Vom Tag nach Ostern
Es ist ein Tanz.
Irgendwo an den Klippen.
Wie diese Gestalt da ihre Pirouetten dreht.
Barfuß.
So fragil. Und gleichzeitig so so
selbstverständlich, als gäbe es das Fallen neben ihr nicht.
Weil sie nicht mehr alleine fällt.
Weil sie immer wen mitnimmt.
Der nicht mehr hier ist. Den sie unsichtbar auf
ihren Schultern trägt.
***
Montag. Ostermontag
Ich liege auf den Sofa, meine Wolldecke über mir.
Wir haben mehr geschwiegen, als geredet. Eine Stunde
schon.
Irgendwann gewinnen unsere Köpfe. Sinnvoll wäre es
zu warten, stellen wir fest.
Weil das aktuell alles so unsicher ist.
Sinnvoll bedeutet erstmal kein Feuerwerk im Herzen
mehr. Aber auch keine massive Überforderungssituation kurz vor dem Geburtstag
und dem Todestag des Freundes mehr.
Sinnvoll bedeutet wahrscheinlich den nächsten Sommer
alleine. Aber sinnvoll bedeutet auch weiterhin, dass es niemanden stört, wenn
die Tage nach einem zu langen Arbeitstag nur noch aus Duschen, Schreibseln, Tee
trinken und Bett bestehen. Und ganz viel Sehnsucht. Dass das irgendwann nochmal
anders wird, bevor es zu Ende ist.
***
Dienstag.
Das war also Ostern? Ostern 2022 versinkt dann wohl.
Mal wieder. Irgendwo.
Feiertage und Festlichkeiten sind das Erste, was man
im Medizinsektor abschaffen könnte, befinde ich in der Früh. Erholt ist man
nach zwei Diensten über Ostern sowieso nicht und selbst wenn man es wäre, wäre
die Erholung nach spätestens zwei Stunden dahin.
Ich darf auf der Kurzliegerstation bleiben. Gewinn.
Weil die Intensiv Dauerangst bedeutet und das noch schlimmer ist. Aber das
Telefon bimmelt. Im 2 – Minutentakt. Ungelogen. Denn natürlich hat über die
Feiertage nur Einer auf den Nächsten geschoben. Und das bedeutet: 20 neue
Patienten auf meiner Station, Niemand ist für Untersuchungen aufgeklärt und der
Oberarzt will um 10 Uhr eine Visite machen und möchte wissen, was die Patienten
haben.
Dass das nicht aufgeht, kann sich wohl jeder selbst
denken.
Heute fehlt die Bratpfanne. Insbesondere für die
Pflege. Die gnadenlos dokumentiert: „Die Stationsärztin wurde informiert.“ Und –
soll ich mich 10 – teilen?
Am Ende funktioniert alles irgendwie. Nur meine
Nerven – die gehen baden.
Das Auto. Manchmal wünschte ich, ich hätte das nie
gemacht.
Ich weiß schon, warum ich alles vermeide, was noch
mehr Energie frisst. Seit zwei Wochen telefoniere ich fast täglich zwischen
Versicherung und Autohändler. Erst wollte die Versicherungsfrau unbedingt den
KFZ – Brief und meinte, damit können wir die Versicherung machen. Also habe ich
den organisiert. Heute meinte sie, sie braucht auch noch den KFZ – Schein. Aber
den gibt es – habe ich vom Autohändler gelernt – erst wenn das Auto auf mich
umgemeldet ist. Und das hat er nächsten Dienstag vor. Da ich von Dienstag auf
Mittwoch 24 – Stunden – Dienst habe und danach das Auto hole, gibt es also
keine Möglichkeit mehr, ein versichertes Auto abzuholen. Denn ohne die
Unterschrift, ist es mit irgendeiner merkwürdigen Nummer die ich bekommen habe,
nur haftpflichtversichert. Aber nicht Kaskoversichert. Ich weiß nicht mehr, wie
ich das lösen soll. Der Autohänder macht es nicht eher und die Frau macht die
Versicherung nicht und am Ende interessiert es auch Niemanden – geht ja nur um
mich und nicht um die.
Am Ende werde ich wahrscheinlich beten, dass in
völliger geistiger Umnachtung nach mehr als 24 Stunden auf den Beinen auf dem
Heimweg nichts passiert.
Und dann ist es in der ersten Maiwoche immer noch
nicht vorbei.
Ich will, dass das endlich vorbei ist. Ich kann
nicht mehr.
Heimweg.
Es kommt jedes Jahr der Moment, an dem sich
plötzlich ein hellgrüner Saum über die Baumkronen legt.
Das ist jetzt.
Schub von Frühling. Seit ein paar Tagen schon.
Es wird schon der dritte Sommer, der anders ist.
2020 war er schon tot, als der Sommer anfing. Es gab kein Cafe – Date am Fluss
mehr in diesem Jahr.
Der dritte Sommer, in der alles was bleibt die
Erinnerung an uns und an mich selbst ist. An ein Stück Unbeschwertheit, wie wir
da in der Altstadt auf den Treppen saßen, den Schiffen zugeschaut haben,
Schulter an Schulter, den Blick auf das Wasser. Die Wärme im Herzen, der tiefe
Frieden und ein Gefühl von: Die Momente sind so klein und so kurz, aber dafür
lohnt es sich. Genau dafür. Um hier mit dem Menschen zu sitzen, der mein Leben
ist.
Frühling. Die Welt steht auf.
Und in mir fühlt es sich immer noch nach Sterben an.
Was macht es für einen Sinn, wenn es die Momente von Glück nicht mehr geben
kann? Was bleibt ist die Verantwortung. Ich bin eine der wenigen
Erinnerungsträgerinnen. Ich muss bleiben. Ich muss reden, weil er es nicht mehr
kann. Aber ich ertrage die Einsamkeit kaum noch. Es interessiert Niemanden mehr
wirklich, was eine Mondkind hier macht. Und ich… - ich interessiere mich auch
nicht mehr wirklich.
Am Donnerstag vor so vielen Jahren. Standen wir uns
das erste Mal gegenüber. Haben das erste Mal die Hände des jeweils anderen
genommen und uns in die Augen gesehen. Haben die Handynummern getauscht. Und
wie gerne würde ich noch ein einziges Mal in die Mondkind von damals schlüpfen.
Nachspüren. Und ermahnen. Noch besser aufzupassen.
Und manchmal frage ich mich: Waren wir das wirklich?
War das mal ein Zipfel meines Lebens? Nach allem was war?
Freitag hat er Geburtstag. Bis dahin braucht es noch
einen Geburtstagsbrief.
Für so starke Ausführungen wie in der Klinik habe
ich keine Zeit mehr.
Aber ich hoffe, ich finde trotzdem noch ein paar
liebe Worte in meinem Herzen.
Mondkind
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