Nach einem Spätdienst

„Mondkind…?“
Abend. Ich bin auf dem Weg zum Wäscheautomaten und dankbar, den Spätdienst irgendwie über die Bühne bekommen zu haben.
„Ich dachte, Du hast Spätdienst…“
„Hab ich auch. Durfte ein bisschen eher gehen.“
„Du siehst aus, als hättest Du drei Tage weder gegessen noch geschlafen.“
„Kommt der Sache schon ziemlich nah.“
„Komm mal mit, wir gehen raus.“
Und dann sitzen wir vor der Klinik an der Wand.
„Du willst gar nicht drüber reden, oder? Du hast schon meine whatsApp nicht beantwortet.“
„Eigentlich nicht. Aber es war wirklich nicht schlimm. Also für mich ist es schlimm. Aber grundsätzlich ist nichts Schlimmes passiert.“
Und nach einer Pause.
„Keine Ahnung, ich habe echt gedacht, das wird etwas. Es war so schön die letzten Wochen mal nicht nur die Schwere im Herzen zu spüren. Mal wieder eine Verbindung zu mir selbst und ins Leben zu spüren. Und ein gewisses Vertrauen darin, dass man vielleicht doch irgendwann mal ankommt, wenn man lange genug durchhält. Und irgendwie mal wieder einem Menschen zu begegnen, dem man wichtig ist. Da war so ein Grundvertrauen, dass das hier der Wendepunkt wird. Nach so langer Zeit.  Grundvertrauen in irgendetwas ist immer schlecht. Damit habe ich mich doch schonmal voll auf die Nase gelegt. Ich war wirklich zu wenig vorbereitet.“
„Es tut mir echt leid Mondkind. Wenn einer es verdient hätte, dass es endlich aufwärts geht, dann Du.“
„Ich fühle mich so eingesperrt in mir selbst. So, als könnte ich jetzt gar niemandem mehr irgendetwas sagen. Ich hab’s halt echt ziemlich vergeigt. Und was soll ich denn bitte dem Freund in seinem nächsten Brief schreiben? Es ist schon ein Wunder, dass wir das fünf Jahre hinbekommen haben. Manchmal kann ich es mir kaum noch vorstellen, wie das war, ihn an meiner Seite zu haben. Stell Dir mal vor, Du kannst einfach das Telefon nehmen und einen Menschen anrufen, den Du fast mehr liebst, als Dich selbst. Naja… - Du kannst das machen.“
„Ich kann mir schon vorstellen, dass das für Dich sehr schwer ist nachdem, was passiert ist. Da hängen wahrscheinlich nochmal ganz andere Gedanken dahinter.“
Und nach einer Pause.
„Ist das Ding wirklich durch?“
„So gut wie. Vielleicht bin ich auch zu pessimistisch. Ich würde mir wünschen, das wäre so, aber ich glaub’s nicht. Ich weiß nicht mal, ob wir uns nochmal sehen. Oder ob jeder am Telefon einfach nochmal seinen Standpunkt erläutert – wenn überhaupt - und dann war es das. War schon krass ihn das letzte Mal in den Arm zu nehmen und zu wissen, dass man das wohl nicht mehr erlebt. Ich habe mich gefragt, wann der Freund und ich sich das letzte Mal im Arm gelegen haben. Und nicht geglaubt haben, dass es das letzte Mal sein würde. Diesmal wusste ich es wenigstens. Und jetzt vermisse ich sie beide total. Und das Leben, das ich mal hatte. Das ist zum Kotzen. Und diesen Punkt, dass das eine emotionale Vollkatastrophe werden kann – ich glaube den habe ich einfach nicht gesehen. Oder geglaubt, dass ich das schon hinkriege.“
Ich spüre die Tränen in meinen Augen und versuche, sie zu unterdrücken. "Sorry..." Und nach einigen Minuten.
„Wir sollen nach Hause gehen, oder?“
„Schlaf ne Runde. Und iss was.“
„Wenn’s so einfach wäre. Da kommt viel hoch. Viel neuer Schmerz. Und viel alter Schmerz. Aber ich werd schon wieder aufstehen. Irgendwann. Das habe ich immer irgendwann getan. Ich brauch nur ne Weile – wie üblich. Nur wie ich morgen den Dienst machen soll – das weiß ich nicht. Wenn der nicht halbwegs ruhig wird, wird das wahrscheinlich einer der schlimmeren Dienste. Ich bin einfach geistig überhaupt nicht hier. Ich hoffe ich mache nichts Dummes. Ist ein bisschen schwierig mit dem Hintergrund, da soll ich mir keine groben Fehltritte leisten.“ 

