Über einen Ausflug
Doch es wär doch auch traurig, wenn man nicht nur
gewinnt
Sondern auch vieles wieder verliert
Und ganz besonders wenn ich daran denke, dass du mir
Am Ende so sehr fehlen wirst
(Johannes Oerding - Benjamin Button)
Minus 9 Tage. Bitte lass die Zeit stehen. Bitte.
Noch halte ich es aus. Noch.
Ich habe Angst. Vor dem Fallen. Hatte ich lange
nicht mehr. Weil ich so lange gefühlt überhaupt nicht mehr fallen konnte. Kann
ich jetzt wieder.
Ich habe Angst davor, vor meinem Gegenüber zu sitzen
und zu sagen: „Ich weiß nicht, wie und ob ich das aushalte.“ Das wäre gerade
ungünstig. Das möchte ich uns ersparen.
Ich halte mich fest an allen guten Momenten die ich
finden kann und hoffe, dass das Licht die Schatten zurück drängt. Und doch bin
ich in keiner förderlichen Position. Wenn die Zahl jeden Tag eine weniger wird.
Bis zur Wiederholung dieser Katastrophe.
Weil das Auto in den letzten Tagen einige Probleme gemacht hat und der Verdacht war, dass es an der Batterie liegt, bin ich heute ins Umland zu einem nahe gelegenen Berg gefahren.
Ein Ort, der auch Momente in sich trägt.
Hier oben haben der Freund und ich nie gemeinsam
gestanden. Ich wollte ihm diesen Ort zeigen, wenn er zu mir zieht und das Auto
mitbringt. Denn neben dem Radom gibt es hier auch einen Segelflugplatz und man
kann den ganzen Tag Segelfliegern zuschauen. Da schlägt ein Mondkindherz immer
noch höher, auch wenn ich den Traum vom Fliegen vorerst begraben musste.
Es war genau hier, dass ich – ich weiß auch welche
es war – auf einer Bank saß und plötzlich ganz fest an den Freund denken
musste, wenige Tage nachdem er verschwunden war. „Ich hoffe, wir haben jetzt
mit diesem Berg auf den wir geklettert sind, nicht ein ganz kleines bisschen
der Distanz zwischen uns überwunden“, habe ich mir gedacht.
Im Nachhinein war es der Tag, der laut offiziellen
Dokumenten als sein Todestag festgelegt wurde. Seitdem ist dieser Ort irgendwie
auch mit ihm verbwunden.
Ich glaube selten an irgendwelche übernatürlichen
Dinge. Aber manchmal… - passieren vielleicht doch Dinge, die man nicht erklären
kann.
Das letzte Mal, als ich hier war, war Winter. Kurz
vor Weihnachten. Meine Schwester war da, ich war schon beinahe den ganzen Monat
mit Resturlaub und Überstundenabbau zu Hause gewesen und hatte mich aber
trotzdem nicht berappelt. Es war wenige Tage vor der Klinik und ich wollte
meiner Schwester wenigstens ein paar schöne Momente ermöglichen. Ich war
körperlich zu schwach, um von ganz unten, vom See nach oben zu laufen. Also
haben wir am Segelflughafen geparkt und sind nur ein Mal um das Radom gelaufen.
Und schon das war eigentlich über die Kapazitätsgrenzen hinaus.
Heute finde ich erschreckend, wie schlecht es mir
damals ging. Und die Klinik habe ich nicht unbedingt als das rettende Ufer
betrachtet. Die Familie wusste nichts davon und dass sie es spätestens
Weihnachten raus finden würden, war mir klar. Und wenn ich nochmal auf ein Team
treffen würde, dass über diese Geschichte
einfach drüber bügelt – ich weiß nicht, ob ich das verkraftet hätte. Man
konnte – obwohl es kaum noch etwas zu verlieren gab – immer noch etwas kaputt
machen.
Heute laufe ich noch eine kleine Runde durch den
Wald, als es plötzlich zuzieht. Das Telefon klingelt. Ich schaffe es nicht
schnell genug, es aus dem Rucksack zu kramen und rufe zurück. Diesen Menschen,
den ich jetzt in der Leitung habe, den habe ich noch gar nicht gekannt, bei der
letzten Tour entlang dieser Pfade.
