Zwei Jobs in einem Tag

Visite auf der Intensivstation.
„So“, sagt der Oberarzt, holt tief Luft und legt dann los mit: „Wen muss ich jetzt schlagen?“
Ich spüre, wie ich zusammen zucke.
Es passt wieder etwas nicht. Und ich habe die Kurve geschrieben, der der Ärger geschuldet ist.
Ja, ich hätte es sehen können. Wenn ich mehr nachgedacht hätte. Habe ich aber nicht. Die Konzentration reicht nicht mehr. Nach langen Tagen und Diensten ohne Ende.

Man kann tun was man will auf dieser Station, es passt einfach nie. Die einzige Chance ist, sich tagsüber möglichst ungesehen durchzuschlängeln. Wer ungesehen ist, kann auch nicht verbal geschlagen werden.
Ich merke, wie ich mich kaum noch spüre. Das geht nicht auf dieser Station. Weil alles was bleiben würde, Angst wäre. Und das noch mehr Energie fressen würde, die ohnehin kaum noch reicht.

Nach der Visite leite ich schnell die wichtigsten Aufgaben in die Wege, ehe ich drei Stockwerke höher renne. Chefarztvisite auf der peripheren Station.

So war das ja gestern nicht verabredet. Es war nicht gesagt, dass ich den Job für zwei Menschen machen soll. Es war gesagt, ich soll auf der peripheren Station aushelfen. Was ich auch liebend gern tue.
Wobei die Patienten da heute auch anstrengend sind. Mein Patient mit der multiplen Sklerose will etwas über Stammzelltherapien bei MS wissen, wovon ich jetzt ehrlich gesagt auch keine Ahnung habe. Der Patient mit der Polyneuropathie möchte mir gern noch seine Lebensgeschichte erzählen und mein Versuch das zu begrenzen, scheitert etwas. Dann gibt es da noch den Privatpatienten, der leider kein Einzelzimmer bekommen konnte und der sich bei mir zunächst lange darüber aufregt, während der Chef im Hintergrund doch noch ein Einzelzimmer organisiert. Die Patientin aus der Psychosomatik von gestern braucht auch noch viel Zeit.

Ich bin nicht mal halbfertig, als ich wieder hinab auf die Intensivstation rasen und schauen muss, was passiert ist, während ich weg war. Ein Patient hat einen multiresistenten Keim; wir müssen ihn isolieren und die Antibiose umstellen. Beim selben Patient waren unter Heparin die Thrombozyten abgefallen, weshalb ich mich heute morgen für einen HIT – Schnelltest entschieden habe. Bei geringer Dosierung niedermolekularer Heparine ist die Diagnose mehr als unwahrscheinlich, aber der Test kommt positiv zurück, also muss ich die Blutverdünnung umstellen. Einer anderen Patientin wurde mittlerweile das Erythrozytenkonzentrat zum Glück von den Kollegen angehangen. Und beim nächsten Patienten klettern die Nierenwerte immer weiter. Ich bete, dass sie bis morgen wieder fallen, sonst muss ich ihm morgen einen Shaldon – Katheter legen und die Dialyse dran hängen – und ihr könnt euch Vorstellen wie viel Begeisterung das in mir auslöst. Aber nachdem die Werte seit Wochen steigen, ist eine Umkehr morgen mehr als unwahrscheinlich.

