Reisetagebuch #5 Von einer Heimreise und Angst

Das war eine Heimreise, ich sag’s Euch.
Wäre das der Hinweg gewesen, hätte ich mutmaßlich irgendwo kapituliert.
Es waren super viele LKWs auf der Autobahn, was bei zweispurigen Autobahnen sehr anstrengend ist, weil man gefühlt nur zwischen dem linken und dem rechten Fahrstreifen hin und her hüpft, wenn man nicht mit 90 km/h nach Hause fahren möchte. Dann gab es auf der einen Autobahn hundert Kilometer am Stück keine Tankstelle – wahrscheinlich sollte ich mir das nächste Mal vorher überlegen, wo ich tanke und wenn man die Strecke öfter fährt, weiß man ja auch irgendwann wo Autohöfe und Tankstellen sind, aber ich weiß es eben (noch) nicht und habe ein gewisses Unwohlsein verspürt. Und dann ist dieser Tankschalter irgendwie nicht rechtzeitig raus gesprungen und ich habe eine kleine Bezindusche bekommen. Dann gab es noch den ein oder anderen Stau. Und so 80 Kilometer bevor ich zu Hause war, habe ich schon überlegt, dass ich als erstes das Auto loben werde, dass es mich so lieb gefahren hat – es war wirklich anstrengend für uns beide glaube ich. Meine Schwester macht das auch immer so.
Aber da habe ich die Rechnung leider ohne das Auto gemacht – denn plötzlich ging mit einem lauten Piepton eine Warnleuchte an. Auf dem nächsten Parkplatz habe ich dann herausgefunden, dass es etwas mit dem Reifendruck zu tun hat, aber in der Anleitung stand auch, dass man mit einem platten Reifen nicht weiter fahren soll. Ich bin ums Auto herum geschlichen – es gab keinen platten Reifen zu beklagen. Da ich aber gar nicht wusste, was ich jetzt auf der Autobahn machen soll – wenn das Auto wirklich schlau ist und es akut ein Problem gibt und ich aufgrund dessen in der Leitplanke lande, wäre das nicht so gut – habe ich den Autohändler angerufen. Die haben gesagt, wenn der Reifen gut aussieht, kann ich erstmal vorsichtig weiter fahren und morgen soll ich vorbei kommen und dann schauen die, was los ist. Irgendetwas haben sie davon gesagt, dass man vielleicht irgendwelche Sensoren umstellen muss nach dem Reifenwechsel – die haben ja kürzlich noch die Sommerreifen drauf gemacht.
Ich meine… - den Reifendruck könnte ich schon auch selbst morgen kontrollieren, erstmal ging es mir ja nur darum zu wissen, ob ich noch weiter – zumindest bis zur nächsten Tankstelle fahren darf – oder nicht. Die Frau meinte dann aber, dass Reifendruck messen mit aufgehitzten Reifen sowieso keinen Sinn hat.
Ich hoffe die können es morgen schnell beheben und ich hoffe, ich stehe nicht voll blöd da. Und dann habe ich ja morgen auch noch den Termin bei meinem Therapeuten; das soll schon klappen.

Bestimmt lacht ihr schon alle über mich… ;)
Aber mit nicht mal drei Wochen Fahrpraxis nach über sieben Jahren Pause, hat mich das heute echt an den Rand gebracht.

 


Ansonsten… - geht es mir tatsächlich nicht so gut und ich bin – nicht nur aus zwischenmenschlichen, sondern auch aus therapeutischen Gesichtspunkten – sehr dankbar für den Termin morgen.
Ich habe mir mal wieder ein paar Sprachnachrichten zwischen dem Freund und mir angehört letzte Nacht. Man kann sagen, ich soll das nicht machen, aber manchmal brauche ich es einfach, um mich ihm nah zu fühlen. Dieses „ich verbanne einfach alles, was mich an ihn erinnert aus meinem Leben“, ist einfach gar nichts für mich. Manche machen das; ich weiß.
Und irgendwie waren die Nachrichten aus der Zeit, in der es ihm schon sehr schlecht ging und ich mir permanent Sorgen um ihn gemacht habe. Und diese Sorge – die hört man auch in meiner Stimme. Damals habe ich sie selbst nicht gehört, heute höre ich sie, mit Abstand.
Und plötzlich ist es, als wäre es gestern. Ich hatte zwar schon viele  Ängste in Leben gehabt, aber keine manifeste Panikattacke. Ich kann mich erinnern – die ersten Tage, in denen er sich nicht gemeldet hat, ich nicht offiziell wusste was wirklich los war, es aber geahnt habe – das war stündlich mehrmals so eine Angst, die mich überfallen hat, dass ich gedacht habe, beim nächsten Mal explodiert mein Herz, weil es so sehr rast und ich werde einfach sterben. Ich hätte die Wände hoch gehen können und habe manchmal auch wirklich dagegen geschlagen, ich habe so viel geweint. Das war vollkommen unkontrollierbar, alleine zu Hause sein war das Schlimmste, das ich mir antun konnte.
Und irgendwann haben mir allein die Zustände Angst gemacht.
Und irgendwie – ich weiß nicht, was heute Nacht war, habe ich wieder so eine starke Angst entwickelt, das wieder erleben zu müssen. So viel Hilflosigkeit, Kontrollverlust. Irgendeine Situation, die das wieder auslöst. In Diensten bin ich – wenn es richtig brennt – manchmal nicht so weit davon entfernt.

Es hat schon viel Grundvertrauen genommen, alles was damals passiert ist.

Ich habe einfach so unglaublich viel Angst vor diesen Wochen, die jetzt kommen. Heute vor zwei Jahren – kein Mensch weiß, ob er da noch gelebt hat, oder nicht. Ich glaube nicht, die Rechtsmedizin sagt ja. Es ist so schwer, das auszuhalten. Und wenn ich seine Stimme höre, dann kann ich es manchmal immer noch nicht glauben, dass er für immer weg ist.
Ich habe so sehr Angst vor den Entscheidungen über die Zukunft, die wir treffen werden. Und jede Entscheidung ist ein Beweis mehr, dass das alte Leben nicht zurückkommt. Nie mehr. Obwohl ich mir nichts mehr, als das wünschen würde. Aber so wie es jetzt ist – so ist es, mit wenigen Ausnahmen – einfach kein Leben mehr. Es muss sich etwas ändern, damit es gut werden kann. Auch, wenn das noch so viel Überspringen von Schatten wird.

Mir fehlt einfach so viel.
Und trotzdem versuche ich weiterhin das Gute zu sehen. Nur manchmal – manchmal ist das schwer. Aber wir sollen nicht aufgeben, oder? Das hätten wir ja auch schon vor zwei Jahren tun können und ich habe so viel seitdem schon überlebt, dass es sich jetzt nicht mehr lohnt.

Mondkind

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