Sorry, ich habe echt überhaupt keine Bilder gerade....

 

Kann bitte schnell Donnerstag werden… ? Oder am Besten gleich Samstag. Freitag ist noch Chefarztvisite.
Ich hätte nicht erwartet, dass ich mir nochmal so schnell so sehr das Herz brechen kann. In der Intensität habe ich das definitiv nicht erwartet. Und das ist ja nicht mal das Ende. Ein bisschen Resthoffnung gibt es ja noch. Wobei das ja alles an mir hängt.

 

Mondkind

Kommentare

  1. Ich hatte nach deinen letzten Posts gedacht, dass sich da etwas Positives entwickelt hätte zwischen dir und der anderen Person. Was ist passiert?

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  2. Hey,
    naja, das ist ein bisschen kompliziert und gehört ganz sicher nicht auf einen öffentlichen Blog, wobei es immer mal wieder Teile davon geben wird – ich muss das auch alles irgendwo verarbeiten.
    Es sind ein paar Probleme aufgetaucht, von denen ich nicht dachte, dass sie so schnell hoch kommen, so schwerwiegend sind und so schnell gelöst werden müssen. Ich versuche echt alles zu geben, was ich kann, in Rekordgeschwindigkeit alles zu verarbeiten und zu integrieren, was hier passiert – was auch einfach emotional nicht so einfach ist, nach allem was war.
    Aber ich will mir noch nicht vorstellen, was passiert, wenn es wirklich alles nicht klappt. Wenn die ersten Schritte zurück in ein normales Leben auf voller Linie scheitern. Wenn ich so viel riskiert und alles verloren habe. Es ist beeindruckend, wie sehr die Ängste des Alltags in den Hintergrund treten, wenn plötzlich mal wieder die Angst um ein „wir“ dazu kommt. Wenn man sich beginnt zu fragen, ob man zu kaputt gegangen ist an dem, was gewesen ist. Wenn es die Geschichte von Damals nochmal aufrollt, weil wir an denselben Dingen scheitern.
    Es ist verrückt was hier passiert, es gibt eigentlich viel zu besprechen mit irgendwem – und es ist nicht so, dass es keine Menschen zum Reden gäbe, ich vertraue nur gerade keinem Ohr mit der Fragilität in mir umgehen zu können. Ich spüre mein Herz. Das das alles noch nicht aufgeben will, das trotzdem noch wie verrückt schlägt, wenn ich an das denke, was ich glaubte, das zwischen uns ist, was die Zeiten, in denen wir uns nicht sehen, am liebsten sehr kurz halten würde, das schon Sehnsucht verspürt, wenn ich noch bei ihm bin. Und gleichzeitig die Realität sieht, seine Worte im Ohr hat, dass er „sehr skeptisch“ ist, was uns betrifft, wahnsinnige Angst hat. Und ich es am liebsten schon mal ein bisschen schützen würde, damit es nicht zerbricht. Aber das wird es. Dafür sind wir viel zu weit gegangen. Für ihn war das erst der Anfang – für mich war das mehr, als ich je hatte. Und es war ein Zipfel Leben. Farbe im Grau. Und ein bisschen habe ich auch mich selbst mal wieder gespürt. Ein bisschen Leichtigkeit, Verrücktheit, Spontanität. Ein bisschen Ichsein.

    Mondkind

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