Zwei Kollegen stehen vor dem Dienstplan. „Und die Mondkind hat Spätdienst am Freitag.“ Ich habe es mit halben Ohr gehört. „Sicher nicht“, entgegne ich. „Doch“, sagt der Kollege. „Mondkind, es steht hier.“ Ich stehe auf und sehe auf den Plan. Da steht ein Spätdienst für mich am Freitag drin. Als ich vor wenigen Tagen noch auf den Plan geschaut habe, stand ich da noch nicht drin, aber eine Kollegin ist nicht da und wahrscheinlich hat man mich einfach rein geschrieben. Aber es wäre schon nett gewesen, das wenigstens mal zu sagen. „Das macht der Oberarzt immer mal Mondkind, da musst Du Dich dran gewöhnen.“
Ich sehe es schon kommen. Wenn es dann wieder Therapie ab Mai gibt, werde ich den Herrn Therapeuten ständig anrufen müssen, dass ich nicht kann, weil sich der Herr Oberarzt kurzfristig überlegt hat, dass ich Spätdienst machen soll. Es ist zum Kotzen auf dieser Station. Dass man auch ab und an neben der Arbeit etwas vorhaben könnte… - ist wohl nicht so gedacht. Am Freitag wäre tatsächlich AGUS – Treffen. Es ist das Zweite, das ich verpasse. Und wenigstens informieren hätte man mich ja können.
Und es ist der erste Spätdienst. So eine Einführung in den Spätdienst wäre auch nett gewesen. Aber so langsam… - es ist so unglaublich viel Resignation. Die potentielle Bezugsperson glaubt ja, dass es eine sehr gute Idee war, mich auf die Intensiv zu stecken. Ich befürchte aktuell, dass die Intensiv mir endgültig das Genick bricht.
Ich kann so nicht arbeiten. Es geht einfach nicht.

Nach der Nachmittagsvisite auf der Intensiv rase ich wieder hoch und mache meine Arbeit auf der peripheren Station fertig. Noch ein paar Visiten, eine Aufnahme, EEGs auswerten, viel Dokumentation, Untersuchungen anmelden.
Halb acht am Abend fallen mir fast die Augen zu. Ich beschließe zu gehen. Keine Ahnung, ob ich alles gemacht habe. Ich weiß es nicht. Normalerweise wird die Arbeit die ich aktuell mache, von zwei Menschen gemacht. 

Neuroequipment bis morgen ablegen...

 

Auf dem Heimweg spüre ich schon die Tränen in meinen Augen.
Ich kann nicht mehr. Es geht einfach nicht. Ich kann mich kaum noch konzentrieren.
Ich möchte sicher sein. Irgendwo.
Nach Hause kommen. Wo auch immer das ist.
Ich möchte das Gefühl haben, dass es sich irgendwo für lohnt.
Und es lohnt sich nicht. Ich kriege schon jeden Morgen die Krise, wenn der Wecker klingelt.Und mit der Konzentration wird es halt auch immer schlechter; ich merke es selbst.

Die Reserven reichen nicht.
Sie reichen nicht, wenn es keinen Ausgleich gibt.
Und den gibt es nicht.
Die Abende sind immer noch einsam.
Und die einzig gute Aktivität ist, endlich am Abend das Licht löschen zu können und sich kurz in die Erinnerungen flüchten zu können, als das Leben noch etwas unbeschwerter war. Der Song von Alexa Feser „Linie 7“ läuft im Moment jeden Abend bei mir und erinnert mich an die Treffen auf den Bahnhöfen. Und – der Gedanke kam mir auch letztens – mit dem Auto, das ich demnächst habe, werden diese Momente bald konserviert. Es wird keine Wiederholung davon geben. Auf Bahnhöfen zu stehen, wird ein Stück weit immer Vergangenheit sein. Jedenfalls wüsste ich jetzt keinen Grund mehr, warum ich mit dem Zug in die Studienstadt fahren sollte. Und wenn ich da doch mal wieder stehen sollte, aus welchen Gründen auch immer, wird es mich immer wie ein Katapult durch die Zeit ins Gestern schmeißen. Und in solchen Momenten kann ich dann immer nochmal fühlen, wie es war.

Manchmal weiß ich nicht, wie es weiter gehen soll.
Und manchmal befürchte ich, dass alles Kämpfen am Ende für umsonst sein wird.
Es gibt Situationen, die kann man nicht gewinnen.
Nicht alleine.
Zusammen vielleicht.
Aber nicht alleine.


Und auch wenn es manchmal die Momente von Licht gibt – und insbesondere dann, wenn man dann mal kurz die Realität ausblendet – aber am Ende bin ich einfach alleine. Irgendwann kürzlich kam mal die Frage auf, ob denn wirklich so wenig geblieben ist. Wann ich meine Eltern das letzte Mal gesehen habe. Lange her. Sehr lange her.
Fallen heißt fallen. Tief. Da gibt es kein Sicherheitsnetz mehr, das auffängt.

