Von einem Doppeldienst

Wie war das noch mit dem: Ich hoffe, es gibt keine Katastrophen im Dienst?

Eigentlich war mein Plan, es zum Samstagmorgen etwas ruhiger angehen zu lassen. Scheinbar war das aber nicht der Plan meiner Patienten. Bereits als ich um 10 Uhr den Kopf zur Tür herein gesteckt habe, haben drei Patienten auf mich gewartet.
Eine halbe Stunde später hatte ich ein buntes Potpourri aus peripheren Schwindel, frischem Schlaganfall und Rückenschmerzen.
Was in den letzten Tagen auch immer kritischer wird, ist der Kampf um die Betten. Die Internisten wissen nicht mehr, wohin sie ihre Corona – Patienten noch legen sollen und mir zerreißt es immer wieder das Herz, wenn ich meine ehemaligen internistischen Kollegen, von denen ich viele noch aus dem PJ kenne am Telefon habe und ihnen die Vorgaben unseres Chefs durchgeben muss.

Ehrlich gesagt – ich weiß schon gar nicht mehr, wie viele Patienten genau mit welchen Krankheitsbildern ich gestern gesehen habe. Gegen 16 Uhr wurde es sehr stressig, als ich innerhalb von fünf Minuten mit vier Patienten geflutet wurde. Eine 15 – Jährige mit Kopfschmerzen – allerdings sind wir keine Kinderklinik; das dürfen wir überhaupt nicht behandeln. Da galt es also – solange der Rettungsdienst noch da war – organisatorische Probleme zu lösen. Allerdings nehmen auch kaum noch Kinderkliniken Patienten, sodass das ein schwieriges Unterfangen war, wenn man sich am Besten fünfteilen könnte. Zeitgleich stand nämlich der Rettungsdienst mit einem - leider nur polnisch sprechenden - Patienten in der Triage. Er war gestern erst aus einem Krankenhaus auf der anderen Seite des Landes entlassen worden mit einer Schlaganfalldiagnose; vor rund einer Woche war er dort mit einer Gangunsicherheit, verwaschener Sprache und Doppelbildern eingeliefert worden. Jetzt war der Notarzt ganz aufgeregt, weil sein Mundwinkel hing. In meiner orientierenden Untersuchung habe ich aber festgestellt, dass er auch das Auge nicht ganz schließen konnte, außerdem hat er immer wieder auf sein Ohr gezeigt, was ich mal als „Ohrenschmerzen“ verstanden habe. „Das ist peripher“, war meine erste laut geäußerte Vermutung, wofür die Blicke des Notarztes mich wahrscheinlich – wenn sie gekonnt hätten – sofort auf den Mond geschossen hätten. Aber ich war mir auch nicht sicher. Also doch – eigentlich war ich mir schon sicher - aber wie wahrscheinlich ist das, dass man zuerst einen Schlaganfall und dann eine periphere Fazialisparese entwickelt? Ich habe ihn im Verlauf des Tages bestimmt sieben Mal untersucht, aber es blieb dabei. Daneben gab es noch einen Schockraum – ein Patient der sein Dach decken wollte war von eben diesem gestürzt. Am Ende stellten sich multiple intrakranielle Blutungen und Frakturen von Wirbelkörpern heraus. Dafür ging es ihm eigentlich erstaunlich gut und ich habe ihn zu mir auf die Stroke Unit genommen und bin den Abend über in enger Rücksprache mit den Neurochirurgen geblieben.

Die Station hat mich auch ein bisschen terrorisiert. Gerade haben wir eine recht junge Dame, die unter nicht ganz klaren Umständen zu uns gekommen ist und seitdem wechselnde Symptomatiken angibt, die immer innerhalb einer halben Stunde wieder rückläufig sind. Wir haben sie schon lysiert, das können wir jetzt ohnehin nicht mehr machen, aber das ist trotzdem weniger entspannend. Dann gibt es noch ein paar demente Omis, die gern mal die Station auseinander nehmen. Und einen jungen Mann mit einer akuten Psychose, der bei uns einmal organisch abgeklärt werden soll und dann zurück in die Psychiatrie soll. Da ich damit bis jetzt wenig Erfahrung habe, ist das auch eine Herausforderung, wenn der Patient sich selbst gerade akut in seinen Wahn stresst.

