Von Versicherungen und Dienstplänen
Montagmorgen.
Zurück auf der Intensiv.
Zurück zwischen dauerbimmelnden Monitoren.
Der zweite Oberarzt der Station ist allerdings im Urlaub – das hatte ich nicht gewusst. Also ist alles tatsächlich minimal entspannter.
Mit dem Auto wird es allerdings nicht entspannter.
Was treibt die Mondkind wieder, kaum dass die Woche begonnen hat?
Richtig – zwischen der Versicherungsfrau und dem Autohändler telefonieren.
„Also ich habe das Auto jetzt zugelassen, ich kann Ihnen den KFZ –
Schein schonmal schicken“, erklärt der Autohändler. Und dann: „Naja aber das
mit der Versicherung verstehe ich auch nicht. Die hätte Ihnen doch eine EBV –
Nummer mit vorläufiger Deckung mit Vollkasko rauslassen können.“ „Hat Sie aber
nicht – ich verstehe auch nicht warum“, entgegne ich. „Mein Problem – das interessiert
halt irgendwie Niemanden - ist, dass ich am Mittwoch de facto ein nicht komplett
versichertes Auto abhole. Und natürlich soll auf den wenigen Kilometern Heimweg
nichts passieren, aber Garantien gibt es eben nicht. Und dann wird es nicht
mehr bewegt, bis es versichert ist; das ist schon klar.“ „Versuchen Sie nochmal
zu telefonieren“, meint der Autohändler. „Ach so, und ich habe die Werbung an
dem Auto dran gelassen; ich denke das ist in Ihrem Sinne…“ Ähm… - Nein. Also am
Nummernschild ist es ja okay, aber doch bitte nicht über das komplette Auto…
Naja und nochmal telefonieren hat auch nichts genützt. Sie stellt sich
einfach komplett quer.
Kann sich eigentlich noch wer dran erinnern, als Mondkind auf die Idee gekommen ist, alleine eine Küche kaufen zu gehen? Das funktioniert einfach nicht, wenn man da als ahnungsloses Mädel daher kommt, das von nix einen Plan hat und auch nicht besonders diskussionsfreudig ist.
Die Versicherungsfrau möchte jetzt am Mittwoch nachdem ich das Auto geholt habe zu mir kommen für den Vertrag… - na wenn das mal keine Absicht ist… (naja… - in der Wohnung hängt noch die Herbstdeko, auf dem Wintergarten stehen noch die vertrockneten Tomatenpflanzen aus dem letzten Sommer und Lampenschirme gibt es halt auch nicht an die Decke, aber wer hat behauptet, ich hätte mein Leben im Griff…? Allerdings soll ich sie ja nicht heiraten, wir werden eh keine Freunde mehr…).
Ach so und ein Blick in die Dienstpläne hat verraten: Warum soll man
die Mondkind fragen, wann sie Kapazitäten hätte, Spätdienste zu machen? Und
warum soll man sich die Mühe machen, mal einen Blick in den Dienstplan der
Akutneuro zu werfen und vielleicht nicht unbedingt einen Spätdienst eintragen,
wenn Mondkind am nächsten Tag 24 – Stunden – Dienst hat? Dann ist die Nacht
nämlich – allein organisatorisch – zu kurz. Mit der Möglichkeit maximal 6
Stunden im Bett zu verbringen vor einem 24 – Stunden – Dienst… - schwierig. Ich
frage mich schon manchmal wann der Dienst kommt, in dem ich einfach zusammen
klappe. Dummerweise fällt meinem Körper immer erst nach dem Dienst ein, dass
das Adrenalin irgendwie leer ist.
Und wie ich zwischen all den Spätdiensten – natürlich bekommt man auch
die meisten Spätdienste ab, wenn man auf einer anderen Station herum hängt, so neu
ist, dass man nicht weiß, dass es da keine Versammlung drüber gibt und außerdem
keine Zeit hatte, sich damit von der anderen Station aus zu beschäftigen, obwohl die halt sowieso vom Oberarzt verteilt werden - noch
regelmäßig Therapietermine unter kriegen soll, weiß ich nicht; das geht nicht
im Mai. Vielleicht sollen wir das wieder so machen wie früher. Dass wir einfach
einen Tag auswählen und der – zumindest für die Kollegen – immer fest so
bleibt. Da werden weder Spätdienste, noch 24 – Stunden – Dienste eingeplant. Es
muss ja kein Termin um die Mittagszeit sein wie bei der alten Therapeutin, das
war natürlich immer blöd, aber so dass klar ist, dass die Mondkind an dem Tag
16:30 Uhr nach Hause geht. Pünktlich. Und immer. Sonst wird das die nächsten
Monate ein einziges Geschiebe werden und hat mit Beständigkeit hinsichtlich der
Therapie nicht viel zu tun. Und ich sehe das nicht mehr ein. Es kursiert häufig
die Meinung im Haus ich hätte mir das ausgesucht, es sei ein persönliches
Mondkind - Privileg und ich könnte das ja auch einfach alles lassen. Dann wäre
allen geholfen. Ich hätte weniger Stress und die Kollegen auch. Aber ich habe
es mir nicht ausgesucht. Man tendiert dazu gewisse Annehmlichkeiten haben zu
wollen, ohne den Preis dafür in Kauf zu nehmen. Aber ich kann jetzt schlecht
laut sagen: „Naja, ich brauche die Zeit halt, weil mein Freund sich das Leben
genommen hat. Von mir aus kannst Du die Tage, in denen ich quasi aus dem
Dienstplan gestrichen bin, gern von mir haben. Aber dann tauscht Du bitte
meinen verstorbenen Partner gegen Deinen lebenden Partner.“ Und manchmal würde
ich das so gerne sagen, weil mich das so unglaublich wütend macht. Und weniger
Dienste macht man dadurch ja auch nicht.