Morgen gibt es Chefarztvisite auf der Intensiv.
Und ansonsten ist die Neuro jeden Tag eine Wundertüte aktuell. Nur, dass die Wunder eher nicht so positiv sind. 

Kann dieser Wahnsinn nicht bitte einfach aufhören? Manchmal kann ich den Freund so gut verstehen. Nur haben wir damals eine gewisse Naivität gelebt. Heute trage ich ihn mit. Er lebt indirekt weiter, so lange ich lebe. Solange ich ihn durch mein Erzählen im Leben halten kann. Und deshalb muss ich bleiben, so lange es eben geht.

 

Mondkind

Kommentare

  1. Liebe Mondkind, ganz allein du bist in der Verantwortung, diesen Arbeitswahnsinn zu beenden, denn das Krankenhaus frisst dich nur allzu gerne auf, so unterwürfig und harmlos wie du das alles mitmachst. Schreibst du die Überstunden, die du bis 19:30 Uhr da anhäufst, auf? Hat schon mal euer Betriebsrat über euren wackligen Dienstplan geschaut? War euer Team Ende März in Frankfurt beim Warnstreik? Ich bin nicht das erste Mal fassungslos über die Arbeitsbedingungen eurer Neuro - aber staune immer wieder darüber, was du mit dir machen lässt. Wovor hast du Angst? Neurostellen gibt es wie Sand am Meer. Und der Ort in der Ferne, ob er dir gut tut mit diesen Konditionen, die sich aktuell auf der Intensivrotation verschärfen? Ich glaube es langsam nicht mehr. Pass du auf dich selbst auf. Sorge du zunächst für dich selbst. Bevor du dich um andere - Kollegen, Patienten - kümmerst.

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    1. Hey,
      Danke erstmal für die Rückmeldung.

      Puh ja, ich glaube zum großen Teil liegt das Festhalten an der derzeitigen Arbeitssituation einfach daran, dass es aktuell keinen Plan B gibt. In eine andere Neuro zu gehen wird nicht viel Sinn machen, die Arbeitsbedingungen sind überall ähnlich - zumindest hört man das von Leuten, die aus anderen Häusern zu uns wechseln in der Hoffnung, dass es hier besser ist. Im Moment hoffe ich, dass mein Psychiatrie- / Psychosomatik - Jahr mehr Klarheit bringt. Hätte man mich gefragt - was man natürlich nicht getan hat - hätte ich das vor der Intensiv gemacht, dann hätte ich mir nämlich die Intensiv im Zweifel sparen können. Wenn die Arbeitsbedingungen da besser sein sollten und mich das Fachgebiet genauso oder noch mehr interessiert, könnte ich mir vorstellen dann tatsächlich dort zu bleiben. Dann habe ich halt ein paar Jahre verloren auf dem Weg zum Facharzt, aber klinische Erfahrung schadet nie. Was nämlich alle immer vergessen - den Facharzt in fünf Jahren zu machen, heißt dann auch die Verantwortung eines Facharztes zu tragen. Ich habe es da gar nicht so eilig. Ich war eilig genug im Leben unterwegs.

      Aber klar - bis die Intensivzeit durch ist, dauert es noch eine Weile; dann weiß ich auch nicht, wie schnell die mich da wieder runter lassen und wie schnell die Rotation geht. Das muss ja auch mit der Partnerklinik - welche auch immer das sein wird; ich habe mich noch nicht entschieden zwischen Psychiatrie oder Psychosomatik - abgestimmt werden. Und erstmal muss ich die Intensivzeit berufstechnisch irgendwie überleben, bevor der Rest kommt.

      Ich weiß nicht. Ich überlege ja noch mit denen zu reden, mich wieder von der Intensiv zu nehmen, aber das würde natürlich auch kein gutes Licht auf mich werfen. Die Rotation jetzt direkt nach dem Klinikaufenthalt war meiner Meinung nach völlig unnötig.

      Ansonsten... - naja. Ich helfe ja schon gerne, wo ich kann. Von mir aus arbeite ich auch auf zwei Stationen gleichzeitig. Aber ich sollte mutmaßlich auch in Betracht ziehen, dass ich aktuell nicht so viel leisten kann, wie früher. Das stimmt schon...

      Mondkind

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