Nebenstraße

Ein paar Wochen zuvor.
Ein fragender Blick.
Ein tiefer Atemzug.
Und dann reiße ich das Lenkrad herum.
Weg von dieser Straße, die ich zu gut kenne. Auf die Nebenstraße.
Schauen, was passiert.

*** 



Donnerstagabend.
Kurvige Landstraßen. Im Halbdunkel.
Alexa Feser laut. Trainsome sessions. Im Hintergrund hört man Züge bremsen, im Vordergrund eine Abhandlung über die Wunder des Lebens. Meine Augen so nass, dass die Rücklichter meines Vordermans vor meinen Augen verschwimmen.
Das alte Leben trifft das neue Leben.

Nebenstraße.
Hat niemand gesagt, dass das einfach wird.
Wie sieht das Leben aus, das man nach zwei Jahren wieder findet? Und werde ich es halten können, ehe ich darunter zerbreche? Es ist fragil. Sehr fragil.

Donnerstagabend irgendwann vor den Trainsome sessions im Auto.
Weiße Wände. Zwei braune Sessel je in der Ecke des Raumes. Ein dunkelbrauner, niedriger Holztisch dazwischen mit der obligatorischen Taschentuchverpackung. Eine Palme in der Ecke die so ausschaut, als würde sie noch nicht so lange dort stehen. Sie hat noch Platz zum Wachsen. Und an einer Wand, versteckt hinter einem dritten Sessel eine Heizung. Die Mondkind passt immer auf, wo es Heizungen gibt.

Lang nicht mehr erlebt, dass mit der Outdoor - Jacke der Mantel des Alltags – Ich von meinen Schultern fällt.
Lang nicht mehr so entspannt gewesen, wenn das Innere der Seele den Weg in den Raum gefunden hat. Obwohl so viel passiert ist, dass alles was ich gern geteilt hätte, nicht mal in zwei Stunden passt. Aber das Wichtigste ist gesagt, reflektiert, gespiegelt. Lang nicht mehr erlebt, dass sich während dieser zwei Stunden eine eigenartige Ruhe über mich legt. Eine Verbindung zu mir selbst mit Worten aus dem Herzen und einem Lachen zwischendurch, das echt ist.

Und ein Wir im irgendwo dazwischen. Wir tanzen umeinander.
Es gibt viel zu gewinnen. Und mindestens genauso viel zu verlieren.
Zwischendurch kommen wir zu der Frage, ob ich das diffuse Zwischenmenschliche überhaupt aushalte. „Eigentlich war das alles eher als theoretische Überlegung, denn als praktisches Experiment gedacht“, sage ich dazu. Und, dass es hier um mehr als um zwei Menschen geht. Es geht um Grundsätze. Um die Frage, ob mich das was ich erlebt habe, für immer alleine sein lassen wird. Was irgendwo meinen Sinn wieder in Frage stellen würde. Denn für mich haben zwischenmenschliche Bindungen etwas mit Lebensqualität zu tun. Obwohl ich so lange alleine war, bin ich kein Mensch, der gern alleine ist.

Und doch zählt im Hintergrund etwas die Tage rückwärts.
Bis zur Wiederholung dieser Katastrophe. 9 Tage. Und ich hoffe, ich werde an diesem Tag irgendwo sicher sein.
Erwachsen zu werden hieße auch zu lernen, sich schuldig zu machen. So, oder so ähnlich war die Formulierung. Ich habe oft das Gefühl, mein Leben besteht aus dem permanenten Versuch, Fehler zu vermeiden. Und dennoch – so wachsam, wie man auch oft ist, gerade im Berufsleben, hört die Wachsamkeit auch irgendwann mal auf. Und gerade in so einem Moment bin ich offensichtlich in die größte Katastrophe meines Lebens gerutscht.
Aber wenn wir schon lernen müssen, dass wir uns schuldig machen werden – können wir dann nicht auch ein bisschen mutiger sein? Schief gehen werden die Dinge schon von ganz allein. Und manchmal  können wir - vielleicht genauso unvorbereitet – dazwischen etwas gewinnen.

Ich spüre, die Träume verschieben sich.
Vielleicht muss ich demnächst nicht mehr in der Studienstadt am Fluss sitzen, um etwas wie Frieden zu spüren, ein Anlehnen an Dinge, die bekannt waren, so lange das Leben waren. Vielleicht kann ich mich bald hier an etwas wie Leben anlehnen. Vielleicht ist das, was früher der Fluss war dann ein Spaziergang durchs Moor oder ums Radom.
Vielleicht kann ich das Leben hierher holen. Anders als gedacht, mit vielen Tränen und vielen Schuldgefühlen. Aber vielleicht können die weniger werden. Immer wieder in stillen Heizungsmomenten und einem Anlehnen aneinander gipfeln. Aber dazwischen – dazwischen kann es vielleicht glänzen.

Vielleicht kann ich irgendwann mit der Studienstadt mein altes Leben besuchen. Sagen, dass ich gern dort bin, der Mondkind und dem Leben von früher gern Hallo sage, mich gern an die Zeiten mit dem Freund erinnere, dem Menschen, der mich überhaupt erst ins Leben geschubst hat. Aber ich kann auch wieder Winken und Gehen und wissen, dass ich zwischen meinen Welten reisen kann und in beiden Welten ein Leben habe, das sich mal gelohnt hat und dass sich heute umso mehr lohnt. 

Liebe Mondkind, wer hätte damals, als sich Eure Blicke das erste Mal getroffen haben gedacht, was knapp fünf Monate später ist? Manche Begegnungen sind ein kleines, großes Wunder.

Mondkind

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