Es ist zum Kotzen mit dieser Neuro.
Ich hoffe, dass ich wenigstens die Maiwoche Urlaub bekomme. Ich kann einfach in dieser Woche, in der das alles zwei Jahre werden, nicht arbeiten gehen. Ich merke schon jetzt, dass es zunehmend schwerer wird. Das Nervenkostüm zunehmend dünner wird und das Theater mit Auto und Co eigentlich gerade viel zu viel ist. Und das wird ja nicht mehr besser werden bis Ende Mai. Ich kann nur versuchen durchzuhalten. Ich weiß schon, warum ich das zwei Jahre vor mir her geschoben habe. Die nächsten beiden Tage werden die Hölle und vermutlich werde ich mich bis Ende der Woche nicht mehr richtig erholen, bis ich Sonntag schon wieder Dienst habe.
Aber wie sagte eine Kollegin heute: „Mondkind Du rettest Patienten mit
Lungenarterienembolien. Da wirst Du das doch hinkriegen.“ Ich hoffe, sie hat
Recht.
Und wenn ich mich Mittwochabend mit einem Bild vom Schlüssel melde,
hat alles irgendwie funktioniert. Zumindest das. Das ist erstmal das
Wichtigste.
Habe ich schon gesagt, dass der Freund der Kollegin, der mich Mittwoch
zum Autohaus fährt heißt, wie mein verstorbener Freund? Ich habe mir schon so
oft gedacht die Tage: Warum zum Henker bist Du nicht da? Ich brauche Dich jetzt
echt mal. Das war nie der Plan, dass Mondkind die ganze Scheiße hier immer
alleine machen muss. Zum Einen wolltest Du das Auto mitbringen und zum Anderen:
Wir wollten uns gemeinsam um diese Wohnung kümmern. Und siehst Du – es sieht
immer noch aus, wie kurz nach dem Umzug. Und ja, das sind die kleineren
Probleme – aber ich kann sie einfach nicht lösen und es nervt mich langsam. (Und
ja das ist gemein, weil er ja nicht hauptsächlich in meinem Leben war, um den
Orga – Kram mit zu lösen, aber Vieles ist zu Zweit echt einfacher. Aber dann bekomme ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich so etwas denke und dann werde ich noch wütender und... puh. Ich bin selten wütend und kann mit so etwas einfach gar nicht umgehen.)
Und wo immer ich diesen Namen höre, bebt mein Herz. Ich glaube, das
wird bis ans Ende meiner Zeit so bleiben. Wir haben auch einen Pfleger auf der
Intensiv, der so heißt. Er ist eigentlich echt nett, aber ich kann nicht mit
ihm arbeiten.
Das von der Rechtsmedizin angegebene Sterbedatum ist in einem
Monat. Ich würde diesen Monat gerne überspringen. Ich weiß, dass es in mir erst
ruhiger werden wird, wenn ich sicher bestätigt weiß: Ab dem Tag hätte ich
nichts mehr tun können. Aktuell fängt mein Hirn an schon jeden Tag
durchzuspulen: Was war heute vor zwei Jahren? Wo hätten wir die Weichen anders
stellen müssen? Was hätte ich tun können, damit er heute noch lebt? Auch, wenn
uns das vielleicht getrennt hätte, wenn ich ihm die Polizei vorbei geschickt
hätte, aber zumindest wüsste ich, dass er irgendwo lebt und atmet. Es mag die
Frage sein, ob das der Sinn des Lebens ist einfach nur zu existieren und zu
atmen. Aber es würde mich davon befreien Schuld daran zu haben, dass er das
heute nicht mehr tut. Und manchmal – wenn ich sehr müde und gestresst bin – bin
ich manchmal auch einfach sehr egoistisch (und dann fühle ich mich noch mehr
schuldig). Ich weiß nicht, wie ich ewig mit dem Gedanken leben soll, indirekt
für den Tod eines Menschen verantwortlich zu sein, den ich so sehr geliebt
habe.
So, ich hoffe jetzt haben nicht alle meine Leser schlechte Laune. Ich
reagiere mich jetzt ein bisschen ab und versuche früh schlafen zu gehen. Es nützt ja nichts. Ein Fuß vor den anderen. Und dann wird es auch wieder hell. Drückt mir die Daumen, dass der Dienst keine komplette Kastastrophe wird... vor diesem Mittwoch.
Mondkind
Bidlquelle: Piaxbay
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