Wir reden. Irgendwann auch über uns. Und wie es
weiter gehen soll. „Das heißt also, die Entscheidung hängt an mir“,
schlussfolgere ich irgendwann. „Ja“, sagt er. Na Danke. Und doch bin ich
berührt, wie er sich auch Gedanken um meine Grenzen macht. Wie viel
Konfrontation noch okay ist. Und wo es aufhört.
Und dennoch weiß ich, ich muss mich dem Thema
irgendwann stellen. Nur der Mai – der ist dafür natürlich nicht der ideale
Monat. Aber grundsätzlich: Ich hätte mir mehr Verständnis für meine Situation
und ein sichereres Umfeld nicht wünschen können.
Und ich ertappe mich dennoch bei dem Gedanken, dass
es irgendwie schön gewesen wäre, wenn ich nicht alleine auf diesen Wegen
gewesen wäre, sondern er physisch neben mir gewesen wäre. Aber es war schon
allein am Telefon gut und ich war zwischendurch so abgelenkt, dass ich mich
verlaufen habe… - aber nicht lange. Und doch, im Hintergrund ist sie, die
Frage: Wäre das okay hier mit einem anderen Menschen, als mit dem Freund
entlang zu laufen? Und macht ein Festhalten an dieser Schuldfrage nicht auch
viel kaputt, das doch in der Zukunft auch schön werden könnte?
Im Verlauf des Telefonats fängt es an zu schütten. Ich bin selten so nass geworden (um das Handy zu schützen, gibt es dann auch keine Fotos mehr, obwohl das Wasser den Berg gerade zu hinunter strömt und das sicher von der trockenen Ferne gute Bilder geworden wären).
Und während ich da so zum Auto laufe denke ich mir:
Ich merke, wie sich meine Einstellung ein bisschen ändert. Blöde Dinge die
passieren, sind nicht mehr die Katastrophe die sie mal waren, solange sie
behebbar sind. Es gibt aktuell genug gute Momente, die auch blöde Momente mal
aufwiegen können.
Und dennoch: Ich wünschte, Du hättest das auch so
sehen können. Auch wenn mir bewusst ist, dass ich das auch lange nicht konnte
und die Situation aktuell auch gerade alles andere als stabil ist. Aber ich
wünschte, Du und ich – wir hätten sehen können, was das Leben für ein Wunder
sein kann. Dass Pfade irgendwann immer – so beschissen wie sie auch sein mögen –
wieder ans Licht führen und wenn es allein nur dadurch passiert, dass man
zumindest punktuell ein bisschen an seiner Einstellung schraubt. Ich wünschte,
wir hätten sehen können, was für ein Wunder es war, dass wir uns kennen gelernt
haben, dass es auf Gegenseitigkeit beruht hat, dass da wenige strukturelle und
zwischenmenschliche Probleme zwischen uns standen, die die Sache ultra –
kompliziert gemacht hätten. Ich wünschte, ich wäre damals der Mensch gewesen,
der ich heute bin. Dein Tod hat mich verändert. Ich nehme nichts mehr als
selbstverständlich hin. Denn es ist nichts selbstverständlich. Alles was gut
ist, hätte auch genauso gut anders und schlecht verlaufen können. Und auch die
Arbeit auf der Intensivstation verdeutlicht das nochmal.
Und das heißt nicht, dass man jetzt alles gut finden
muss, was so passiert. Dinge, die ein schweres Schicksal waren, werden das
immer bleiben: Aber es heißt: Augen auf. Momente bewusst wahrnehmen. Davon
leben, wenn’s mal wieder doof ist. Und – ich hoffe, dass mir diese Eigenschaft
erhalten bleibt: Ans Leben glauben.
Jetzt geht es erstmal weiter mit zwei Tagen Spätdienst und dann wechsle ich genau an meinem Geburtstag wieder in den Frühdienst. Mit der kurzen Nacht werde ich recht müde sein. Aber… - so ist es. Gute Momente richten sich nicht nach dem Wochenplan.
Mondkind
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