Reisetagebuch #1 Ankommen und erste Eindrücke

Samstag, 14. Mai 2022

Fahrt in den Norden. Na das ist mal ein Abenteuer.
Ich weiß nicht, wie lange ich schon nicht mehr so eine weite Strecke mit dem Auto unterwegs war. Zwischendurch durchquere ich das Bundesland, in dem ich so lange gelebt habe. In dem der Freund und ich die meiste Zeit miteinander verbracht haben.
Ich lese altbekannte Ortsnamen. Die Studienstadt, die schon von hunderten Kilometern Entfernung ausgeschildert ist. Die etwas kleinere Nachbarstadt, in der der Freund zuletzt gelebt hat. Die Vegetation am Straßenrand ändert sich und irgendwann könnte man auch denken, ich sei auf dem Weg von der Uni nach Hause. Wie viel Zeit ich mit Anfang 20 auf der Autobahn gestanden habe (die Autobahnen tendierten zur Berufsverkehrszeit eher dazu, ein Parkplatz zu sein). Ich spüre all die Erinnerungen im Hinterkopf anklopfen, spüre die Schwere in mir aufsteigen und versuche sie schnell beiseite zu schieben. Aber trotz all des Schmerzes spüre ich: Ich möchte demnächst zurück. Ich möchte im Sommer in der Studienstadt am Fluss sitzen. Mal sehen, woher ich ein oder zwei Tage frei bekomme. So sehr, wie das auch weh tut, aber ich brauche die Wiederholung dieser Erinnerungen. Die bisher Besten meines Lebens.

Nach vier Stunden Fahrt mache ich die erste Pause auf einer Autobahnraststätte. Auch wann es diesen Moment zum letzten Mal gegeben hat, weiß ich nicht mehr. Ich bin halt ewig nicht mehr mit dem Auto verreist. Aber ich spüre etwas von einer ganz alten Aufregung, tief vergraben in mir. Ich verreise das erste Mal seit Jahren an einen Ort, den ich nicht kenne. Sonst war ich eigentlich immer nur in der Studienstadt. Das letzte Mal wirklich im Urlaub – ich weiß nicht, wann ich das das letzte Mal gemacht habe.

Die vom Navi ausgerechneten fünf Stunden schaffe ich natürlich nicht. Am Ende schlaucht die Reise doch sehr und ich bin froh, als ich nach sieben Stunden von der Autobahn runter fahre. Mit dem Auto gab es zum Glück keine Probleme, es hat weniger Benzin verschluckt als erwartet – es schaut nur leider aus, als sei es ins Rapsfeld gefallen. Wenn der Lack sich nicht schon bald verabschieden soll, braucht es wohl als nächstes eine Waschanlage. (Oder lieber erst, wenn ich wieder daheim bin?)

Ich sehe das erste Mal die Wohnung von meiner Schwester. Mit dem Einrichten ist sie weiter als ich – sie konnte aber auch eine Menge Möbel vom Vorgänger übernehmen. Und als ich später in der Nacht in meinem Klappbett liege, wird mir auch klar, dass ich mal ein neues Bett brauche. Zwischen der Qualität von diesem Klappbett und meinem Bett zu Hause gibt es keinen großen Unterschied.

Sonntag, 15. Mai 2022
Es ist schon spät, als wir aufstehen. Ich bin schon eine Weile wach, aber mein Schwesterchen schläft noch wie eine Königin im Bett neben mir.

Nach dem Frühstück (oder Mittagessen, je nachdem) brechen wir auf zu einer Fahrradtour. Ich bekomme das Klappfahrrad und sie nimmt ihr normales Fahrrad. Hier in der Gegend schaut es schon fast aus wie in den Niederlanden. Es ist flach, man kann Fahren ohne ständig am nächsten Berg fest zu hängen, es gibt so viele Wiesen mit Schafen und Kühen, am Wasser fliegen den Wildgänse – es ist echt schön. 

 

Schafis auf dem Deich...

Später picknicken wir in einem Park und am Abend zeigt sie mir noch ein bisschen die Innenstadt der Stadt in der sie lebt. 



Alles was hier passiert, ist so weit weg von meinem alten Leben, dass der Kopf zwar im Hintergrund rattert, aber sich nicht an allem aufhängen kann. Natürlich weiß ich, dass ich heute vor zwei Jahren zurück von der Studienstadt in die Stadt in der ich lebe gefahren bin. Natürlich weiß ich, dass es vor zwei Jahren zwischen 17 und 18 Uhr das letzte Bahnhofstelefonat gab und mein Blick wandert immer mal auf die Uhr und in Gedanken sehe ich mich auf dem Bürgersteig vor dem Hauptbahnhof sitzen und sprechen. So ahnungslos – das ist das, was es so schwer aushaltbar macht, was mir in gewisser Weise das Herz bricht. Ich schaue mir selbst dabei zu, wie ich geradewegs in die Katastrophe gelaufen bin und alle Chancen, die es noch gegeben hätte, habe verstreichen lassen. Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm ist. Dass man die Stunden, die wir noch hatten, langsam rückwärts zählen konnte. Ich wusste nicht, dass jetzt der richtige Moment war den Job einfach mal Job sein zu lassen und dafür vielleicht das Leben des wichtigsten Menschen zu retten, den ich hatte.

Ich bin kein Fan von den Dingen davon zu laufen und ich finde auch immer, dass man gewisse Dinge einfach aushalten muss, wenn es an der Zeit ist – sonst staut sich das nur auf und explodiert irgendwann. Aber wenn ich jetzt nicht hierher gefahren wäre, wäre ich bis mindestens September nicht gefahren. Wir werden sehen, wie das die nächsten Tage ausgeht, aber im Moment denke ich, dass es vielleicht nicht meine dümmste Idee war – auch wenn ich das Timing erst nicht so gut fand. Immerhin mache ich dieses Jahr keinen Dienst am 16. Mai – wie letztes Jahr.
Und es beruhigt mich auch, dass ich alles in mir erstmal sammeln und Ende der Woche mit in die Therapie bringen kann. Das ist immer schön zu wissen – erstmal ist man vielleicht mit allem was so aufkommt alleine, aber es bleibt nicht so. 


 

Jetzt kochen wir gleich nochmal – ich habe extra Töpfe und Pfannen mitgebracht, damit das bei meiner Schwester funktioniert – und dann geht es für heute ins Bett.
Morgen fahren wir ans Meer, wenn ich das richtig verstanden habe. Wie lange ich das Meer nicht mehr gesehen habe, weiß ich auch nicht. Und wenn der Hamster meiner Schwester mal eine ruhige Minute für ein Foto hat, gibt es die Tage auch noch Lilly – Content. Aktuell flitzt sie so schnell hin und her, dass ich noch keine Chance auf ein gutes Foto hatte.

Einen guten Start in die Woche wünsche ich allen Lesern!
Mondkind

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