bisschen friedlicher.
Ich kann nur oft noch nicht wirklich vertrauen, dass es jetzt so ist.
Nach so langer Zeit. Und dass ich diese Jahrestage jetzt nicht mehr alleine
machen muss. Obwohl mein Gegenüber das kaum mehr beweisen könnte. Aber nach all
der Zeit und allem was war, ist Vertrauen nicht mehr eine meiner Stärken.
Am Mittwoch gibt es das nächste Ohr. Nach dem nächsten Dienst. Von
morgen auf übermorgen. Der schwierig wird mit der personellen Konstellation. Und
weil so viel Personal fehlt, soll ich noch zwei Stunden länger in der ZNA
bleiben. Eigentlich hatte ich vor, am Mittwoch nach dem Dienst ins Autohaus zu fahren, aber jetzt... ? Und Donnerstag ist Chefarztvisite, da muss ich wieder fit sein. Ich fürchte, am Wochenende wird auch die Frage auf mich zukommen, ob ich den Dienst der kranken Kollegin nehme. Also ausruhen, wo immer es geht.
Mondkind
Kommentare
Kommentar veröffentlichen