Bis 22 Uhr hatte ich exakt nichts dokumentiert und war sehr froh über meine heran nahende Ablösung. Innerlich war ich schon etwas genervt, weil die potentielle Bezugsperson und ich ja Sonntag Autohäuser abfahren wollten und ich eigentlich vor 2 Uhr nachts aus dem Krankenhaus gehen wollte, um noch eine Mütze Schlaf zu bekommen.
Pünktlich um 10 Uhr am Abend ist die Notaufnahme aufgeräumt und ich warte sehnsüchtig auf die Kollegin. Die kommt auch recht pünktlich. „Du Mondkind, ich habe ein Problem“, kommt sie gleich zum Punkt. „Ich habe gerade einen Corona – Schnelltest gemacht und er ist positiv.“ Sie schiebt direkt einen PCR – Test hinterher – in der ZNA bekommen wir die Ergebnisse mittlerweile innerhalb von 15 Minuten - und auch der ist positiv.
Es ist absolut nicht möglich zum Samstag um 22 Uhr einen Dienstersatz zu bekommen. Also ist nach Beratschlagung mit dem Oberarzt die einzige Möglichkeit, dass ich da bleibe. Irgendwie glaube ich noch, dass ich das schon hinkriege und ich mich am nächsten Tag trotzdem mit der potentiellen Bezugsperson treffen kann. Da kommt er ein Mal nach Monaten auf die Idee, dass wir nach Autos schauen können und danach noch ein bisschen Gartenarbeit machen können – das muss man nutzen. Das hilft der Laune bestimmt ein bisschen auf die Sprünge. Dieser Hauch von Familienleben, der dort immer in der Luft liegt. 

 


Allerdings renne ich die ganze Nacht weiter. Ich muss alles fertig dokumentieren, die Station hält mich auf Trab und die Notaufnahme ist für Patienten natürlich auch nachts da. Und leider wird es am Morgen auch nicht stiller. Der Notarzt bringt einen coronapositiven Patienten aus dem Pflegeheim, der dort gekrampft haben soll. Im Verlauf stellt sich heraus, dass der Patient dort reanimiert wurde. Das ist ja wohl mal ein dezenter Unterschied; allerdings finde ich das erst heraus, nachdem wir das Notfall – CT gemacht haben. Zum Glück ist er nicht im CT nochmal stehen geblieben.
Ein anderer Patient hat mich auch noch drei oder vier Stunden beschäftigt mit einem organischen Psychosyndrom aufgrund dessen er sehr aggressiv war und Diagnostik kaum machbar war.

Es ist schon nach 13 Uhr, als ich auf dem Weg nach Hause bin. Die potentielle Bezugsperson und ich beschließen, dass ich mich besser ein wenig hinlege. Und als ich – gerade als die Sonne unter geht – wieder aufwache – habe ich das Gefühl, mein Hirn explodiert.
Und ich mache mir Gedanken. Dieser Job verlangt so unglaublich viel. An erster Stelle stehen immer die Patienten. Und dann kommt ganz lange nichts. Ich habe mit so vielen Menschen geredet dieses Wochenende, bin über die Flure gefegt und ich merke, dass ich die Notaufnahme immer noch mag und die Menschen dort, die mir auch immer noch sagen, dass man mich vermisst hat. Aber ich – ich hätte auch ein Ohr gebraucht. Dringend.
Und ob das mit dem Auto noch etwas wird? Es wäre sicher nicht das Erste – und ist auch ganz sicher nicht das letzte Projekt – das aufgrund von Zeitmangel und Unterstützung, die ich dabei brauche scheitert. Ich glaube die potentielle Bezugsperson ist jetzt bis fast Mitte April nicht da. Und wenn er nicht im Krankenhaus ist, haben wir keinen Kontakt. Aber bis dahin kann ich jetzt nicht warten. Mal schauen, wie es weiter geht.

Morgen ist es zwei Jahre her, dass mein Freund und ich das letzte ruhige, unbeschwerte Telefonat hatten, bevor es dann wochen- und monatelang rückwärts und bergab ging. Ich lag damals hinter der Stadtmauer auf der Bank und wir haben geredet. Nichtsahnend. Wenn ich Zeit habe morgen nach der Arbeit – vielleicht gehe ich vorbei. Für allzu viele Firenzchen ist morgen auch keine Zeit. Dienstag habe ich schon wieder Dienst.

Durchhalten. Weiter gehen. Fuß vor Fuß.
Wie waren meine Worte in der Klinik mal irgendwann? Selbst wenn man sich mal über die Dinge ärgert, aber man ist wenigstens sicher mit diesem Hirn und man wird von Zeit zu Zeit gehört, hat die Möglichkeit sich Ohren zu leihen.
Das geht jetzt alles nicht mehr. Jetzt muss ich wieder stark für meine Patienten und deren Angehörigen sein.
Und vielleicht hatte ich genau davor Angst. Dass diese Balance nicht mehr stimmt. Angst vor diesem ewigen Funktionieren, das einfach nur anstrengend ist. Wie ich morgen arbeiten soll - ich weiß es noch nicht. Ich habe gefragt, ob ich frei bekommen kann, weil ich ja auch Dienstag schon wieder Dienst habe und immerhin knapp 27 Stunden im Krankenhaus war. Aber bei der aktuellen Personalsituation: Nein.

Mondkind

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