Von einer Testfahrt und einem Wiedersehen

Ich kann mich sehr genau erinnern.
Anfang Februar.
Ein recht kalter Tag.
Eine Mitpatientin hat sich netterweise bereit erklärt, mich von der Klinik zurück nach Hause zu fahren. Das Gepäck vermehrt sich ja tendenziell bei Klinikaufenthalten und mit drei Taschen zurück – das wäre mit den öffentlichen Verkehrsmitteln schon eine kaum zu bewältigende Herausforderung geworden.

Also saß ich neben ihr zusammen gesunken auf dem Beifahrersitz. Es ging mir gar nicht gut. Wenige Tage zuvor hatte man mir gesagt, dass ich auf die Intensivstation rotieren werde, die Idee mich noch zwei Wochen krank schreiben zu lassen, war von Anfang an nicht so richtig realisierbar. Irgendwer würde mich im Dorf schon wieder sehen – am Ende hat das genau bis zum nächsten Tag gedauert, bis ich dem Chef in die Arme gelaufen bin.

Ja, es gab einen vagen Plan, wie das alles werden soll. Aber nie, niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass irgendetwas davon funktionieren kann.

Knapp drei Monate später.
Ich starte mein Auto vor der Haustür und lenke es aus der Parklücke. Zuerst fahre ich zur Tankstelle und nachdem ich mir gestern noch ein Video angeschaut hatte, wie man tankt, klappt das so semi. Der Tankhebel springt sehr früh raus und ich bin mir nicht sicher, ob der Tank voll ist. Ist er nicht. Nicht mal halbvoll, aber ich werde auf dem Rückweg noch nachtanken.
Dann geht es erstmal in Richtung Krankenhaus. Da ich bisher noch nicht die Einstellung gefunden habe, dass das Navi auch mit mir spricht, biege ich erstmal eine Ausfahrt zu früh links ab, muss eine Ehrenrunde durchs nächste Dorf drehen und beim zweiten Mal an der richtigen Stelle abbiegen.
Der Schotterparkplatz ist nur für Mitarbeiter – aber wie weise ich mich jetzt als Mitarbeiterin aus… ? Ich schaue durch die Frontscheiben anderer Autos, aber da liegen auch keine Ausweise. Ich muss mich mal schlau machen. Und – wenn es sein muss – schnellstmöglich einen Mitarbeiterausweis beantragen; den habe ich nämlich noch nicht.

Danach fahre ich – wie das dann geplant sein wird – vom Krankenhaus direkt weiter in einen der Nachbarorte. Naja… - Nachbarort ist es auch nicht ganz (für den Blog der Einfachheit halber jetzt aber doch), die vom Navi angegebenen 28 Minuten Fahrzeit verfehle ich etwas, aber ich fahre auch vorsichtig. Das Navi scheucht mich einen Weg, den ich auch mit meiner Schwester nie gefahren bin, ich muss ein Stück Autobahn fahren, aber auch das klappt gut. Demnächst wird da allerdings eine Straße auf dem Weg gesperrt, von daher wird es doch nicht ganz der Weg sein, den ich fahren werde.
Irgendwann biege ich auf die Straße ein, auf der Herr Therapeut sitzt und sehe auch das Parkhaus, das er mal angesprochen hatte. Ich entscheide mich nicht dort zu parken, sondern zum Flugplatz zu fahren und von dort aus nochmal durch die Stadt zu gehen – das hatte ich ohnehin vor.

Am Ende habe ich alles gefunden – auch wenn sein Name an dem Haus überhaupt nicht dran steht – aber Straßenname und Hausnummer stimmen – das muss passen.
Und dann drehe ich noch eine Runde durch den Park. Das letzte Mal als ich hier war, war noch Winter. Morgens  vor den Therapien bin ich hier oft entlang spaziert, wenn die Energie gereicht hat. Damals waren die Bäume noch kahl – mittlerweile legt sich entweder ein zartes Grün über die Baumkronen, oder sie blühen. Auf einer Bank mache ich eine kleine Pause. 

So schön... - ein bisschen Sonne wäre fein gewesen für das Debüt, aber so war es auch okay

Und diese Mulde wird für immer ein Insider sein. Kennt Ihr das - wenn Ihr ganz viel Frieden, Wärme und Geborgenheit im Herzen spürt? Das hatte ich an diesem Ort mitten in der Nacht umgeben von Menschen und mit zwei Kerzen in unserer Mitte. Das war magisch...

 

Und dann, dann kommt ein üblicher Gedanke. Stell Dir mal vor, ich hätte dort auf der Bank vor drei Monaten gesessen und dann hätte sich die Mondkind von heute dazu gesetzt. Und dann würde sie sagen: „Mondkind, ich verspreche Dir, es wird alles gut und noch viel besser, als Du denkst. Es werden ein paar sehr anstrengende Wochen, aber Du wirst ein tolles Auto haben (okay, manchmal vermisse ich das Schalten schon…) und das bedeutet Mobilität und irgendwie tatsächlich auch ein bisschen Freiheit und Sicherheit. Du wirst einen Therapeuten haben – das wird funktionieren. Und – vielleicht könnte mir das die Mondkind von in sechs Monaten sagen – wirst Du sogar wieder einen Menschen an Deiner Seite haben, den Du sehr doll magst. Und nein, das wird nicht einfach, es wird super hart einen Fuß nach dem anderen zurück in Richtung Leben zu setzen. Weil Du so einen Hunger nach Leben verspürst und es sich gleichzeitig immer noch wie Verrat anfühlt. Aber sei tapfer und mutig. Einen Schritt nach dem anderen. Und Du gehst den Weg nicht mehr alleine. Da geht jemand ganz nah neben Dir.“

Wir haben in der Klinik gelernt, dass wir uns selbst dankbar sein sollen.
Und heute bin ich mir selbst sehr dankbar. Und ich bin sehr stolz auf mich.
Natürlich liegt es gerade in den zwischenmenschlichen Punkten nicht nur an mir, dass das so gut läuft, aber ich habe auch viel selbst organisieren müssen, durchhalten müssen. Und das habe ich geschafft.

Und jetzt kann bitte gaaannnzzz schnell Donnerstag werden – ich hoffe zumindest, dass das klappt, ich habe noch keine endgültige Rückmeldung.
Aber leider liegt dazwischen noch ein Dienst und fast eine ganze Woche Intensivstation – vielleicht hätte ich mich doch für Dienstag entscheiden sollen.
Hoffen wir, dass das was mich heute trägt, mich auch morgen durch den Dienst trägt. Im letzten Dienst habe ich aber tatsächlich mal alles richtig gemacht. Selbst die Dame, die mit Schwindel und Erbrechen dann vorsichtshalber auf die Stroke Unit aufgenommen wurde, bei der ich eher einen peripheren Schwindel postuliert habe, hatte keinen Infarkt im MRT. Da habe ich noch einen kleinen Freudentanz im Arztzimmer am Freitag gemacht, dass mir nicht schon wieder etwas durchgerutscht ist.

Ich kann dem Frieden nach allem was war, so schwer trauen.
Aber vielleicht – vielleicht wird es ganz am Ende doch noch okay. Und vielleicht hat sich das ganze Drama am Ende doch noch irgendwie gelohnt.

Liebe Grüße von einer sehr, sehr glücklichen Mondkind

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